Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Karl Henckell. Reif ist die Frucht und muß geschnitten sein. Originalbeitrag. Gewitterschwanger dräut es Tag und Nacht, Doch fällt kein Blitz, kein starker Donner kracht. Zuweilen flammt am Horizont ein Schein, Dann folgt ein schwaches Grollen hinterdrein. Todmüde röchelnd ringt die Well' nach Luft, Als schmachte sie in dumpfer Leichengruft. O brich herein mit Donnersturmgetos, Laß deiner schwarzen Rosse Zügel los, Sturmjäger, auf, wir alle harren dein, Nicht länger kann die Qual ertragen sein. Siehst du die bangen Haufen murrend stehn? Die Zeit ist hoch, was sein muß, muß geschehn. Und flammen tausend Dächer auf in Rauch, Und bricht zusammen uralt heil'ger Brauch, Und giebt's ein Jammern, daß die Luft zerbirst, Laß dich nicht mäßigen, Gewitterfürst! Donner auf Donner, rother Strahl auf Strahl, Rein muß es werden von Gebirg' zu Thal, In Schauern birgt ein glückliches Geschlecht, Was mühvoll wir gesäet Knecht an Knecht. Was gelten wir? Die Zukunft gilt allein, Reif ist die Frucht und muß geschnitten sein. Psalm. Originalbeitrag. Ich habe die Tiefen des Elends geschaut, Und es hat mir in Tiefen der Seele gegraut, Ich sahe lebendiger Todten Skelett Und stand an der Buhlen entweihtem Bett, Ich nahte gefallenen Engeln viel, Der süßesten Sünde entsetzlichem Spiel, Die stolze Vermessenheit sah ich im Schwang Und lauschte der Reichen bethörtem Gesang, Karl Henckell. Reif iſt die Frucht und muß geſchnitten ſein. Originalbeitrag. Gewitterſchwanger dräut es Tag und Nacht, Doch fällt kein Blitz, kein ſtarker Donner kracht. Zuweilen flammt am Horizont ein Schein, Dann folgt ein ſchwaches Grollen hinterdrein. Todmüde röchelnd ringt die Well’ nach Luft, Als ſchmachte ſie in dumpfer Leichengruft. O brich herein mit Donnerſturmgetos, Laß deiner ſchwarzen Roſſe Zügel los, Sturmjäger, auf, wir alle harren dein, Nicht länger kann die Qual ertragen ſein. Siehſt du die bangen Haufen murrend ſtehn? Die Zeit iſt hoch, was ſein muß, muß geſchehn. Und flammen tauſend Dächer auf in Rauch, Und bricht zuſammen uralt heil’ger Brauch, Und giebt’s ein Jammern, daß die Luft zerbirſt, Laß dich nicht mäßigen, Gewitterfürſt! Donner auf Donner, rother Strahl auf Strahl, Rein muß es werden von Gebirg’ zu Thal, In Schauern birgt ein glückliches Geſchlecht, Was mühvoll wir geſäet Knecht an Knecht. Was gelten wir? Die Zukunft gilt allein, Reif iſt die Frucht und muß geſchnitten ſein. Pſalm. Originalbeitrag. Ich habe die Tiefen des Elends geſchaut, Und es hat mir in Tiefen der Seele gegraut, Ich ſahe lebendiger Todten Skelett Und ſtand an der Buhlen entweihtem Bett, Ich nahte gefallenen Engeln viel, Der ſüßeſten Sünde entſetzlichem Spiel, Die ſtolze Vermeſſenheit ſah ich im Schwang Und lauſchte der Reichen bethörtem Geſang, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0304" n="286"/> <fw place="top" type="header">Karl Henckell.</fw><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Reif iſt die Frucht und muß geſchnitten ſein.</hi> </head><lb/> <p> <hi rendition="#c">Originalbeitrag.</hi> </p><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Gewitterſchwanger dräut es Tag und Nacht,</l><lb/> <l>Doch fällt kein Blitz, kein ſtarker Donner kracht.</l><lb/> <l>Zuweilen flammt am Horizont ein Schein,</l><lb/> <l>Dann folgt ein ſchwaches Grollen hinterdrein.</l><lb/> <l>Todmüde röchelnd ringt die Well’ nach Luft,</l><lb/> <l>Als ſchmachte ſie in dumpfer Leichengruft.</l><lb/> <l>O brich herein mit Donnerſturmgetos,</l><lb/> <l>Laß deiner ſchwarzen Roſſe Zügel los,</l><lb/> <l>Sturmjäger, auf, wir alle harren dein,</l><lb/> <l>Nicht länger kann die Qual ertragen ſein.</l><lb/> <l>Siehſt du die bangen Haufen murrend ſtehn?</l><lb/> <l>Die Zeit iſt hoch, was ſein muß, <hi rendition="#g">muß</hi> geſchehn.</l><lb/> <l>Und flammen tauſend Dächer auf in Rauch,</l><lb/> <l>Und bricht zuſammen uralt heil’ger Brauch,</l><lb/> <l>Und giebt’s ein Jammern, daß die Luft zerbirſt,</l><lb/> <l>Laß dich nicht mäßigen, Gewitterfürſt!</l><lb/> <l>Donner auf Donner, rother Strahl auf Strahl,</l><lb/> <l>Rein muß es werden von Gebirg’ zu Thal,</l><lb/> <l>In Schauern birgt ein glückliches Geſchlecht,</l><lb/> <l>Was mühvoll wir geſäet Knecht an Knecht.</l><lb/> <l>Was gelten <hi rendition="#g">wir</hi>? Die Zukunft gilt allein,</l><lb/> <l>Reif iſt die Frucht und muß geſchnitten ſein.</l> </lg> </lg> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Pſalm.</hi> </head><lb/> <p> <hi rendition="#c">Originalbeitrag.</hi> </p><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Ich habe die Tiefen des Elends geſchaut,</l><lb/> <l>Und es hat mir in Tiefen der Seele gegraut,</l><lb/> <l>Ich ſahe lebendiger Todten Skelett</l><lb/> <l>Und ſtand an der Buhlen entweihtem Bett,</l><lb/> <l>Ich nahte gefallenen Engeln viel,</l><lb/> <l>Der ſüßeſten Sünde entſetzlichem Spiel,</l><lb/> <l>Die ſtolze Vermeſſenheit ſah ich im Schwang</l><lb/> <l>Und lauſchte der Reichen bethörtem Geſang,</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [286/0304]
Karl Henckell.
Reif iſt die Frucht und muß geſchnitten ſein.
Originalbeitrag.
Gewitterſchwanger dräut es Tag und Nacht,
Doch fällt kein Blitz, kein ſtarker Donner kracht.
Zuweilen flammt am Horizont ein Schein,
Dann folgt ein ſchwaches Grollen hinterdrein.
Todmüde röchelnd ringt die Well’ nach Luft,
Als ſchmachte ſie in dumpfer Leichengruft.
O brich herein mit Donnerſturmgetos,
Laß deiner ſchwarzen Roſſe Zügel los,
Sturmjäger, auf, wir alle harren dein,
Nicht länger kann die Qual ertragen ſein.
Siehſt du die bangen Haufen murrend ſtehn?
Die Zeit iſt hoch, was ſein muß, muß geſchehn.
Und flammen tauſend Dächer auf in Rauch,
Und bricht zuſammen uralt heil’ger Brauch,
Und giebt’s ein Jammern, daß die Luft zerbirſt,
Laß dich nicht mäßigen, Gewitterfürſt!
Donner auf Donner, rother Strahl auf Strahl,
Rein muß es werden von Gebirg’ zu Thal,
In Schauern birgt ein glückliches Geſchlecht,
Was mühvoll wir geſäet Knecht an Knecht.
Was gelten wir? Die Zukunft gilt allein,
Reif iſt die Frucht und muß geſchnitten ſein.
Pſalm.
Originalbeitrag.
Ich habe die Tiefen des Elends geſchaut,
Und es hat mir in Tiefen der Seele gegraut,
Ich ſahe lebendiger Todten Skelett
Und ſtand an der Buhlen entweihtem Bett,
Ich nahte gefallenen Engeln viel,
Der ſüßeſten Sünde entſetzlichem Spiel,
Die ſtolze Vermeſſenheit ſah ich im Schwang
Und lauſchte der Reichen bethörtem Geſang,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |