Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Karl Henckell. Die Seelen sah ich verkauft und feil, Nach Gold und Ehre und Wollust geil, Der Knechte traf ich ein zahllos Heer Und fand der Lügner und Heuchler noch mehr, Im Bethaus sah ich vor Gott sie knien Und sah, wie sie heimlich den Heiland bespien Und lachten verborgen und trieben Hohn, Und leckten doch sündisch an Kreuz und Thron, Und ich sah, was mir höllisch die Sinne gepackt, Sie die Wahrheit nothzücht'gen und peitschten sie nackt -- Und zu Boden sank ich und rang und rang Und siechte todtmüde und heillos bang, Meine Seele war wüst, und mein Geist war Nacht, Da flammte ein Strahl, nun bin ich erwacht Und ich schreie empor voll brünstiger Gluth: Du Geist der Welten, verleih' uns Muth, Daß das Zagen zergeht und der Zweifel zerbricht, Zu sehnen und suchen das ewige Licht, In harrender Treu, in Gedanken und That, Wann der Abend sinkt, wann der Morgen naht, Mit der Liebe Gewaffen im brennenden Kampf, Schildleuchtende Helden im Nebeldampf Mit des Mitleids Ruf, mit der Wahrheit Speer, Zahllos sich mehrend ein siegend Heer, Zu lösen das Leid und die Welt zu befrei'n -- O selig, Todzeuge des Lichtes zu sein! Meiner Mutter. Originalbeitrag. Mutter, aus der Ferne eilst Du, Deinen Sohn zu sehen, Ach, die kranke Seele heilst Du, Linderst ihre Wehen. Bin zermartert, bin zerschlagen Wie im Sturm die Eiche, Doch bei Dir vergeht mein Klagen, Gute, Milde, Weiche! Karl Henckell. Die Seelen ſah ich verkauft und feil, Nach Gold und Ehre und Wolluſt geil, Der Knechte traf ich ein zahllos Heer Und fand der Lügner und Heuchler noch mehr, Im Bethaus ſah ich vor Gott ſie knien Und ſah, wie ſie heimlich den Heiland beſpien Und lachten verborgen und trieben Hohn, Und leckten doch ſündiſch an Kreuz und Thron, Und ich ſah, was mir hölliſch die Sinne gepackt, Sie die Wahrheit nothzücht’gen und peitſchten ſie nackt — Und zu Boden ſank ich und rang und rang Und ſiechte todtmüde und heillos bang, Meine Seele war wüſt, und mein Geiſt war Nacht, Da flammte ein Strahl, nun bin ich erwacht Und ich ſchreie empor voll brünſtiger Gluth: Du Geiſt der Welten, verleih’ uns Muth, Daß das Zagen zergeht und der Zweifel zerbricht, Zu ſehnen und ſuchen das ewige Licht, In harrender Treu, in Gedanken und That, Wann der Abend ſinkt, wann der Morgen naht, Mit der Liebe Gewaffen im brennenden Kampf, Schildleuchtende Helden im Nebeldampf Mit des Mitleids Ruf, mit der Wahrheit Speer, Zahllos ſich mehrend ein ſiegend Heer, Zu löſen das Leid und die Welt zu befrei’n — O ſelig, Todzeuge des Lichtes zu ſein! Meiner Mutter. Originalbeitrag. Mutter, aus der Ferne eilſt Du, Deinen Sohn zu ſehen, Ach, die kranke Seele heilſt Du, Linderſt ihre Wehen. Bin zermartert, bin zerſchlagen Wie im Sturm die Eiche, Doch bei Dir vergeht mein Klagen, Gute, Milde, Weiche! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="1"> <pb facs="#f0305" n="287"/> <fw place="top" type="header">Karl Henckell.</fw><lb/> <l>Die Seelen ſah ich verkauft und feil,</l><lb/> <l>Nach Gold und Ehre und Wolluſt geil,</l><lb/> <l>Der Knechte traf ich ein zahllos Heer</l><lb/> <l>Und fand der Lügner und Heuchler noch mehr,</l><lb/> <l>Im Bethaus ſah ich vor Gott ſie knien</l><lb/> <l>Und ſah, wie ſie heimlich den Heiland beſpien</l><lb/> <l>Und lachten verborgen und trieben Hohn,</l><lb/> <l>Und leckten doch ſündiſch an Kreuz und Thron,</l><lb/> <l>Und ich ſah, was mir hölliſch die Sinne gepackt,</l><lb/> <l>Sie die Wahrheit nothzücht’gen und peitſchten ſie nackt —</l><lb/> <l>Und zu Boden ſank ich und rang und rang</l><lb/> <l>Und ſiechte todtmüde und heillos bang,</l><lb/> <l>Meine Seele war wüſt, und mein Geiſt war Nacht,</l><lb/> <l>Da flammte ein Strahl, nun bin ich erwacht</l><lb/> <l>Und ich ſchreie empor voll brünſtiger Gluth:</l><lb/> <l>Du Geiſt der Welten, verleih’ uns Muth,</l><lb/> <l>Daß das Zagen zergeht und der Zweifel zerbricht,</l><lb/> <l>Zu ſehnen und ſuchen das ewige Licht,</l><lb/> <l>In harrender Treu, in Gedanken und That,</l><lb/> <l>Wann der Abend ſinkt, wann der Morgen naht,</l><lb/> <l>Mit der Liebe Gewaffen im brennenden Kampf,</l><lb/> <l>Schildleuchtende Helden im Nebeldampf</l><lb/> <l>Mit des Mitleids Ruf, mit der Wahrheit Speer,</l><lb/> <l>Zahllos ſich mehrend ein <hi rendition="#g">ſiegend</hi> Heer,</l><lb/> <l>Zu löſen das Leid und die Welt zu befrei’n —</l><lb/> <l>O <hi rendition="#g">ſelig, Todzeuge des Lichtes zu ſein</hi>!</l> </lg> </lg> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Meiner Mutter.</hi> </head><lb/> <p> <hi rendition="#c">Originalbeitrag.</hi> </p><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Mutter, aus der Ferne eilſt Du,</l><lb/> <l>Deinen Sohn zu ſehen,</l><lb/> <l>Ach, die kranke Seele heilſt Du,</l><lb/> <l>Linderſt ihre Wehen.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Bin zermartert, bin zerſchlagen</l><lb/> <l>Wie im Sturm die Eiche,</l><lb/> <l>Doch bei Dir vergeht mein Klagen,</l><lb/> <l>Gute, Milde, Weiche!</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [287/0305]
Karl Henckell.
Die Seelen ſah ich verkauft und feil,
Nach Gold und Ehre und Wolluſt geil,
Der Knechte traf ich ein zahllos Heer
Und fand der Lügner und Heuchler noch mehr,
Im Bethaus ſah ich vor Gott ſie knien
Und ſah, wie ſie heimlich den Heiland beſpien
Und lachten verborgen und trieben Hohn,
Und leckten doch ſündiſch an Kreuz und Thron,
Und ich ſah, was mir hölliſch die Sinne gepackt,
Sie die Wahrheit nothzücht’gen und peitſchten ſie nackt —
Und zu Boden ſank ich und rang und rang
Und ſiechte todtmüde und heillos bang,
Meine Seele war wüſt, und mein Geiſt war Nacht,
Da flammte ein Strahl, nun bin ich erwacht
Und ich ſchreie empor voll brünſtiger Gluth:
Du Geiſt der Welten, verleih’ uns Muth,
Daß das Zagen zergeht und der Zweifel zerbricht,
Zu ſehnen und ſuchen das ewige Licht,
In harrender Treu, in Gedanken und That,
Wann der Abend ſinkt, wann der Morgen naht,
Mit der Liebe Gewaffen im brennenden Kampf,
Schildleuchtende Helden im Nebeldampf
Mit des Mitleids Ruf, mit der Wahrheit Speer,
Zahllos ſich mehrend ein ſiegend Heer,
Zu löſen das Leid und die Welt zu befrei’n —
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Meiner Mutter.
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Mutter, aus der Ferne eilſt Du,
Deinen Sohn zu ſehen,
Ach, die kranke Seele heilſt Du,
Linderſt ihre Wehen.
Bin zermartert, bin zerſchlagen
Wie im Sturm die Eiche,
Doch bei Dir vergeht mein Klagen,
Gute, Milde, Weiche!
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