Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ihr das Nöthige angeschafft werde, um anständig zu kommen. Hier nehmet dies zur Bestreitung der Auslagen. Und er drückte dem Alten eine Rolle Goldstücke in die Hand und ging. Jetzt aber gab es stürmische Austritte in dem Hause des Schneiders; denn Christian, der Geselle, Henriettens Verlobter, ward fast toll, als er vernahm, wovon die Rede sei. Weder die tausend Liebkosungen des weinenden Mädchens, noch die Flüche und Schwüre des Alten konnten ihn wieder zur Vernunft bringen. Das dauerte den ganzen Tag. Henriette hatte eine schlaflose Nacht. Sie war dem Christian in vollem Ernste gut, aber sie konnte ihm doch unmöglich, wie er es trotzig forderte, die Gelegenheit aufopfern, einmal an einem Maskenball unter allen Vornehmen der Stadt und der Nachbarschaft, im höchsten Schmuck, wie sie ihn in ihrem Leben nicht getragen hatte, Bewunderung zu ernten. Er verlangte in der That auch beinahe das Unmögliche. Ja, sie konnte nicht anders, als glauben, er liebe sie nicht wahrhaft, weil er ihr eine solche Freude, die an sich höchst unschuldig war, mißgönnen mochte. Am andern Tage war Christian wohl etwas ruhiger, das heißt, er tobte nicht mehr so erschrecklich; aber doch wiederholte er immer drohend und warnend sein: Und du gehst nicht zum Ball! dem Henriette gewöhnlich eben so mürrisch entgegensetzte: Und ich gehe doch! worauf der Vater hinzuzusetzen pflegte: Und sie ihr das Nöthige angeschafft werde, um anständig zu kommen. Hier nehmet dies zur Bestreitung der Auslagen. Und er drückte dem Alten eine Rolle Goldstücke in die Hand und ging. Jetzt aber gab es stürmische Austritte in dem Hause des Schneiders; denn Christian, der Geselle, Henriettens Verlobter, ward fast toll, als er vernahm, wovon die Rede sei. Weder die tausend Liebkosungen des weinenden Mädchens, noch die Flüche und Schwüre des Alten konnten ihn wieder zur Vernunft bringen. Das dauerte den ganzen Tag. Henriette hatte eine schlaflose Nacht. Sie war dem Christian in vollem Ernste gut, aber sie konnte ihm doch unmöglich, wie er es trotzig forderte, die Gelegenheit aufopfern, einmal an einem Maskenball unter allen Vornehmen der Stadt und der Nachbarschaft, im höchsten Schmuck, wie sie ihn in ihrem Leben nicht getragen hatte, Bewunderung zu ernten. Er verlangte in der That auch beinahe das Unmögliche. Ja, sie konnte nicht anders, als glauben, er liebe sie nicht wahrhaft, weil er ihr eine solche Freude, die an sich höchst unschuldig war, mißgönnen mochte. Am andern Tage war Christian wohl etwas ruhiger, das heißt, er tobte nicht mehr so erschrecklich; aber doch wiederholte er immer drohend und warnend sein: Und du gehst nicht zum Ball! dem Henriette gewöhnlich eben so mürrisch entgegensetzte: Und ich gehe doch! worauf der Vater hinzuzusetzen pflegte: Und sie <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="10"> <p><pb facs="#f0085"/> ihr das Nöthige angeschafft werde, um anständig zu kommen. Hier nehmet dies zur Bestreitung der Auslagen. Und er drückte dem Alten eine Rolle Goldstücke in die Hand und ging.</p><lb/> <p>Jetzt aber gab es stürmische Austritte in dem Hause des Schneiders; denn Christian, der Geselle, Henriettens Verlobter, ward fast toll, als er vernahm, wovon die Rede sei. Weder die tausend Liebkosungen des weinenden Mädchens, noch die Flüche und Schwüre des Alten konnten ihn wieder zur Vernunft bringen. Das dauerte den ganzen Tag. Henriette hatte eine schlaflose Nacht. Sie war dem Christian in vollem Ernste gut, aber sie konnte ihm doch unmöglich, wie er es trotzig forderte, die Gelegenheit aufopfern, einmal an einem Maskenball unter allen Vornehmen der Stadt und der Nachbarschaft, im höchsten Schmuck, wie sie ihn in ihrem Leben nicht getragen hatte, Bewunderung zu ernten. Er verlangte in der That auch beinahe das Unmögliche. Ja, sie konnte nicht anders, als glauben, er liebe sie nicht wahrhaft, weil er ihr eine solche Freude, die an sich höchst unschuldig war, mißgönnen mochte.</p><lb/> <p>Am andern Tage war Christian wohl etwas ruhiger, das heißt, er tobte nicht mehr so erschrecklich; aber doch wiederholte er immer drohend und warnend sein: Und du gehst nicht zum Ball! dem Henriette gewöhnlich eben so mürrisch entgegensetzte: Und ich gehe doch! worauf der Vater hinzuzusetzen pflegte: Und sie<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0085]
ihr das Nöthige angeschafft werde, um anständig zu kommen. Hier nehmet dies zur Bestreitung der Auslagen. Und er drückte dem Alten eine Rolle Goldstücke in die Hand und ging.
Jetzt aber gab es stürmische Austritte in dem Hause des Schneiders; denn Christian, der Geselle, Henriettens Verlobter, ward fast toll, als er vernahm, wovon die Rede sei. Weder die tausend Liebkosungen des weinenden Mädchens, noch die Flüche und Schwüre des Alten konnten ihn wieder zur Vernunft bringen. Das dauerte den ganzen Tag. Henriette hatte eine schlaflose Nacht. Sie war dem Christian in vollem Ernste gut, aber sie konnte ihm doch unmöglich, wie er es trotzig forderte, die Gelegenheit aufopfern, einmal an einem Maskenball unter allen Vornehmen der Stadt und der Nachbarschaft, im höchsten Schmuck, wie sie ihn in ihrem Leben nicht getragen hatte, Bewunderung zu ernten. Er verlangte in der That auch beinahe das Unmögliche. Ja, sie konnte nicht anders, als glauben, er liebe sie nicht wahrhaft, weil er ihr eine solche Freude, die an sich höchst unschuldig war, mißgönnen mochte.
Am andern Tage war Christian wohl etwas ruhiger, das heißt, er tobte nicht mehr so erschrecklich; aber doch wiederholte er immer drohend und warnend sein: Und du gehst nicht zum Ball! dem Henriette gewöhnlich eben so mürrisch entgegensetzte: Und ich gehe doch! worauf der Vater hinzuzusetzen pflegte: Und sie
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Zitationshilfe: | Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/85>, abgerufen am 16.07.2024. |