Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Arno Holz. Kein Veilchenduft versetzt mich in Extase, Denn ach, ich bin ein Epigone nur; Nie trank ich Wein aus einem Wasserglase Und nüchtern bin ich bis zur Unnatur. Der Tonfall meiner lyrischen Collegen Ist mir ein unverstandner Dialect, Denn meinen Reim hat die Kultur beleckt Und meine Muse wallt auf andern Wegen. Ins Waldversteck verirrt sie sich nur selten, Die blaue Blume ist ihr längst verblüht; Doch zieht die Ahnung neugeborner Welten Ihr süßer als ein Mährchen durchs Gemüth. Zur Armuth tritt sie hin und zählt die Groschen, Ihr rothes Banner pflanzt sie in den Streit, An ihr Herz schlägt das große Herz der Zeit Und aller Weltschmerz scheint ihr abgedroschen. Doch heute singt sie, was ihr längst verboten, Mir scheint, dein Lächeln hat sie mir behext, Und unter deine altbekannten Noten Schreibt sie begeistert einen neuen Text. Die Flur ergrünt und bläulich blüht der Flieder, Ich aber leire meine Lenzmusik, Und lachend schon vernehm ich die Kritik: Das denkt und singt ja wie ein Seifensieder! II. Schon blökt ins Feld die erste Hammelheerde, Der Hof hielt seine letzte Soiree, Und grasgrün überdeckt die alte Erde Coquett ihr weißes Winternegligee. Der Wald rauscht wieder seine Lenzgeschichten Und mir im Schädel rasselt kreuz und quer Ein ganzer Rattenkönig von Gedichten, Ein Reim- und Rhythmenungethüm umher. Arno Holz. Kein Veilchenduft verſetzt mich in Extaſe, Denn ach, ich bin ein Epigone nur; Nie trank ich Wein aus einem Waſſerglaſe Und nüchtern bin ich bis zur Unnatur. Der Tonfall meiner lyriſchen Collegen Iſt mir ein unverſtandner Dialect, Denn meinen Reim hat die Kultur beleckt Und meine Muſe wallt auf andern Wegen. Ins Waldverſteck verirrt ſie ſich nur ſelten, Die blaue Blume iſt ihr längſt verblüht; Doch zieht die Ahnung neugeborner Welten Ihr ſüßer als ein Mährchen durchs Gemüth. Zur Armuth tritt ſie hin und zählt die Groſchen, Ihr rothes Banner pflanzt ſie in den Streit, An ihr Herz ſchlägt das große Herz der Zeit Und aller Weltſchmerz ſcheint ihr abgedroſchen. Doch heute ſingt ſie, was ihr längſt verboten, Mir ſcheint, dein Lächeln hat ſie mir behext, Und unter deine altbekannten Noten Schreibt ſie begeiſtert einen neuen Text. Die Flur ergrünt und bläulich blüht der Flieder, Ich aber leire meine Lenzmuſik, Und lachend ſchon vernehm ich die Kritik: Das denkt und ſingt ja wie ein Seifenſieder! II. Schon blökt ins Feld die erſte Hammelheerde, Der Hof hielt ſeine letzte Soiree, Und grasgrün überdeckt die alte Erde Coquett ihr weißes Winternegligee. Der Wald rauſcht wieder ſeine Lenzgeſchichten Und mir im Schädel raſſelt kreuz und quer Ein ganzer Rattenkönig von Gedichten, Ein Reim- und Rhythmenungethüm umher. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0156" n="138"/> <fw place="top" type="header">Arno Holz.</fw><lb/> <lg n="2"> <l>Kein Veilchenduft verſetzt mich in Extaſe,</l><lb/> <l>Denn ach, ich bin ein Epigone nur;</l><lb/> <l>Nie trank ich Wein aus einem Waſſerglaſe</l><lb/> <l>Und nüchtern bin ich bis zur Unnatur.</l><lb/> <l>Der Tonfall meiner lyriſchen Collegen</l><lb/> <l>Iſt mir ein unverſtandner Dialect,</l><lb/> <l>Denn meinen Reim hat die Kultur beleckt</l><lb/> <l>Und meine Muſe wallt auf andern Wegen.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Ins Waldverſteck verirrt ſie ſich nur ſelten,</l><lb/> <l>Die blaue Blume iſt ihr längſt verblüht;</l><lb/> <l>Doch zieht die Ahnung neugeborner Welten</l><lb/> <l>Ihr ſüßer als ein Mährchen durchs Gemüth.</l><lb/> <l>Zur Armuth tritt ſie hin und zählt die Groſchen,</l><lb/> <l>Ihr rothes Banner pflanzt ſie in den Streit,</l><lb/> <l>An ihr Herz ſchlägt das große Herz der Zeit</l><lb/> <l>Und aller Weltſchmerz ſcheint ihr abgedroſchen.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Doch heute ſingt ſie, was ihr längſt verboten,</l><lb/> <l>Mir ſcheint, dein Lächeln hat ſie mir behext,</l><lb/> <l>Und unter deine altbekannten Noten</l><lb/> <l>Schreibt ſie begeiſtert einen neuen Text.</l><lb/> <l>Die Flur ergrünt und bläulich blüht der Flieder,</l><lb/> <l>Ich aber leire meine Lenzmuſik,</l><lb/> <l>Und lachend ſchon vernehm ich die Kritik:</l><lb/> <l>Das denkt und ſingt ja wie ein Seifenſieder!</l> </lg> </lg> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#aq">II.</hi> </head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Schon blökt ins Feld die erſte Hammelheerde,</l><lb/> <l>Der Hof hielt ſeine letzte Soiree,</l><lb/> <l>Und grasgrün überdeckt die alte Erde</l><lb/> <l>Coquett ihr weißes Winternegligee.</l><lb/> <l>Der Wald rauſcht wieder ſeine Lenzgeſchichten</l><lb/> <l>Und mir im Schädel raſſelt kreuz und quer</l><lb/> <l>Ein ganzer Rattenkönig von Gedichten,</l><lb/> <l>Ein Reim- und Rhythmenungethüm umher.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [138/0156]
Arno Holz.
Kein Veilchenduft verſetzt mich in Extaſe,
Denn ach, ich bin ein Epigone nur;
Nie trank ich Wein aus einem Waſſerglaſe
Und nüchtern bin ich bis zur Unnatur.
Der Tonfall meiner lyriſchen Collegen
Iſt mir ein unverſtandner Dialect,
Denn meinen Reim hat die Kultur beleckt
Und meine Muſe wallt auf andern Wegen.
Ins Waldverſteck verirrt ſie ſich nur ſelten,
Die blaue Blume iſt ihr längſt verblüht;
Doch zieht die Ahnung neugeborner Welten
Ihr ſüßer als ein Mährchen durchs Gemüth.
Zur Armuth tritt ſie hin und zählt die Groſchen,
Ihr rothes Banner pflanzt ſie in den Streit,
An ihr Herz ſchlägt das große Herz der Zeit
Und aller Weltſchmerz ſcheint ihr abgedroſchen.
Doch heute ſingt ſie, was ihr längſt verboten,
Mir ſcheint, dein Lächeln hat ſie mir behext,
Und unter deine altbekannten Noten
Schreibt ſie begeiſtert einen neuen Text.
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