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Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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die Scheide weg und fiel den Grafen an. Dieser vertheidigte sich mit vieler Kaltblütigkeit. Es währte der Zweikampf keine drei Minuten, da ward dem Vicomte der Degen mit gewaltiger Macht aus der Hand geschleudert, daß die Klinge weit weg in einen großen Wandspiegel flog, der in tausend Stücken zersplitterte.

Erbärmlicher Mensch! rief der Graf, dein Leben ist in meiner Macht. Ich möchte mich nicht mit deinem verächtlichen Blute besudeln. Fort aus dieser Atmosphäre und erscheine mir nicht wieder. Damit gab er dem Vicomte einen flachen Hieb über den Rücken und warf ihn mit Riesenstärke zur Thür hinaus.

Noch in derselben Nacht verließ der Vicomte de Vivienne mit seinen Leuten das Schloß.

Wie schwer gekränkt auch die junge Baronin durch die Unanständigkeiten des Vicomte gewesen, hatte sie doch in der Ehre, daß man ihretwillen die Degen gezogen, volle Entschädigung gefunden. Zwar hatte sie den Vicomte eigentlich nie geliebt, aber jetzt haßte sie ihn; -- hingegen der Graf, der ihr vorher nicht hübsch genug gewesen, schien ihr nun wirklich viel Angenehmes zu haben. Man muß sich über die plötzliche Verwandlung eben nicht wundern. Ist es doch bekannt: Liebe macht blind. Und die Selbstliebe der Eitelkeit ist ja auch eine Liebe.

Wie sie alles Vorgefallene von ihrem Vater erfahren hatte, suchte sie den Grafen mit einer freilich nur angenommenen Aengstlichkeit auf. Sie wußte

die Scheide weg und fiel den Grafen an. Dieser vertheidigte sich mit vieler Kaltblütigkeit. Es währte der Zweikampf keine drei Minuten, da ward dem Vicomte der Degen mit gewaltiger Macht aus der Hand geschleudert, daß die Klinge weit weg in einen großen Wandspiegel flog, der in tausend Stücken zersplitterte.

Erbärmlicher Mensch! rief der Graf, dein Leben ist in meiner Macht. Ich möchte mich nicht mit deinem verächtlichen Blute besudeln. Fort aus dieser Atmosphäre und erscheine mir nicht wieder. Damit gab er dem Vicomte einen flachen Hieb über den Rücken und warf ihn mit Riesenstärke zur Thür hinaus.

Noch in derselben Nacht verließ der Vicomte de Vivienne mit seinen Leuten das Schloß.

Wie schwer gekränkt auch die junge Baronin durch die Unanständigkeiten des Vicomte gewesen, hatte sie doch in der Ehre, daß man ihretwillen die Degen gezogen, volle Entschädigung gefunden. Zwar hatte sie den Vicomte eigentlich nie geliebt, aber jetzt haßte sie ihn; — hingegen der Graf, der ihr vorher nicht hübsch genug gewesen, schien ihr nun wirklich viel Angenehmes zu haben. Man muß sich über die plötzliche Verwandlung eben nicht wundern. Ist es doch bekannt: Liebe macht blind. Und die Selbstliebe der Eitelkeit ist ja auch eine Liebe.

Wie sie alles Vorgefallene von ihrem Vater erfahren hatte, suchte sie den Grafen mit einer freilich nur angenommenen Aengstlichkeit auf. Sie wußte

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[0091] die Scheide weg und fiel den Grafen an. Dieser vertheidigte sich mit vieler Kaltblütigkeit. Es währte der Zweikampf keine drei Minuten, da ward dem Vicomte der Degen mit gewaltiger Macht aus der Hand geschleudert, daß die Klinge weit weg in einen großen Wandspiegel flog, der in tausend Stücken zersplitterte. Erbärmlicher Mensch! rief der Graf, dein Leben ist in meiner Macht. Ich möchte mich nicht mit deinem verächtlichen Blute besudeln. Fort aus dieser Atmosphäre und erscheine mir nicht wieder. Damit gab er dem Vicomte einen flachen Hieb über den Rücken und warf ihn mit Riesenstärke zur Thür hinaus. Noch in derselben Nacht verließ der Vicomte de Vivienne mit seinen Leuten das Schloß. Wie schwer gekränkt auch die junge Baronin durch die Unanständigkeiten des Vicomte gewesen, hatte sie doch in der Ehre, daß man ihretwillen die Degen gezogen, volle Entschädigung gefunden. Zwar hatte sie den Vicomte eigentlich nie geliebt, aber jetzt haßte sie ihn; — hingegen der Graf, der ihr vorher nicht hübsch genug gewesen, schien ihr nun wirklich viel Angenehmes zu haben. Man muß sich über die plötzliche Verwandlung eben nicht wundern. Ist es doch bekannt: Liebe macht blind. Und die Selbstliebe der Eitelkeit ist ja auch eine Liebe. Wie sie alles Vorgefallene von ihrem Vater erfahren hatte, suchte sie den Grafen mit einer freilich nur angenommenen Aengstlichkeit auf. Sie wußte

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T14:15:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T14:15:44Z)

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Zitationshilfe: Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/91>, abgerufen am 22.11.2024.