Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Joseph Heinrich Daniel Zschokke, geb. 22. März 1771 zu Magdeburg, entfloh von dem Gymnasium zu der Bühne, studirte dann, eroberte durch sein (vorrinaldinisches) Schauspiel "Abällino, der große Bandit" die bereits rinaldinische Bildung des damaligen Publicums, übernahm eine Erziehungsanstalt in Graubünden, wurde in Folge der Ereignisse von 1798 schweizerischer Staatsmann (dessen hochverdientes politisches Wirken als bekannt vorausgesetzt werden muß), versah eine Reihe höherer Aemter im Forst-, Berg-, Schul- und Kirchenwesen und entwickelte bis zu seinem Tode -- 27. Juni 1848 -- eine der vielseitigsten Thätigkeiten, die je ein Mensch ausgeübt hat, nicht bloß im praktischen Leben, sondern auch mit der Feder, und zwar als Geschichtschreiber, Volksschriftsteller, Fachschriftsteller, Erbauungsschriftsteller ("Stunden der Andacht"), Roman- und Novellendichter. Zwar einen Dichter im eigentlichen Sinn des Wortes kann man ihn kaum nennen; vielmehr ist es auch hier vornehmlich sein bewundernswürdiges praktisches Geschick, was ihn in den Stand setzte, jeder augenblicklichen Geschmacksrichtung des Publicums entgegen zu kommen. Besonders in den kleineren Erzählungen zeigt er ein sehr mannigfaltiges Talent, rührend, nachdenklich oder lustig, aber immer behaglich zu unterhalten, eine Gewandtheit, die verschiedensten Töne, von der Art des Vicar of Wakefield bis zu Clauren'scher Manier hin, anzuschlagen. Wenn in letzterer Hinsicht der sonst so gediegene Mann mitunter etwas frivol erscheint, so kommt dies fast mehr auf Rechnung der Zeit, als auf seine eigene, ist aber zugleich ein äußerst merkwürdiger Spiegel jener Zeit, die einem sonst so gediegenen Manne dergleichen Anforderungen stellen konnte. Vor Allem lehrreich ist es, sein Joseph Heinrich Daniel Zschokke, geb. 22. März 1771 zu Magdeburg, entfloh von dem Gymnasium zu der Bühne, studirte dann, eroberte durch sein (vorrinaldinisches) Schauspiel „Abällino, der große Bandit“ die bereits rinaldinische Bildung des damaligen Publicums, übernahm eine Erziehungsanstalt in Graubünden, wurde in Folge der Ereignisse von 1798 schweizerischer Staatsmann (dessen hochverdientes politisches Wirken als bekannt vorausgesetzt werden muß), versah eine Reihe höherer Aemter im Forst-, Berg-, Schul- und Kirchenwesen und entwickelte bis zu seinem Tode — 27. Juni 1848 — eine der vielseitigsten Thätigkeiten, die je ein Mensch ausgeübt hat, nicht bloß im praktischen Leben, sondern auch mit der Feder, und zwar als Geschichtschreiber, Volksschriftsteller, Fachschriftsteller, Erbauungsschriftsteller („Stunden der Andacht“), Roman- und Novellendichter. Zwar einen Dichter im eigentlichen Sinn des Wortes kann man ihn kaum nennen; vielmehr ist es auch hier vornehmlich sein bewundernswürdiges praktisches Geschick, was ihn in den Stand setzte, jeder augenblicklichen Geschmacksrichtung des Publicums entgegen zu kommen. Besonders in den kleineren Erzählungen zeigt er ein sehr mannigfaltiges Talent, rührend, nachdenklich oder lustig, aber immer behaglich zu unterhalten, eine Gewandtheit, die verschiedensten Töne, von der Art des Vicar of Wakefield bis zu Clauren'scher Manier hin, anzuschlagen. Wenn in letzterer Hinsicht der sonst so gediegene Mann mitunter etwas frivol erscheint, so kommt dies fast mehr auf Rechnung der Zeit, als auf seine eigene, ist aber zugleich ein äußerst merkwürdiger Spiegel jener Zeit, die einem sonst so gediegenen Manne dergleichen Anforderungen stellen konnte. Vor Allem lehrreich ist es, sein <TEI> <text> <front> <pb facs="#f0005"/> <div type="preface"> <p>Joseph Heinrich Daniel Zschokke, geb. 22. März 1771 zu Magdeburg, entfloh von dem Gymnasium zu der Bühne, studirte dann, eroberte durch sein (vorrinaldinisches) Schauspiel „Abällino, der große Bandit“ die bereits rinaldinische Bildung des damaligen Publicums, übernahm eine Erziehungsanstalt in Graubünden, wurde in Folge der Ereignisse von 1798 schweizerischer Staatsmann (dessen hochverdientes politisches Wirken als bekannt vorausgesetzt werden muß), versah eine Reihe höherer Aemter im Forst-, Berg-, Schul- und Kirchenwesen und entwickelte bis zu seinem Tode — 27. Juni 1848 — eine der vielseitigsten Thätigkeiten, die je ein Mensch ausgeübt hat, nicht bloß im praktischen Leben, sondern auch mit der Feder, und zwar als Geschichtschreiber, Volksschriftsteller, Fachschriftsteller, Erbauungsschriftsteller („Stunden der Andacht“), Roman- und Novellendichter. Zwar einen Dichter im eigentlichen Sinn des Wortes kann man ihn kaum nennen; vielmehr ist es auch hier vornehmlich sein bewundernswürdiges praktisches Geschick, was ihn in den Stand setzte, jeder augenblicklichen Geschmacksrichtung des Publicums entgegen zu kommen. Besonders in den kleineren Erzählungen zeigt er ein sehr mannigfaltiges Talent, rührend, nachdenklich oder lustig, aber immer behaglich zu unterhalten, eine Gewandtheit, die verschiedensten Töne, von der Art des Vicar of Wakefield bis zu Clauren'scher Manier hin, anzuschlagen. Wenn in letzterer Hinsicht der sonst so gediegene Mann mitunter etwas frivol erscheint, so kommt dies fast mehr auf Rechnung der Zeit, als auf seine eigene, ist aber zugleich ein äußerst merkwürdiger Spiegel jener Zeit, die einem sonst so gediegenen Manne dergleichen Anforderungen stellen konnte. Vor Allem lehrreich ist es, sein<lb/></p> </div> </front> </text> </TEI> [0005]
Joseph Heinrich Daniel Zschokke, geb. 22. März 1771 zu Magdeburg, entfloh von dem Gymnasium zu der Bühne, studirte dann, eroberte durch sein (vorrinaldinisches) Schauspiel „Abällino, der große Bandit“ die bereits rinaldinische Bildung des damaligen Publicums, übernahm eine Erziehungsanstalt in Graubünden, wurde in Folge der Ereignisse von 1798 schweizerischer Staatsmann (dessen hochverdientes politisches Wirken als bekannt vorausgesetzt werden muß), versah eine Reihe höherer Aemter im Forst-, Berg-, Schul- und Kirchenwesen und entwickelte bis zu seinem Tode — 27. Juni 1848 — eine der vielseitigsten Thätigkeiten, die je ein Mensch ausgeübt hat, nicht bloß im praktischen Leben, sondern auch mit der Feder, und zwar als Geschichtschreiber, Volksschriftsteller, Fachschriftsteller, Erbauungsschriftsteller („Stunden der Andacht“), Roman- und Novellendichter. Zwar einen Dichter im eigentlichen Sinn des Wortes kann man ihn kaum nennen; vielmehr ist es auch hier vornehmlich sein bewundernswürdiges praktisches Geschick, was ihn in den Stand setzte, jeder augenblicklichen Geschmacksrichtung des Publicums entgegen zu kommen. Besonders in den kleineren Erzählungen zeigt er ein sehr mannigfaltiges Talent, rührend, nachdenklich oder lustig, aber immer behaglich zu unterhalten, eine Gewandtheit, die verschiedensten Töne, von der Art des Vicar of Wakefield bis zu Clauren'scher Manier hin, anzuschlagen. Wenn in letzterer Hinsicht der sonst so gediegene Mann mitunter etwas frivol erscheint, so kommt dies fast mehr auf Rechnung der Zeit, als auf seine eigene, ist aber zugleich ein äußerst merkwürdiger Spiegel jener Zeit, die einem sonst so gediegenen Manne dergleichen Anforderungen stellen konnte. Vor Allem lehrreich ist es, sein
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/5 |
Zitationshilfe: | Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/5>, abgerufen am 16.07.2024. |