Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite
Erstes Kapitel.
Ein Mann von zu vielem Sentiment.

"Was giebt es Neues?" rief der Geheimrath
Bovillard dem Legationsrath entgegen, und lud, ohne
sich im Frühstück stören zu lassen, durch eine Bewe¬
gung den Eingetretenen zum Platznehmen ein. Die
Zerlegung eines Kapaunenflügels schien ihm einige
Anstrengung zu verursachen. Uebrigens sah Herr
von Bovillard gemüthlicher aus als in letzter Zeit;
die Runzeln waren gewichen, das Gesicht glänzte,
besonders die unteren Theile, das Kinn hatte etwas
Charakteristisches, was sich in den Augen wiederspie¬
gelte, obgleich die Lippen erst der eigentliche Aus¬
druck waren. Herr von Bovillard gab heut kein
Schauspiel für Andere, sonst würde er die Aermel
des Rockes nicht aufgekrämpelt getragen, nicht den
Zipfel der Serviette im Halstuch befestigt haben. Er
war für sich, der Schmecker mit Bewußtsein, aber
der Zutritt eines Freundes, wie Herr von Wandel,
störte ihn nicht. Auch dieser nahm mit vollkommener
Aisance einen Platz neben dem Esser.

IV. 1
Erſtes Kapitel.
Ein Mann von zu vielem Sentiment.

„Was giebt es Neues?“ rief der Geheimrath
Bovillard dem Legationsrath entgegen, und lud, ohne
ſich im Frühſtück ſtören zu laſſen, durch eine Bewe¬
gung den Eingetretenen zum Platznehmen ein. Die
Zerlegung eines Kapaunenflügels ſchien ihm einige
Anſtrengung zu verurſachen. Uebrigens ſah Herr
von Bovillard gemüthlicher aus als in letzter Zeit;
die Runzeln waren gewichen, das Geſicht glänzte,
beſonders die unteren Theile, das Kinn hatte etwas
Charakteriſtiſches, was ſich in den Augen wiederſpie¬
gelte, obgleich die Lippen erſt der eigentliche Aus¬
druck waren. Herr von Bovillard gab heut kein
Schauſpiel für Andere, ſonſt würde er die Aermel
des Rockes nicht aufgekrämpelt getragen, nicht den
Zipfel der Serviette im Halstuch befeſtigt haben. Er
war für ſich, der Schmecker mit Bewußtſein, aber
der Zutritt eines Freundes, wie Herr von Wandel,
ſtörte ihn nicht. Auch dieſer nahm mit vollkommener
Aiſance einen Platz neben dem Eſſer.

IV. 1
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0011" n="[1]"/>
      <div n="1">
        <head>Er&#x017F;tes Kapitel.<lb/><hi rendition="#b">Ein Mann von zu vielem Sentiment.</hi><lb/></head>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>&#x201E;Was giebt es Neues?&#x201C; rief der Geheimrath<lb/>
Bovillard dem Legationsrath entgegen, und lud, ohne<lb/>
&#x017F;ich im Früh&#x017F;tück &#x017F;tören zu la&#x017F;&#x017F;en, durch eine Bewe¬<lb/>
gung den Eingetretenen zum Platznehmen ein. Die<lb/>
Zerlegung eines Kapaunenflügels &#x017F;chien ihm einige<lb/>
An&#x017F;trengung zu verur&#x017F;achen. Uebrigens &#x017F;ah Herr<lb/>
von Bovillard gemüthlicher aus als in letzter Zeit;<lb/>
die Runzeln waren gewichen, das Ge&#x017F;icht glänzte,<lb/>
be&#x017F;onders die unteren Theile, das Kinn hatte etwas<lb/>
Charakteri&#x017F;ti&#x017F;ches, was &#x017F;ich in den Augen wieder&#x017F;pie¬<lb/>
gelte, obgleich die Lippen er&#x017F;t der eigentliche Aus¬<lb/>
druck waren. Herr von Bovillard gab heut kein<lb/>
Schau&#x017F;piel für Andere, &#x017F;on&#x017F;t würde er die Aermel<lb/>
des Rockes nicht aufgekrämpelt getragen, nicht den<lb/>
Zipfel der Serviette im Halstuch befe&#x017F;tigt haben. Er<lb/>
war für &#x017F;ich, der Schmecker mit Bewußt&#x017F;ein, aber<lb/>
der Zutritt eines Freundes, wie Herr von Wandel,<lb/>
&#x017F;törte ihn nicht. Auch die&#x017F;er nahm mit vollkommener<lb/>
Ai&#x017F;ance einen Platz neben dem E&#x017F;&#x017F;er.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">IV</hi>. 1<lb/></fw>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[1]/0011] Erſtes Kapitel. Ein Mann von zu vielem Sentiment. „Was giebt es Neues?“ rief der Geheimrath Bovillard dem Legationsrath entgegen, und lud, ohne ſich im Frühſtück ſtören zu laſſen, durch eine Bewe¬ gung den Eingetretenen zum Platznehmen ein. Die Zerlegung eines Kapaunenflügels ſchien ihm einige Anſtrengung zu verurſachen. Uebrigens ſah Herr von Bovillard gemüthlicher aus als in letzter Zeit; die Runzeln waren gewichen, das Geſicht glänzte, beſonders die unteren Theile, das Kinn hatte etwas Charakteriſtiſches, was ſich in den Augen wiederſpie¬ gelte, obgleich die Lippen erſt der eigentliche Aus¬ druck waren. Herr von Bovillard gab heut kein Schauſpiel für Andere, ſonſt würde er die Aermel des Rockes nicht aufgekrämpelt getragen, nicht den Zipfel der Serviette im Halstuch befeſtigt haben. Er war für ſich, der Schmecker mit Bewußtſein, aber der Zutritt eines Freundes, wie Herr von Wandel, ſtörte ihn nicht. Auch dieſer nahm mit vollkommener Aiſance einen Platz neben dem Eſſer. IV. 1

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/11
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/11>, abgerufen am 21.11.2024.