Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Arno Holz. Meine Nachbarschaft. 1884. Deutsche Romanzeitung. Mein Fenster schaut auf einen düstern Hof, Auf schmutzge Dächer und auf rußge Mauern, Doch wer wie ich ein Stückchen Philosoph, Läßt darum sich noch lange nicht bedauern. Ein wenig Luft, ein wenig Sonnenlicht Dringt schließlich auch durch seine trüben Scheiben, Zu hungern und zu frieren brauch ich nicht, Und all mein Thun ist nur ein wenig Schreiben. Ein wenig Schreiben, wenn ich stundenlang Mich einlas in die Wunderwelt der Alten, Bis endlich, endlich es auch mir gelang, Was ich gefühlt, zum Wohllaut zu gestalten. Dann fließt es um mich wie ein Heilgenschein Und mir im Herzen bauen sich Altäre, So könnt' ich glücklich und zufrieden sein, Wenn ach, nur meine Nachbarschaft nicht wäre! Kein Schwärmer ist es, der die Flöte liebt Und auf ihr nur "des Sommers letzte Rose", Kein Tanzgenie, das ewig Stunden giebt, Auch kein klavierverrückter Virtuose: Ein armer Schuster nur, der nächtens flickt, Wenn längst aufs Dach herab die Sterne scheinen, Indeß sein Weib daneben sitzt und strickt Und seine Kinderchen vor Hunger weinen. O Gott, wie oft nicht schon hat dieser Laut Mich mitten aus dem tiefsten Schlaf gerüttelt, Und wenn ich halbwach dann mich umgeschaut, Hat wild es wie ein Fieber mich geschüttelt. Des Mädchens Schluchzen und des Knabens Schrei Und ganz zuletzt des Säuglings leises Wimmern -- Mir war's als hörte ich dann nebenbei Drei kleine, kleine schwarze Bettlein zimmern. Arno Holz. Meine Nachbarſchaft. 1884. Deutſche Romanzeitung. Mein Fenſter ſchaut auf einen düſtern Hof, Auf ſchmutzge Dächer und auf rußge Mauern, Doch wer wie ich ein Stückchen Philoſoph, Läßt darum ſich noch lange nicht bedauern. Ein wenig Luft, ein wenig Sonnenlicht Dringt ſchließlich auch durch ſeine trüben Scheiben, Zu hungern und zu frieren brauch ich nicht, Und all mein Thun iſt nur ein wenig Schreiben. Ein wenig Schreiben, wenn ich ſtundenlang Mich einlas in die Wunderwelt der Alten, Bis endlich, endlich es auch mir gelang, Was ich gefühlt, zum Wohllaut zu geſtalten. Dann fließt es um mich wie ein Heilgenſchein Und mir im Herzen bauen ſich Altäre, So könnt’ ich glücklich und zufrieden ſein, Wenn ach, nur meine Nachbarſchaft nicht wäre! Kein Schwärmer iſt es, der die Flöte liebt Und auf ihr nur „des Sommers letzte Roſe“, Kein Tanzgenie, das ewig Stunden giebt, Auch kein klavierverrückter Virtuoſe: Ein armer Schuſter nur, der nächtens flickt, Wenn längſt aufs Dach herab die Sterne ſcheinen, Indeß ſein Weib daneben ſitzt und ſtrickt Und ſeine Kinderchen vor Hunger weinen. O Gott, wie oft nicht ſchon hat dieſer Laut Mich mitten aus dem tiefſten Schlaf gerüttelt, Und wenn ich halbwach dann mich umgeſchaut, Hat wild es wie ein Fieber mich geſchüttelt. Des Mädchens Schluchzen und des Knabens Schrei Und ganz zuletzt des Säuglings leiſes Wimmern — Mir war’s als hörte ich dann nebenbei Drei kleine, kleine ſchwarze Bettlein zimmern. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0175" n="157"/> <fw place="top" type="header">Arno Holz.</fw><lb/> <div n="2"> <head><hi rendition="#b">Meine Nachbarſchaft.</hi><lb/> 1884.</head><lb/> <p> <hi rendition="#c">Deutſche Romanzeitung.</hi> </p><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Mein Fenſter ſchaut auf einen düſtern Hof,</l><lb/> <l>Auf ſchmutzge Dächer und auf rußge Mauern,</l><lb/> <l>Doch wer wie ich ein Stückchen Philoſoph,</l><lb/> <l>Läßt darum ſich noch lange nicht bedauern.</l><lb/> <l>Ein wenig Luft, ein wenig Sonnenlicht</l><lb/> <l>Dringt ſchließlich auch durch <hi rendition="#g">ſeine</hi> trüben Scheiben,</l><lb/> <l>Zu hungern und zu frieren brauch ich nicht,</l><lb/> <l>Und all mein Thun iſt nur ein wenig Schreiben.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Ein wenig Schreiben, wenn ich ſtundenlang</l><lb/> <l>Mich einlas in die Wunderwelt der Alten,</l><lb/> <l>Bis endlich, endlich es auch mir gelang,</l><lb/> <l>Was ich gefühlt, zum Wohllaut zu geſtalten.</l><lb/> <l>Dann fließt es um mich wie ein Heilgenſchein</l><lb/> <l>Und mir im Herzen bauen ſich Altäre,</l><lb/> <l>So könnt’ ich glücklich und zufrieden ſein,</l><lb/> <l>Wenn ach, nur meine Nachbarſchaft nicht wäre!</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Kein Schwärmer iſt es, der die Flöte liebt</l><lb/> <l>Und auf ihr nur „des Sommers letzte Roſe“,</l><lb/> <l>Kein Tanzgenie, das ewig Stunden giebt,</l><lb/> <l>Auch kein klavierverrückter Virtuoſe:</l><lb/> <l>Ein armer Schuſter nur, der nächtens flickt,</l><lb/> <l>Wenn längſt aufs Dach herab die Sterne ſcheinen,</l><lb/> <l>Indeß ſein Weib daneben ſitzt und ſtrickt</l><lb/> <l>Und ſeine Kinderchen vor Hunger weinen.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>O Gott, wie oft nicht ſchon hat dieſer Laut</l><lb/> <l>Mich mitten aus dem tiefſten Schlaf gerüttelt,</l><lb/> <l>Und wenn ich halbwach dann mich umgeſchaut,</l><lb/> <l>Hat wild es wie ein Fieber mich geſchüttelt.</l><lb/> <l>Des Mädchens Schluchzen und des Knabens Schrei</l><lb/> <l>Und ganz zuletzt des Säuglings leiſes Wimmern —</l><lb/> <l>Mir war’s als hörte ich dann nebenbei</l><lb/> <l>Drei kleine, kleine ſchwarze Bettlein zimmern.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [157/0175]
Arno Holz.
Meine Nachbarſchaft.
1884.
Deutſche Romanzeitung.
Mein Fenſter ſchaut auf einen düſtern Hof,
Auf ſchmutzge Dächer und auf rußge Mauern,
Doch wer wie ich ein Stückchen Philoſoph,
Läßt darum ſich noch lange nicht bedauern.
Ein wenig Luft, ein wenig Sonnenlicht
Dringt ſchließlich auch durch ſeine trüben Scheiben,
Zu hungern und zu frieren brauch ich nicht,
Und all mein Thun iſt nur ein wenig Schreiben.
Ein wenig Schreiben, wenn ich ſtundenlang
Mich einlas in die Wunderwelt der Alten,
Bis endlich, endlich es auch mir gelang,
Was ich gefühlt, zum Wohllaut zu geſtalten.
Dann fließt es um mich wie ein Heilgenſchein
Und mir im Herzen bauen ſich Altäre,
So könnt’ ich glücklich und zufrieden ſein,
Wenn ach, nur meine Nachbarſchaft nicht wäre!
Kein Schwärmer iſt es, der die Flöte liebt
Und auf ihr nur „des Sommers letzte Roſe“,
Kein Tanzgenie, das ewig Stunden giebt,
Auch kein klavierverrückter Virtuoſe:
Ein armer Schuſter nur, der nächtens flickt,
Wenn längſt aufs Dach herab die Sterne ſcheinen,
Indeß ſein Weib daneben ſitzt und ſtrickt
Und ſeine Kinderchen vor Hunger weinen.
O Gott, wie oft nicht ſchon hat dieſer Laut
Mich mitten aus dem tiefſten Schlaf gerüttelt,
Und wenn ich halbwach dann mich umgeſchaut,
Hat wild es wie ein Fieber mich geſchüttelt.
Des Mädchens Schluchzen und des Knabens Schrei
Und ganz zuletzt des Säuglings leiſes Wimmern —
Mir war’s als hörte ich dann nebenbei
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