Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schöttgen, Christian: Leben und letzte Stunden HERRN Christoph Theodosii Walthers. Halle, 1742.

Bild:
<< vorherige Seite

mahl sitzend geniessen möchte, welches auch mit inbrünstigem Ver-
langen, Andacht und Demuth geschehen. Als unter andern die
Worte vorkamen: Ob iemand sündiget, so haben wir einen Für-
sprecher, sagte er: JEsus, mein Interpres und Fürsprecher, wird
für mich reden.

Dieses geschah ohngefehr um 5. Uhr, darauf der Selige sich
mit seinem Bruder noch von allerhand Sachen unterredet, auch
sich dann und wann einen Spruch oder Lied vorbeten lassen. Nach
diesem ward das gemachte Codicill vollzogen, da denn der Selige
gegen die anwesenden Zeugen mit den Fingern das Zeichen des Creu-
tzes machte, und sie mit den hebräischen Worten anredete:
hvhyl mt mykvrb, gesegnet seyd ihr dem HErrn. Als diese abgetre-
ten, sagte er: Nun wirds überall heissen: Der Mißionarius Walther
ist todt; und bald fragte er: Werden meine Füsse nicht kalt? O wenn
er nur nicht lange machte. Weiter sagte er: Jch suchte eine Linde-
rung, aber JEsus giebt mir die beste Linderung. Diese Worte redete
er mit sonderbarem Nachdruck, und befahl sie anzumercken.

§. 35.

Um 7. Uhr Abends ging der rechte Todes-Kampf an, welche
Zeit der Sterbende nebst den folgenden Stunden, so oft die Uhr
schlug, allezeit mit aufgehabener Hand und ausgestrecktem Zeige-
Finger richtig anmerckte, so daß er um 10. Uhr sagte: Nun sind,
GOtt Lob! drey Stunden überstanden, und sind mir doch nicht
lang worden. Und ich selbst konte nicht anders sagen, als daß
mir die Zeit bey diesem schönen Gespräch und Unterredung unter
den Händen weggegangen. Jch betete ihm anfangs das Lied
vor: HErr JEsu Christ, wahr Mensch und GOtt. Als ich
auf die Worte kam: Wenn mir vergeht all mein Gesicht etc.
so wies er auf die Augen, Ohren, Mund, Stirne, und auf das
Hertz schlug er zu zweyen malen mit ziemlicher Heftigkeit. Die
Sprüche der heiligen Schrift gab er gemeiniglich selbst an, z. E.
1 Cor. XV, 19. Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christum,
so sind wir die elendesten unter allen Menschen.
Hiob XIX,
25. Jch weiß, daß mein Erlöser lebet etc. Luc. XVIII, 7. Solte
GOtt nicht erretten seine Auserwehlten?
2 Cor. IV, 17. Unsere
Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schaffet eine ewige und über

alle

mahl ſitzend genieſſen moͤchte, welches auch mit inbruͤnſtigem Ver-
langen, Andacht und Demuth geſchehen. Als unter andern die
Worte vorkamen: Ob iemand ſuͤndiget, ſo haben wir einen Fuͤr-
ſprecher, ſagte er: JEſus, mein Interpres und Fuͤrſprecher, wird
fuͤr mich reden.

Dieſes geſchah ohngefehr um 5. Uhr, darauf der Selige ſich
mit ſeinem Bruder noch von allerhand Sachen unterredet, auch
ſich dann und wann einen Spruch oder Lied vorbeten laſſen. Nach
dieſem ward das gemachte Codicill vollzogen, da denn der Selige
gegen die anweſenden Zeugen mit den Fingern das Zeichen des Creu-
tzes machte, und ſie mit den hebraͤiſchen Worten anredete:
הוהיל םתא םיכורב, geſegnet ſeyd ihr dem HErrn. Als dieſe abgetre-
ten, ſagte er: Nun wirds uͤberall heiſſen: Der Mißionarius Walther
iſt todt; und bald fragte er: Werden meine Fuͤſſe nicht kalt? O wenn
er nur nicht lange machte. Weiter ſagte er: Jch ſuchte eine Linde-
rung, aber JEſus giebt mir die beſte Linderung. Dieſe Worte redete
er mit ſonderbarem Nachdruck, und befahl ſie anzumercken.

§. 35.

Um 7. Uhr Abends ging der rechte Todes-Kampf an, welche
Zeit der Sterbende nebſt den folgenden Stunden, ſo oft die Uhr
ſchlug, allezeit mit aufgehabener Hand und ausgeſtrecktem Zeige-
Finger richtig anmerckte, ſo daß er um 10. Uhr ſagte: Nun ſind,
GOtt Lob! drey Stunden uͤberſtanden, und ſind mir doch nicht
lang worden. Und ich ſelbſt konte nicht anders ſagen, als daß
mir die Zeit bey dieſem ſchoͤnen Geſpraͤch und Unterredung unter
den Haͤnden weggegangen. Jch betete ihm anfangs das Lied
vor: HErr JEſu Chriſt, wahr Menſch und GOtt. Als ich
auf die Worte kam: Wenn mir vergeht all mein Geſicht ꝛc.
ſo wies er auf die Augen, Ohren, Mund, Stirne, und auf das
Hertz ſchlug er zu zweyen malen mit ziemlicher Heftigkeit. Die
Spruͤche der heiligen Schrift gab er gemeiniglich ſelbſt an, z. E.
1 Cor. XV, 19. Hoffen wir allein in dieſem Leben auf Chriſtum,
ſo ſind wir die elendeſten unter allen Menſchen.
Hiob XIX,
25. Jch weiß, daß mein Erloͤſer lebet ꝛc. Luc. XVIII, 7. Solte
GOtt nicht erretten ſeine Auserwehlten?
2 Cor. IV, 17. Unſere
Truͤbſal, die zeitlich und leicht iſt, ſchaffet eine ewige und uͤber

alle
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="fsOtherPublication" n="1">
        <div type="fsPersonalia" n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0028" n="28"/>
mahl &#x017F;itzend genie&#x017F;&#x017F;en mo&#x0364;chte, welches auch mit inbru&#x0364;n&#x017F;tigem Ver-<lb/>
langen, Andacht und Demuth ge&#x017F;chehen. Als unter andern die<lb/>
Worte vorkamen: Ob iemand &#x017F;u&#x0364;ndiget, &#x017F;o haben wir einen Fu&#x0364;r-<lb/>
&#x017F;precher, &#x017F;agte er: JE&#x017F;us, mein <hi rendition="#aq">Interpres</hi> und Fu&#x0364;r&#x017F;precher, wird<lb/>
fu&#x0364;r mich reden.</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;es ge&#x017F;chah ohngefehr um 5. Uhr, darauf der Selige &#x017F;ich<lb/>
mit &#x017F;einem Bruder noch von allerhand Sachen unterredet, auch<lb/>
&#x017F;ich dann und wann einen Spruch oder Lied vorbeten la&#x017F;&#x017F;en. Nach<lb/>
die&#x017F;em ward das gemachte Codicill vollzogen, da denn der Selige<lb/>
gegen die anwe&#x017F;enden Zeugen mit den Fingern das Zeichen des Creu-<lb/>
tzes machte, und &#x017F;ie mit den hebra&#x0364;i&#x017F;chen Worten anredete:<lb/>
&#x05D4;&#x05D5;&#x05D4;&#x05D9;&#x05DC; &#x05DD;&#x05EA;&#x05D0; &#x05DD;&#x05D9;&#x05DB;&#x05D5;&#x05E8;&#x05D1;, ge&#x017F;egnet &#x017F;eyd ihr dem HErrn. Als die&#x017F;e abgetre-<lb/>
ten, &#x017F;agte er: Nun wirds u&#x0364;berall hei&#x017F;&#x017F;en: Der Mißionarius Walther<lb/>
i&#x017F;t todt; und bald fragte er: Werden meine Fu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e nicht kalt? O wenn<lb/>
er nur nicht lange machte. Weiter &#x017F;agte er: Jch &#x017F;uchte eine Linde-<lb/>
rung, aber JE&#x017F;us giebt mir die be&#x017F;te Linderung. Die&#x017F;e Worte redete<lb/>
er mit &#x017F;onderbarem Nachdruck, und befahl &#x017F;ie anzumercken.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 35.</head><lb/>
            <p>Um 7. Uhr Abends ging der rechte Todes-Kampf an, welche<lb/>
Zeit der Sterbende neb&#x017F;t den folgenden Stunden, &#x017F;o oft die Uhr<lb/>
&#x017F;chlug, allezeit mit aufgehabener Hand und ausge&#x017F;trecktem Zeige-<lb/>
Finger richtig anmerckte, &#x017F;o daß er um 10. Uhr &#x017F;agte: Nun &#x017F;ind,<lb/>
GOtt Lob! drey Stunden u&#x0364;ber&#x017F;tanden, und &#x017F;ind mir doch nicht<lb/>
lang worden. Und ich &#x017F;elb&#x017F;t konte nicht anders &#x017F;agen, als daß<lb/>
mir die Zeit bey die&#x017F;em &#x017F;cho&#x0364;nen Ge&#x017F;pra&#x0364;ch und Unterredung unter<lb/>
den Ha&#x0364;nden weggegangen. Jch betete ihm anfangs das Lied<lb/>
vor: <hi rendition="#fr">HErr JE&#x017F;u Chri&#x017F;t, wahr Men&#x017F;ch und GOtt.</hi> Als ich<lb/>
auf die Worte kam: <hi rendition="#fr">Wenn mir vergeht all mein Ge&#x017F;icht &#xA75B;c.</hi><lb/>
&#x017F;o wies er auf die Augen, Ohren, Mund, Stirne, und auf das<lb/>
Hertz &#x017F;chlug er zu zweyen malen mit ziemlicher Heftigkeit. Die<lb/>
Spru&#x0364;che der heiligen Schrift gab er gemeiniglich &#x017F;elb&#x017F;t an, z. E.<lb/>
1 Cor. <hi rendition="#aq">XV,</hi> 19. <hi rendition="#fr">Hoffen wir allein in die&#x017F;em Leben auf Chri&#x017F;tum,<lb/>
&#x017F;o &#x017F;ind wir die elende&#x017F;ten unter allen Men&#x017F;chen.</hi> Hiob <hi rendition="#aq">XIX,</hi><lb/>
25. <hi rendition="#fr">Jch weiß, daß mein Erlo&#x0364;&#x017F;er lebet &#xA75B;c.</hi> Luc. <hi rendition="#aq">XVIII,</hi> 7. <hi rendition="#fr">Solte<lb/>
GOtt nicht erretten &#x017F;eine Auserwehlten?</hi> 2 Cor. <hi rendition="#aq">IV,</hi> 17. <hi rendition="#fr">Un&#x017F;ere<lb/>
Tru&#x0364;b&#x017F;al, die zeitlich und leicht i&#x017F;t, &#x017F;chaffet eine ewige und u&#x0364;ber</hi><lb/>
<fw type="catch" place="bottom"><hi rendition="#fr">alle</hi></fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[28/0028] mahl ſitzend genieſſen moͤchte, welches auch mit inbruͤnſtigem Ver- langen, Andacht und Demuth geſchehen. Als unter andern die Worte vorkamen: Ob iemand ſuͤndiget, ſo haben wir einen Fuͤr- ſprecher, ſagte er: JEſus, mein Interpres und Fuͤrſprecher, wird fuͤr mich reden. Dieſes geſchah ohngefehr um 5. Uhr, darauf der Selige ſich mit ſeinem Bruder noch von allerhand Sachen unterredet, auch ſich dann und wann einen Spruch oder Lied vorbeten laſſen. Nach dieſem ward das gemachte Codicill vollzogen, da denn der Selige gegen die anweſenden Zeugen mit den Fingern das Zeichen des Creu- tzes machte, und ſie mit den hebraͤiſchen Worten anredete: הוהיל םתא םיכורב, geſegnet ſeyd ihr dem HErrn. Als dieſe abgetre- ten, ſagte er: Nun wirds uͤberall heiſſen: Der Mißionarius Walther iſt todt; und bald fragte er: Werden meine Fuͤſſe nicht kalt? O wenn er nur nicht lange machte. Weiter ſagte er: Jch ſuchte eine Linde- rung, aber JEſus giebt mir die beſte Linderung. Dieſe Worte redete er mit ſonderbarem Nachdruck, und befahl ſie anzumercken. §. 35. Um 7. Uhr Abends ging der rechte Todes-Kampf an, welche Zeit der Sterbende nebſt den folgenden Stunden, ſo oft die Uhr ſchlug, allezeit mit aufgehabener Hand und ausgeſtrecktem Zeige- Finger richtig anmerckte, ſo daß er um 10. Uhr ſagte: Nun ſind, GOtt Lob! drey Stunden uͤberſtanden, und ſind mir doch nicht lang worden. Und ich ſelbſt konte nicht anders ſagen, als daß mir die Zeit bey dieſem ſchoͤnen Geſpraͤch und Unterredung unter den Haͤnden weggegangen. Jch betete ihm anfangs das Lied vor: HErr JEſu Chriſt, wahr Menſch und GOtt. Als ich auf die Worte kam: Wenn mir vergeht all mein Geſicht ꝛc. ſo wies er auf die Augen, Ohren, Mund, Stirne, und auf das Hertz ſchlug er zu zweyen malen mit ziemlicher Heftigkeit. Die Spruͤche der heiligen Schrift gab er gemeiniglich ſelbſt an, z. E. 1 Cor. XV, 19. Hoffen wir allein in dieſem Leben auf Chriſtum, ſo ſind wir die elendeſten unter allen Menſchen. Hiob XIX, 25. Jch weiß, daß mein Erloͤſer lebet ꝛc. Luc. XVIII, 7. Solte GOtt nicht erretten ſeine Auserwehlten? 2 Cor. IV, 17. Unſere Truͤbſal, die zeitlich und leicht iſt, ſchaffet eine ewige und uͤber alle

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/386596
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/386596/28
Zitationshilfe: Schöttgen, Christian: Leben und letzte Stunden HERRN Christoph Theodosii Walthers. Halle, 1742, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/386596/28>, abgerufen am 21.12.2024.