Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. In: Adelbert von Chamisso's Werke. Bd. 4. Leipzig, 1836. S. 225-327.VI. Allein zurückgeblieben auf der öden Heide, ließ ich un- Und Alles um einen Schatten! Und diesen Schatten Der Tag verging. Ich stillte meinen Hunger mit VI. Allein zuruͤckgeblieben auf der oͤden Heide, ließ ich un- Und Alles um einen Schatten! Und dieſen Schatten Der Tag verging. Ich ſtillte meinen Hunger mit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0072"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#aq">VI.</hi> </head><lb/> <p>Allein zuruͤckgeblieben auf der oͤden Heide, ließ ich un-<lb/> endlichen Thraͤnen freien Lauf, mein armes Herz von na-<lb/> menloſer banger Laſt erleichternd. Aber ich ſah meinem<lb/> uͤberſchwenglichen Elend keine Grenzen, keinen Ausgang,<lb/> kein Ziel, und ich ſog beſonders mit grimmigem Durſt<lb/> an dem neuen Gifte, das der Unbekannte in meine Wun-<lb/> den gegoſſen. Als ich <hi rendition="#g">Mina’s</hi> Bild vor meine Seele<lb/> rief, und die geliebte, ſuͤße Geſtalt bleich und in Thraͤnen<lb/> mir erſchien, wie ich ſie zuletzt in meiner Schmach geſehen,<lb/> da trat frech und hoͤhnend <hi rendition="#g">Rascal’s</hi> Schemen zwiſchen<lb/> ſie und mich, ich verhuͤllte mein Geſicht und floh durch<lb/> die Einoͤde, aber die ſcheußliche Erſcheinung gab mich nicht<lb/> frei, ſondern verfolgte mich im Laufe, bis ich athemlos<lb/> an den Boden ſank, und die Erde mit erneuertem Thraͤ-<lb/> nenquell befeuchtete.</p><lb/> <p>Und Alles um einen Schatten! Und dieſen Schatten<lb/> haͤtte mir ein Federzug wieder erworben. Ich uͤberdachte<lb/> den befremdenden Antrag und meine Weigerung. Es war<lb/> wuͤſt in mir, ich hatte weder Urtheil noch Faſſungsvermoͤ-<lb/> gen mehr.</p><lb/> <p>Der Tag verging. Ich ſtillte meinen Hunger mit<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0072]
VI.
Allein zuruͤckgeblieben auf der oͤden Heide, ließ ich un-
endlichen Thraͤnen freien Lauf, mein armes Herz von na-
menloſer banger Laſt erleichternd. Aber ich ſah meinem
uͤberſchwenglichen Elend keine Grenzen, keinen Ausgang,
kein Ziel, und ich ſog beſonders mit grimmigem Durſt
an dem neuen Gifte, das der Unbekannte in meine Wun-
den gegoſſen. Als ich Mina’s Bild vor meine Seele
rief, und die geliebte, ſuͤße Geſtalt bleich und in Thraͤnen
mir erſchien, wie ich ſie zuletzt in meiner Schmach geſehen,
da trat frech und hoͤhnend Rascal’s Schemen zwiſchen
ſie und mich, ich verhuͤllte mein Geſicht und floh durch
die Einoͤde, aber die ſcheußliche Erſcheinung gab mich nicht
frei, ſondern verfolgte mich im Laufe, bis ich athemlos
an den Boden ſank, und die Erde mit erneuertem Thraͤ-
nenquell befeuchtete.
Und Alles um einen Schatten! Und dieſen Schatten
haͤtte mir ein Federzug wieder erworben. Ich uͤberdachte
den befremdenden Antrag und meine Weigerung. Es war
wuͤſt in mir, ich hatte weder Urtheil noch Faſſungsvermoͤ-
gen mehr.
Der Tag verging. Ich ſtillte meinen Hunger mit
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