Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Hermann Eduard Jahn. An meine Mutter. "Verwehte Blätter". Der reinste Demant dieser Erde, Das köstlichste, das reichste Erz, Die schönste Sonne aller Sonnen, Es ist das treue Mutterherz! O Herz so tief, so unergründlich, O Herz so wahr, so gut, so rein -- O ewig wie der Weltenlenker Kann nur die Mutterliebe sein! Selbstsüchtig ist sonst jede Liebe, In ihrer Qual, in ihrem Glück, Sie giebt ihr Herz dir hin, doch fordert Sie auch dein Herz dafür zurück; Nur einer Mutter großes Lieben Giebt sich dem Kinde ganz dahin Und fordert nicht, o, schon das Geben Ist überreichlich ihr Gewinn. O Mutterherz, o Mutterliebe, Wer kann dich hier ermessen doch, Du Herz, ob auch vom Kind gebrochen, Im Sterben segnest du es noch! Der Arme. "Verwehte Blätter". Die Armuth gab ihm dieses Leben Zur Armuth und zur blassen Pein -- Im Kothe war einst seine Wiege, Und wird sein Sterbebett auch sein. Vom ersten Schrei verdammt zur Dummheit Und ausgeschlossen von dem Licht -- Für ihn erschien ja der Erlöser, Der milde Gott der Künste, nicht. Hermann Eduard Jahn. An meine Mutter. „Verwehte Blätter“. Der reinſte Demant dieſer Erde, Das köſtlichſte, das reichſte Erz, Die ſchönſte Sonne aller Sonnen, Es iſt das treue Mutterherz! O Herz ſo tief, ſo unergründlich, O Herz ſo wahr, ſo gut, ſo rein — O ewig wie der Weltenlenker Kann nur die Mutterliebe ſein! Selbſtſüchtig iſt ſonſt jede Liebe, In ihrer Qual, in ihrem Glück, Sie giebt ihr Herz dir hin, doch fordert Sie auch dein Herz dafür zurück; Nur einer Mutter großes Lieben Giebt ſich dem Kinde ganz dahin Und fordert nicht, o, ſchon das Geben Iſt überreichlich ihr Gewinn. O Mutterherz, o Mutterliebe, Wer kann dich hier ermeſſen doch, Du Herz, ob auch vom Kind gebrochen, Im Sterben ſegneſt du es noch! Der Arme. „Verwehte Blätter“. Die Armuth gab ihm dieſes Leben Zur Armuth und zur blaſſen Pein — Im Kothe war einſt ſeine Wiege, Und wird ſein Sterbebett auch ſein. Vom erſten Schrei verdammt zur Dummheit Und ausgeſchloſſen von dem Licht — Für ihn erſchien ja der Erlöſer, Der milde Gott der Künſte, nicht. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb n="236" facs="#f0254"/> <fw type="header" place="top">Hermann Eduard Jahn.</fw><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">An meine Mutter.</hi> </head><lb/> <p> <hi rendition="#c">„Verwehte Blätter“.</hi> </p><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Der reinſte Demant dieſer Erde,</l><lb/> <l>Das köſtlichſte, das reichſte Erz,</l><lb/> <l>Die ſchönſte Sonne aller Sonnen,</l><lb/> <l>Es iſt das treue Mutterherz!</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>O Herz ſo tief, ſo unergründlich,</l><lb/> <l>O Herz ſo wahr, ſo gut, ſo rein —</l><lb/> <l>O ewig wie der Weltenlenker</l><lb/> <l>Kann nur die Mutterliebe ſein!</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Selbſtſüchtig iſt ſonſt jede Liebe,</l><lb/> <l>In ihrer Qual, in ihrem Glück,</l><lb/> <l>Sie giebt ihr Herz dir hin, doch fordert</l><lb/> <l>Sie auch dein Herz dafür zurück;</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Nur einer Mutter großes Lieben</l><lb/> <l>Giebt ſich dem Kinde ganz dahin</l><lb/> <l>Und fordert nicht, o, ſchon das Geben</l><lb/> <l>Iſt überreichlich ihr Gewinn.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>O Mutterherz, o Mutterliebe,</l><lb/> <l>Wer kann dich hier ermeſſen doch,</l><lb/> <l>Du Herz, ob auch vom Kind gebrochen,</l><lb/> <l>Im Sterben ſegneſt du es noch!</l> </lg> </lg> </div><lb/> <milestone unit="section" rendition="#hr"/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Der Arme</hi>.</hi> </head><lb/> <p> <hi rendition="#c">„Verwehte Blätter“.</hi> </p><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Die Armuth gab ihm dieſes Leben</l><lb/> <l>Zur Armuth und zur blaſſen Pein —</l><lb/> <l>Im Kothe war einſt ſeine Wiege,</l><lb/> <l>Und wird ſein Sterbebett auch ſein.</l><lb/> <l>Vom erſten Schrei verdammt zur Dummheit</l><lb/> <l>Und ausgeſchloſſen von dem Licht —</l><lb/> <l>Für ihn erſchien ja der Erlöſer,</l><lb/> <l>Der milde Gott der Künſte, nicht.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [236/0254]
Hermann Eduard Jahn.
An meine Mutter.
„Verwehte Blätter“.
Der reinſte Demant dieſer Erde,
Das köſtlichſte, das reichſte Erz,
Die ſchönſte Sonne aller Sonnen,
Es iſt das treue Mutterherz!
O Herz ſo tief, ſo unergründlich,
O Herz ſo wahr, ſo gut, ſo rein —
O ewig wie der Weltenlenker
Kann nur die Mutterliebe ſein!
Selbſtſüchtig iſt ſonſt jede Liebe,
In ihrer Qual, in ihrem Glück,
Sie giebt ihr Herz dir hin, doch fordert
Sie auch dein Herz dafür zurück;
Nur einer Mutter großes Lieben
Giebt ſich dem Kinde ganz dahin
Und fordert nicht, o, ſchon das Geben
Iſt überreichlich ihr Gewinn.
O Mutterherz, o Mutterliebe,
Wer kann dich hier ermeſſen doch,
Du Herz, ob auch vom Kind gebrochen,
Im Sterben ſegneſt du es noch!
Der Arme.
„Verwehte Blätter“.
Die Armuth gab ihm dieſes Leben
Zur Armuth und zur blaſſen Pein —
Im Kothe war einſt ſeine Wiege,
Und wird ſein Sterbebett auch ſein.
Vom erſten Schrei verdammt zur Dummheit
Und ausgeſchloſſen von dem Licht —
Für ihn erſchien ja der Erlöſer,
Der milde Gott der Künſte, nicht.
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Zitationshilfe: | Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885], S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/254>, abgerufen am 01.03.2025. |