Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Freude und Ehre nicht gönnest und mir nie gut gewesen bist. Meinethalben! sagte Christian, so geh! Du brichst ein treues Herz. Er warf ihr den von ihr empfangenen Ring vor die Füße und ging und kam nicht wieder. Henriette schluchzte laut, wollte ihn zurückrufen, allein der Vater tröstete sie. Der Abend kam. Sie kleidete sich zum Ball an. Die Zerstreuungen des Putzes machten sie bald des davongelaufenen Liebhabers vergessen. Ein Wagen rollte vor das Haus. Altenkreuz kam, sie abzuholen. Man fuhr davon. Ach, Henriette! sagte er im Wagen, du bist unendlich schöner, als ich glaubte. Du bist eine Göttin. Du bist für solchen Putz und nicht für deinen niedrigen Stand geboren! Das Fest war glänzend. Altenkreuz und Henriette erschienen diesen Abend schwarz, in altdeutscher Tracht. Beide zogen durch ihre Pracht Aller Augen an sich; denn sie übertrafen selbst die Pracht des Vicomte de Vivienne und der jungen Baronin von Roren, die sich durch die bunten Reihen, als Perser und Perserin, bewegten. Der Schwarze ist kein Anderer, als der Graf! sagte der Vicomte zu seiner Geliebten. Wozu nur der Narr die Larve vornimmt! Er kann doch seine Stangenfigur nicht verkürzen, mit der er eines Kopfes Länge über Alle wegragt. Um sich kenntlicher zu machen, bedarf dieser Ritter von der traurigen Gestalt Freude und Ehre nicht gönnest und mir nie gut gewesen bist. Meinethalben! sagte Christian, so geh! Du brichst ein treues Herz. Er warf ihr den von ihr empfangenen Ring vor die Füße und ging und kam nicht wieder. Henriette schluchzte laut, wollte ihn zurückrufen, allein der Vater tröstete sie. Der Abend kam. Sie kleidete sich zum Ball an. Die Zerstreuungen des Putzes machten sie bald des davongelaufenen Liebhabers vergessen. Ein Wagen rollte vor das Haus. Altenkreuz kam, sie abzuholen. Man fuhr davon. Ach, Henriette! sagte er im Wagen, du bist unendlich schöner, als ich glaubte. Du bist eine Göttin. Du bist für solchen Putz und nicht für deinen niedrigen Stand geboren! Das Fest war glänzend. Altenkreuz und Henriette erschienen diesen Abend schwarz, in altdeutscher Tracht. Beide zogen durch ihre Pracht Aller Augen an sich; denn sie übertrafen selbst die Pracht des Vicomte de Vivienne und der jungen Baronin von Roren, die sich durch die bunten Reihen, als Perser und Perserin, bewegten. Der Schwarze ist kein Anderer, als der Graf! sagte der Vicomte zu seiner Geliebten. Wozu nur der Narr die Larve vornimmt! Er kann doch seine Stangenfigur nicht verkürzen, mit der er eines Kopfes Länge über Alle wegragt. Um sich kenntlicher zu machen, bedarf dieser Ritter von der traurigen Gestalt <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="10"> <p><pb facs="#f0087"/> Freude und Ehre nicht gönnest und mir nie gut gewesen bist.</p><lb/> <p>Meinethalben! sagte Christian, so geh! Du brichst ein treues Herz. Er warf ihr den von ihr empfangenen Ring vor die Füße und ging und kam nicht wieder.</p><lb/> <p>Henriette schluchzte laut, wollte ihn zurückrufen, allein der Vater tröstete sie. Der Abend kam. Sie kleidete sich zum Ball an. Die Zerstreuungen des Putzes machten sie bald des davongelaufenen Liebhabers vergessen. Ein Wagen rollte vor das Haus. Altenkreuz kam, sie abzuholen. Man fuhr davon. Ach, Henriette! sagte er im Wagen, du bist unendlich schöner, als ich glaubte. Du bist eine Göttin. Du bist für solchen Putz und nicht für deinen niedrigen Stand geboren!</p><lb/> <p>Das Fest war glänzend. Altenkreuz und Henriette erschienen diesen Abend schwarz, in altdeutscher Tracht. Beide zogen durch ihre Pracht Aller Augen an sich; denn sie übertrafen selbst die Pracht des Vicomte de Vivienne und der jungen Baronin von Roren, die sich durch die bunten Reihen, als Perser und Perserin, bewegten.</p><lb/> <p>Der Schwarze ist kein Anderer, als der Graf! sagte der Vicomte zu seiner Geliebten. Wozu nur der Narr die Larve vornimmt! Er kann doch seine Stangenfigur nicht verkürzen, mit der er eines Kopfes Länge über Alle wegragt. Um sich kenntlicher zu machen, bedarf dieser Ritter von der traurigen Gestalt<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0087]
Freude und Ehre nicht gönnest und mir nie gut gewesen bist.
Meinethalben! sagte Christian, so geh! Du brichst ein treues Herz. Er warf ihr den von ihr empfangenen Ring vor die Füße und ging und kam nicht wieder.
Henriette schluchzte laut, wollte ihn zurückrufen, allein der Vater tröstete sie. Der Abend kam. Sie kleidete sich zum Ball an. Die Zerstreuungen des Putzes machten sie bald des davongelaufenen Liebhabers vergessen. Ein Wagen rollte vor das Haus. Altenkreuz kam, sie abzuholen. Man fuhr davon. Ach, Henriette! sagte er im Wagen, du bist unendlich schöner, als ich glaubte. Du bist eine Göttin. Du bist für solchen Putz und nicht für deinen niedrigen Stand geboren!
Das Fest war glänzend. Altenkreuz und Henriette erschienen diesen Abend schwarz, in altdeutscher Tracht. Beide zogen durch ihre Pracht Aller Augen an sich; denn sie übertrafen selbst die Pracht des Vicomte de Vivienne und der jungen Baronin von Roren, die sich durch die bunten Reihen, als Perser und Perserin, bewegten.
Der Schwarze ist kein Anderer, als der Graf! sagte der Vicomte zu seiner Geliebten. Wozu nur der Narr die Larve vornimmt! Er kann doch seine Stangenfigur nicht verkürzen, mit der er eines Kopfes Länge über Alle wegragt. Um sich kenntlicher zu machen, bedarf dieser Ritter von der traurigen Gestalt
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Zitationshilfe: | Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/87>, abgerufen am 16.02.2025. |