Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Fort, rief Friederike, die Mama wird dich erwarten. Fort, ich mache meine Toilette und fahre mit euch. Sie stieß ihn zurück und drängte ihn zur Thür; aber an der Thür gab sie ihm einen Abschiedskuß. Wie ein Trunkener ging er und meldete der Frau Bantes Friederikens Entschluß. Sich selbst nicht empfindend, sank Friederike auf einen Sessel hin und verging im Traume ihrer Seligkeit und vergaß die Spazierfahrt. Der Wagen wartete. Frau Bantes ging endlich selbst, die Tochter zu holen. Diese saß träumend da, das Köpfchen von blonden Locken umringelt auf die Brust gesenkt, die gefalteten Hände im Schooß. Was sinnest du? oder betest du? fragte die Mama. Ich habe mit Gott gesprochen. Ist dir wohl? Wie einem Engel bei Gott. Dein Ernst, Riekchen? Du scheinst geweint zu haben? Ja, ich habe geweint. Aber ich bin nun glücklich, Mama. Kommen Sie zum Wagen. Ich nehme nur noch den Hut. Sie nahm den Hut und stellte sich vor den Spiegel, unter welchem das rosenrothe Seidenband lag, welches Waldrich um die Geburtstagsharfe geschlungen hatte. Sie nahm es und band es um ihren Leib als Schleife. Fort, rief Friederike, die Mama wird dich erwarten. Fort, ich mache meine Toilette und fahre mit euch. Sie stieß ihn zurück und drängte ihn zur Thür; aber an der Thür gab sie ihm einen Abschiedskuß. Wie ein Trunkener ging er und meldete der Frau Bantes Friederikens Entschluß. Sich selbst nicht empfindend, sank Friederike auf einen Sessel hin und verging im Traume ihrer Seligkeit und vergaß die Spazierfahrt. Der Wagen wartete. Frau Bantes ging endlich selbst, die Tochter zu holen. Diese saß träumend da, das Köpfchen von blonden Locken umringelt auf die Brust gesenkt, die gefalteten Hände im Schooß. Was sinnest du? oder betest du? fragte die Mama. Ich habe mit Gott gesprochen. Ist dir wohl? Wie einem Engel bei Gott. Dein Ernst, Riekchen? Du scheinst geweint zu haben? Ja, ich habe geweint. Aber ich bin nun glücklich, Mama. Kommen Sie zum Wagen. Ich nehme nur noch den Hut. Sie nahm den Hut und stellte sich vor den Spiegel, unter welchem das rosenrothe Seidenband lag, welches Waldrich um die Geburtstagsharfe geschlungen hatte. Sie nahm es und band es um ihren Leib als Schleife. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="9"> <pb facs="#f0058"/> <p>Fort, rief Friederike, die Mama wird dich erwarten. Fort, ich mache meine Toilette und fahre mit euch. Sie stieß ihn zurück und drängte ihn zur Thür; aber an der Thür gab sie ihm einen Abschiedskuß. Wie ein Trunkener ging er und meldete der Frau Bantes Friederikens Entschluß. Sich selbst nicht empfindend, sank Friederike auf einen Sessel hin und verging im Traume ihrer Seligkeit und vergaß die Spazierfahrt. Der Wagen wartete. Frau Bantes ging endlich selbst, die Tochter zu holen. Diese saß träumend da, das Köpfchen von blonden Locken umringelt auf die Brust gesenkt, die gefalteten Hände im Schooß.</p><lb/> <p>Was sinnest du? oder betest du? fragte die Mama.</p><lb/> <p>Ich habe mit Gott gesprochen.</p><lb/> <p>Ist dir wohl?</p><lb/> <p>Wie einem Engel bei Gott.</p><lb/> <p>Dein Ernst, Riekchen? Du scheinst geweint zu haben?</p><lb/> <p>Ja, ich habe geweint. Aber ich bin nun glücklich, Mama. Kommen Sie zum Wagen. Ich nehme nur noch den Hut.</p><lb/> <p>Sie nahm den Hut und stellte sich vor den Spiegel, unter welchem das rosenrothe Seidenband lag, welches Waldrich um die Geburtstagsharfe geschlungen hatte. Sie nahm es und band es um ihren Leib als Schleife.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0058]
Fort, rief Friederike, die Mama wird dich erwarten. Fort, ich mache meine Toilette und fahre mit euch. Sie stieß ihn zurück und drängte ihn zur Thür; aber an der Thür gab sie ihm einen Abschiedskuß. Wie ein Trunkener ging er und meldete der Frau Bantes Friederikens Entschluß. Sich selbst nicht empfindend, sank Friederike auf einen Sessel hin und verging im Traume ihrer Seligkeit und vergaß die Spazierfahrt. Der Wagen wartete. Frau Bantes ging endlich selbst, die Tochter zu holen. Diese saß träumend da, das Köpfchen von blonden Locken umringelt auf die Brust gesenkt, die gefalteten Hände im Schooß.
Was sinnest du? oder betest du? fragte die Mama.
Ich habe mit Gott gesprochen.
Ist dir wohl?
Wie einem Engel bei Gott.
Dein Ernst, Riekchen? Du scheinst geweint zu haben?
Ja, ich habe geweint. Aber ich bin nun glücklich, Mama. Kommen Sie zum Wagen. Ich nehme nur noch den Hut.
Sie nahm den Hut und stellte sich vor den Spiegel, unter welchem das rosenrothe Seidenband lag, welches Waldrich um die Geburtstagsharfe geschlungen hatte. Sie nahm es und band es um ihren Leib als Schleife.
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Zitationshilfe: | Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/58>, abgerufen am 16.07.2024. |