Eine Betrachtung der Erkrankungen des Harnapparates kann in der weitläufigsten Weise angestellt werden, solange die Symptomato- logie in Frage steht. Wie bei allen anderen Krankheiten ist auch in der Nierenpathologie die Lehre von den Symptomen auf reiner Em- pirie aufgebaut, ruht also auf sicherem Fundament und ist reich ge- nug ausgestattet, um die Diagnostik der Nierenerkrankungen auf sichere Wege zu leiten. Der Rahmen verengt sich aber sofort, wenn sich die Betrachtung der Ätiologie zuwendet. Die Lehre von den Ursachen der Nierenerkrankungen liest sich wie eine kurzgefaßte Sammlung von Ge- meinplätzen, in der Begriffe, wie Disposition, Erkältung, Gifte, Infek- tion, Kreislaufstörung immer wiederkehren und ihre Rolle spielen, wie bei anderen Organerkrankungen auch.
Daß mehrere dieser ursächlichen Momente selbst in hohem Grade einer Begriffsbestimmung bedürftig sind, soll nicht einmal besonders hervorgehoben werden. Schwerer fällt ins Gewicht, wie wenig fest- stehendes Material verfügbar ist, um die Frage nach der Krankheits- lokalisation in der Niere zu erledigen. Am ehesten entspricht noch den Grundbegriffen der Pathologie die Hervorhebung von Miterkrankungen der Niere bei Vergiftung und Infektion sowie von konsekutiven Ver- änderungen bei Erkrankungen des Kreislaufapparates, von denen die Harnorgane wie andere Organe auch gemäß ihrer Relation zu den Krankheitsherden befallen werden.
Weniger klar liegen die Verhältnisse in bezug auf jene Fälle, die man als "genuine" oder "primäre" Erkrankungen der Niere zu be- zeichnen gezwungen ist. Eine große Reihe von Krankheiten fällt unter diesen Namen. Sie alle haben das Gemeinsame, daß die letzte Ursache ihrer pathologischen Gestaltung nicht über das Nierenorgan hinaus ver- folgt werden kann und daß eine entferntere oder gar exogene Ätiologie -- schon dem Namen nach -- ausgeschlossen erscheint. Hierher sind zu rechnen, wenn man alle anderen unterscheidenden Merkmale beiseite läßt: genuine Schrumpfniere, Nierengeschwülste, lokalisierte Lues und
Einleitung.
Eine Betrachtung der Erkrankungen des Harnapparates kann in der weitläufigsten Weise angestellt werden, solange die Symptomato- logie in Frage steht. Wie bei allen anderen Krankheiten ist auch in der Nierenpathologie die Lehre von den Symptomen auf reiner Em- pirie aufgebaut, ruht also auf sicherem Fundament und ist reich ge- nug ausgestattet, um die Diagnostik der Nierenerkrankungen auf sichere Wege zu leiten. Der Rahmen verengt sich aber sofort, wenn sich die Betrachtung der Ätiologie zuwendet. Die Lehre von den Ursachen der Nierenerkrankungen liest sich wie eine kurzgefaßte Sammlung von Ge- meinplätzen, in der Begriffe, wie Disposition, Erkältung, Gifte, Infek- tion, Kreislaufstörung immer wiederkehren und ihre Rolle spielen, wie bei anderen Organerkrankungen auch.
Daß mehrere dieser ursächlichen Momente selbst in hohem Grade einer Begriffsbestimmung bedürftig sind, soll nicht einmal besonders hervorgehoben werden. Schwerer fällt ins Gewicht, wie wenig fest- stehendes Material verfügbar ist, um die Frage nach der Krankheits- lokalisation in der Niere zu erledigen. Am ehesten entspricht noch den Grundbegriffen der Pathologie die Hervorhebung von Miterkrankungen der Niere bei Vergiftung und Infektion sowie von konsekutiven Ver- änderungen bei Erkrankungen des Kreislaufapparates, von denen die Harnorgane wie andere Organe auch gemäß ihrer Relation zu den Krankheitsherden befallen werden.
Weniger klar liegen die Verhältnisse in bezug auf jene Fälle, die man als „genuine“ oder „primäre“ Erkrankungen der Niere zu be- zeichnen gezwungen ist. Eine große Reihe von Krankheiten fällt unter diesen Namen. Sie alle haben das Gemeinsame, daß die letzte Ursache ihrer pathologischen Gestaltung nicht über das Nierenorgan hinaus ver- folgt werden kann und daß eine entferntere oder gar exogene Ätiologie — schon dem Namen nach — ausgeschlossen erscheint. Hierher sind zu rechnen, wenn man alle anderen unterscheidenden Merkmale beiseite läßt: genuine Schrumpfniere, Nierengeschwülste, lokalisierte Lues und
<TEI><text><pbfacs="#f0013"/><body><divn="1"><head>Einleitung.</head><lb/><p>Eine Betrachtung der Erkrankungen des Harnapparates kann in<lb/>
der weitläufigsten Weise angestellt werden, solange die Symptomato-<lb/>
logie in Frage steht. Wie bei allen anderen Krankheiten ist auch in<lb/>
der Nierenpathologie die Lehre von den Symptomen auf reiner Em-<lb/>
pirie aufgebaut, ruht also auf sicherem Fundament und ist reich ge-<lb/>
nug ausgestattet, um die Diagnostik der Nierenerkrankungen auf sichere<lb/>
Wege zu leiten. Der Rahmen verengt sich aber sofort, wenn sich die<lb/>
Betrachtung der Ätiologie zuwendet. Die Lehre von den Ursachen der<lb/>
Nierenerkrankungen liest sich wie eine kurzgefaßte Sammlung von Ge-<lb/>
meinplätzen, in der Begriffe, wie Disposition, Erkältung, Gifte, Infek-<lb/>
tion, Kreislaufstörung immer wiederkehren und ihre Rolle spielen, wie<lb/>
bei anderen Organerkrankungen auch.</p><lb/><p>Daß mehrere dieser ursächlichen Momente selbst in hohem Grade<lb/>
einer Begriffsbestimmung bedürftig sind, soll nicht einmal besonders<lb/>
hervorgehoben werden. Schwerer fällt ins Gewicht, wie wenig fest-<lb/>
stehendes Material verfügbar ist, um die Frage nach der Krankheits-<lb/>
lokalisation in der Niere zu erledigen. Am ehesten entspricht noch den<lb/>
Grundbegriffen der Pathologie die Hervorhebung von Miterkrankungen<lb/>
der Niere bei Vergiftung und Infektion sowie von konsekutiven Ver-<lb/>
änderungen bei Erkrankungen des Kreislaufapparates, von denen die<lb/>
Harnorgane wie andere Organe auch gemäß ihrer Relation zu den<lb/>
Krankheitsherden befallen werden.</p><lb/><p>Weniger klar liegen die Verhältnisse in bezug auf jene Fälle, die<lb/>
man als „genuine“ oder „primäre“ Erkrankungen der Niere zu be-<lb/>
zeichnen gezwungen ist. Eine große Reihe von Krankheiten fällt unter<lb/>
diesen Namen. Sie alle haben das Gemeinsame, daß die letzte Ursache<lb/>
ihrer pathologischen Gestaltung nicht über das Nierenorgan hinaus ver-<lb/>
folgt werden kann und daß eine entferntere oder gar exogene Ätiologie<lb/>— schon dem Namen nach — ausgeschlossen erscheint. Hierher sind<lb/>
zu rechnen, wenn man alle anderen unterscheidenden Merkmale beiseite<lb/>
läßt: genuine Schrumpfniere, Nierengeschwülste, lokalisierte Lues und<lb/></p></div></body></text></TEI>
[0013]
Einleitung.
Eine Betrachtung der Erkrankungen des Harnapparates kann in
der weitläufigsten Weise angestellt werden, solange die Symptomato-
logie in Frage steht. Wie bei allen anderen Krankheiten ist auch in
der Nierenpathologie die Lehre von den Symptomen auf reiner Em-
pirie aufgebaut, ruht also auf sicherem Fundament und ist reich ge-
nug ausgestattet, um die Diagnostik der Nierenerkrankungen auf sichere
Wege zu leiten. Der Rahmen verengt sich aber sofort, wenn sich die
Betrachtung der Ätiologie zuwendet. Die Lehre von den Ursachen der
Nierenerkrankungen liest sich wie eine kurzgefaßte Sammlung von Ge-
meinplätzen, in der Begriffe, wie Disposition, Erkältung, Gifte, Infek-
tion, Kreislaufstörung immer wiederkehren und ihre Rolle spielen, wie
bei anderen Organerkrankungen auch.
Daß mehrere dieser ursächlichen Momente selbst in hohem Grade
einer Begriffsbestimmung bedürftig sind, soll nicht einmal besonders
hervorgehoben werden. Schwerer fällt ins Gewicht, wie wenig fest-
stehendes Material verfügbar ist, um die Frage nach der Krankheits-
lokalisation in der Niere zu erledigen. Am ehesten entspricht noch den
Grundbegriffen der Pathologie die Hervorhebung von Miterkrankungen
der Niere bei Vergiftung und Infektion sowie von konsekutiven Ver-
änderungen bei Erkrankungen des Kreislaufapparates, von denen die
Harnorgane wie andere Organe auch gemäß ihrer Relation zu den
Krankheitsherden befallen werden.
Weniger klar liegen die Verhältnisse in bezug auf jene Fälle, die
man als „genuine“ oder „primäre“ Erkrankungen der Niere zu be-
zeichnen gezwungen ist. Eine große Reihe von Krankheiten fällt unter
diesen Namen. Sie alle haben das Gemeinsame, daß die letzte Ursache
ihrer pathologischen Gestaltung nicht über das Nierenorgan hinaus ver-
folgt werden kann und daß eine entferntere oder gar exogene Ätiologie
— schon dem Namen nach — ausgeschlossen erscheint. Hierher sind
zu rechnen, wenn man alle anderen unterscheidenden Merkmale beiseite
läßt: genuine Schrumpfniere, Nierengeschwülste, lokalisierte Lues und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2013-01-07T09:54:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-01-07T09:54:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2013-01-07T09:54:31Z)
Adler, Alfred: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Berlin u. a., 1907, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/adler_studie_1907/13>, abgerufen am 04.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.