"Und wir behalten Frieden, und Alles bleibt beim Alten," schloß der Geheimrath Lupinus, dies¬ mal aber der in der Jägerstraße, und schob den grünen Augenschirm zurecht.
Es lag eine sonntägliche Heimlichkeit über der geweihten Stube. Kein Dienstbote durfte sie aus freien Stücken betreten. Die Frau Geheimräthin besorgte selbst das Abstäuben der Bücher, und wenn sie der Hülfe einer gröberen Hand bedurfte, mußte der Fuß, der zu dieser Hand gehörte, die Schuhe zurücklassen. Aber das Abstäuben und Reinemachen war ein Festtag, zu dem man die günstige Stunde ablauschen mußte. Der Geheimrath behauptete, nichts sei so gefährlich der Gesundheit als der Staub; in demselben sammelten sich die Atome, die der or¬ ganische Lebensproceß nicht zu absorbiren vermöge, also das Todte, vielleicht das Tödtende. Warum also das aufregen, künstlich in Bewegung setzen, was sich selbst bereits, nach dem Gesetz der Schwere, vom Leben abgesetzt hat?
II. 1
Erſtes Kapitel. Staub.
„Und wir behalten Frieden, und Alles bleibt beim Alten,“ ſchloß der Geheimrath Lupinus, dies¬ mal aber der in der Jägerſtraße, und ſchob den grünen Augenſchirm zurecht.
Es lag eine ſonntägliche Heimlichkeit über der geweihten Stube. Kein Dienſtbote durfte ſie aus freien Stücken betreten. Die Frau Geheimräthin beſorgte ſelbſt das Abſtäuben der Bücher, und wenn ſie der Hülfe einer gröberen Hand bedurfte, mußte der Fuß, der zu dieſer Hand gehörte, die Schuhe zurücklaſſen. Aber das Abſtäuben und Reinemachen war ein Feſttag, zu dem man die günſtige Stunde ablauſchen mußte. Der Geheimrath behauptete, nichts ſei ſo gefährlich der Geſundheit als der Staub; in demſelben ſammelten ſich die Atome, die der or¬ ganiſche Lebensproceß nicht zu abſorbiren vermöge, alſo das Todte, vielleicht das Tödtende. Warum alſo das aufregen, künſtlich in Bewegung ſetzen, was ſich ſelbſt bereits, nach dem Geſetz der Schwere, vom Leben abgeſetzt hat?
II. 1
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[[1]/0011]
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„Und wir behalten Frieden, und Alles bleibt
beim Alten,“ ſchloß der Geheimrath Lupinus, dies¬
mal aber der in der Jägerſtraße, und ſchob den
grünen Augenſchirm zurecht.
Es lag eine ſonntägliche Heimlichkeit über der
geweihten Stube. Kein Dienſtbote durfte ſie aus
freien Stücken betreten. Die Frau Geheimräthin
beſorgte ſelbſt das Abſtäuben der Bücher, und wenn
ſie der Hülfe einer gröberen Hand bedurfte, mußte
der Fuß, der zu dieſer Hand gehörte, die Schuhe
zurücklaſſen. Aber das Abſtäuben und Reinemachen
war ein Feſttag, zu dem man die günſtige Stunde
ablauſchen mußte. Der Geheimrath behauptete,
nichts ſei ſo gefährlich der Geſundheit als der Staub;
in demſelben ſammelten ſich die Atome, die der or¬
ganiſche Lebensproceß nicht zu abſorbiren vermöge,
alſo das Todte, vielleicht das Tödtende. Warum alſo
das aufregen, künſtlich in Bewegung ſetzen, was ſich
ſelbſt bereits, nach dem Geſetz der Schwere, vom
Leben abgeſetzt hat?
II. 1
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/11>, abgerufen am 21.11.2024.
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