Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Zschokke, Heinrich]: Geister und Geisterseher oder Leben und frühes Ende eines Nekromantisten. Küstrin, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite


Wilhelm Walter.
zeigt über halb neun, und wenn man wüßte,
daß eine iunge Mannsperson allein bei mir
auf meinem Zimmer wäre, und kein Mensch
hier sonst im Hause sei -- ich glaube die
Leute würden recht was Uebels von mir den-
ken. Doch lass' sie!" sezte sie hinzu und warf
sich lächelnd neben den verwandelten Schwarz-
künstler hin, der auch deswegen nicht böse
ward, daß er noch einige Zeit in solcher an-
genehmen Gesellschaft verzögern dürfte.

Der Wein machte ihn lebhaft und ge-
schwäzzig, er schäkerte und nekte und sie un-
terlies nicht wolbedächtig zu gewissen Augen-
blikken ihr altes Liedchen von vorn an zu
repetiren.

Hier werf' ich iedem meiner Leser die kri-
tische Gewissensfrage auf, was er in dieser
Lage gethan haben würde? -- man denke sich
eine iunge schlanke Dirne, im schönsten Rei-
ze ihrer Jugendblüte; schön gebaut, verfüh-
rerisch in ihren Reden, mit wollustschwerem
Blikke um ein Geheimnis bittend, welches
sie heilig zu verschweigen beschwor, (obgleich

Frauen-


Wilhelm Walter.
zeigt uͤber halb neun, und wenn man wuͤßte,
daß eine iunge Mannsperſon allein bei mir
auf meinem Zimmer waͤre, und kein Menſch
hier ſonſt im Hauſe ſei — ich glaube die
Leute wuͤrden recht was Uebels von mir den-
ken. Doch laſſ' ſie!“ ſezte ſie hinzu und warf
ſich laͤchelnd neben den verwandelten Schwarz-
kuͤnſtler hin, der auch deswegen nicht boͤſe
ward, daß er noch einige Zeit in ſolcher an-
genehmen Geſellſchaft verzoͤgern duͤrfte.

Der Wein machte ihn lebhaft und ge-
ſchwaͤzzig, er ſchaͤkerte und nekte und ſie un-
terlies nicht wolbedaͤchtig zu gewiſſen Augen-
blikken ihr altes Liedchen von vorn an zu
repetiren.

Hier werf' ich iedem meiner Leſer die kri-
tiſche Gewiſſensfrage auf, was er in dieſer
Lage gethan haben wuͤrde? — man denke ſich
eine iunge ſchlanke Dirne, im ſchoͤnſten Rei-
ze ihrer Jugendbluͤte; ſchoͤn gebaut, verfuͤh-
reriſch in ihren Reden, mit wolluſtſchwerem
Blikke um ein Geheimnis bittend, welches
ſie heilig zu verſchweigen beſchwor, (obgleich

Frauen-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0071" n="68"/><lb/>
<fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Wilhelm Walter</hi>.</fw><lb/>
zeigt u&#x0364;ber halb neun, und wenn man wu&#x0364;ßte,<lb/>
daß eine iunge Mannsper&#x017F;on allein bei mir<lb/>
auf meinem Zimmer wa&#x0364;re, und kein Men&#x017F;ch<lb/>
hier &#x017F;on&#x017F;t im Hau&#x017F;e &#x017F;ei &#x2014; ich glaube die<lb/>
Leute wu&#x0364;rden recht was Uebels von mir den-<lb/>
ken. Doch la&#x017F;&#x017F;' &#x017F;ie!&#x201C; &#x017F;ezte &#x017F;ie hinzu und warf<lb/>
&#x017F;ich la&#x0364;chelnd neben den verwandelten Schwarz-<lb/>
ku&#x0364;n&#x017F;tler hin, der auch deswegen nicht bo&#x0364;&#x017F;e<lb/>
ward, daß er noch einige Zeit in &#x017F;olcher an-<lb/>
genehmen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft verzo&#x0364;gern du&#x0364;rfte.</p><lb/>
        <p>Der Wein machte ihn lebhaft und ge-<lb/>
&#x017F;chwa&#x0364;zzig, er &#x017F;cha&#x0364;kerte und nekte und &#x017F;ie un-<lb/>
terlies nicht wolbeda&#x0364;chtig zu gewi&#x017F;&#x017F;en Augen-<lb/>
blikken ihr altes Liedchen von vorn an zu<lb/>
repetiren.</p><lb/>
        <p>Hier werf' ich iedem meiner Le&#x017F;er die kri-<lb/>
ti&#x017F;che Gewi&#x017F;&#x017F;ensfrage auf, was er in die&#x017F;er<lb/>
Lage gethan haben wu&#x0364;rde? &#x2014; man denke &#x017F;ich<lb/>
eine iunge &#x017F;chlanke Dirne, im &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Rei-<lb/>
ze ihrer Jugendblu&#x0364;te; &#x017F;cho&#x0364;n gebaut, verfu&#x0364;h-<lb/>
reri&#x017F;ch in ihren Reden, mit wollu&#x017F;t&#x017F;chwerem<lb/>
Blikke um ein Geheimnis bittend, welches<lb/>
&#x017F;ie heilig zu ver&#x017F;chweigen be&#x017F;chwor, (obgleich<lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">Frauen-</hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[68/0071] Wilhelm Walter. zeigt uͤber halb neun, und wenn man wuͤßte, daß eine iunge Mannsperſon allein bei mir auf meinem Zimmer waͤre, und kein Menſch hier ſonſt im Hauſe ſei — ich glaube die Leute wuͤrden recht was Uebels von mir den- ken. Doch laſſ' ſie!“ ſezte ſie hinzu und warf ſich laͤchelnd neben den verwandelten Schwarz- kuͤnſtler hin, der auch deswegen nicht boͤſe ward, daß er noch einige Zeit in ſolcher an- genehmen Geſellſchaft verzoͤgern duͤrfte. Der Wein machte ihn lebhaft und ge- ſchwaͤzzig, er ſchaͤkerte und nekte und ſie un- terlies nicht wolbedaͤchtig zu gewiſſen Augen- blikken ihr altes Liedchen von vorn an zu repetiren. Hier werf' ich iedem meiner Leſer die kri- tiſche Gewiſſensfrage auf, was er in dieſer Lage gethan haben wuͤrde? — man denke ſich eine iunge ſchlanke Dirne, im ſchoͤnſten Rei- ze ihrer Jugendbluͤte; ſchoͤn gebaut, verfuͤh- reriſch in ihren Reden, mit wolluſtſchwerem Blikke um ein Geheimnis bittend, welches ſie heilig zu verſchweigen beſchwor, (obgleich Frauen-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_geister_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_geister_1789/71
Zitationshilfe: [Zschokke, Heinrich]: Geister und Geisterseher oder Leben und frühes Ende eines Nekromantisten. Küstrin, 1789, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_geister_1789/71>, abgerufen am 12.12.2024.