Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.wissen ja, Polizeibeamte und Aerzte haben das Vorrecht, indiscrete Fragen zu thun. Und bekannt ist Ihnen, daß der todte Gast ganz besonders im Rufe steht, Frauenzimmer wetterschnell zu bezaubern; eine Kunst, die ich Ihnen übrigens gerne zutraue, ohne Sie für todt zu halten. Herr von Hahn schwieg ein Weilchen; endlich sagte er: Herr Bürgermeister, ich fange bald an, mich vor Ihnen mehr zu fürchten, als sich Ihre ganze löbliche Bürgerschaft vor meinem schwarzen Rock fürchten kann. Ihnen müssen die Wände ausplaudern können; denn ich war diesen Morgen mit dem liebenswürdigen Fräulein Bantes nur eine kurze Zeit allein, wenn Sie mit dem Worte Vertrautwerden darauf anspielen. Erlauben Sie mir aber, eben über diesen Punkt zu schweigen. Entweder Ihre Wände haben Ihnen den Inhalt meiner Unterredung ausgeplaudert, dann kennen Sie ihn; oder nicht: dann geziemt es mir nicht, darüber den Vorhang wegzuziehen, falls Fräulein Bantes es nicht mit eigener Hand thun will. Der Bürgermeister zeigte mit einer sanften Neigung des Hauptes an, daß er nicht weiter in ihn dringen wolle, sondern wandte das Gespräch: Bleiben Sie noch lange bei uns, Herr von Hahn? Ich reise schon morgen wieder ab. Meine Geschäfte sind hier beendigt, und wahrhaftig, es ist doch auch gar zu unlustig, den Poltergeist spielen zu müssen. Der Zufall hat wohl noch keinen Sterblichen übler wissen ja, Polizeibeamte und Aerzte haben das Vorrecht, indiscrete Fragen zu thun. Und bekannt ist Ihnen, daß der todte Gast ganz besonders im Rufe steht, Frauenzimmer wetterschnell zu bezaubern; eine Kunst, die ich Ihnen übrigens gerne zutraue, ohne Sie für todt zu halten. Herr von Hahn schwieg ein Weilchen; endlich sagte er: Herr Bürgermeister, ich fange bald an, mich vor Ihnen mehr zu fürchten, als sich Ihre ganze löbliche Bürgerschaft vor meinem schwarzen Rock fürchten kann. Ihnen müssen die Wände ausplaudern können; denn ich war diesen Morgen mit dem liebenswürdigen Fräulein Bantes nur eine kurze Zeit allein, wenn Sie mit dem Worte Vertrautwerden darauf anspielen. Erlauben Sie mir aber, eben über diesen Punkt zu schweigen. Entweder Ihre Wände haben Ihnen den Inhalt meiner Unterredung ausgeplaudert, dann kennen Sie ihn; oder nicht: dann geziemt es mir nicht, darüber den Vorhang wegzuziehen, falls Fräulein Bantes es nicht mit eigener Hand thun will. Der Bürgermeister zeigte mit einer sanften Neigung des Hauptes an, daß er nicht weiter in ihn dringen wolle, sondern wandte das Gespräch: Bleiben Sie noch lange bei uns, Herr von Hahn? Ich reise schon morgen wieder ab. Meine Geschäfte sind hier beendigt, und wahrhaftig, es ist doch auch gar zu unlustig, den Poltergeist spielen zu müssen. Der Zufall hat wohl noch keinen Sterblichen übler <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="16"> <p><pb facs="#f0145"/> wissen ja, Polizeibeamte und Aerzte haben das Vorrecht, indiscrete Fragen zu thun. Und bekannt ist Ihnen, daß der todte Gast ganz besonders im Rufe steht, Frauenzimmer wetterschnell zu bezaubern; eine Kunst, die ich Ihnen übrigens gerne zutraue, ohne Sie für todt zu halten.</p><lb/> <p>Herr von Hahn schwieg ein Weilchen; endlich sagte er: Herr Bürgermeister, ich fange bald an, mich vor Ihnen mehr zu fürchten, als sich Ihre ganze löbliche Bürgerschaft vor meinem schwarzen Rock fürchten kann. Ihnen müssen die Wände ausplaudern können; denn ich war diesen Morgen mit dem liebenswürdigen Fräulein Bantes nur eine kurze Zeit allein, wenn Sie mit dem Worte Vertrautwerden darauf anspielen. Erlauben Sie mir aber, eben über diesen Punkt zu schweigen. Entweder Ihre Wände haben Ihnen den Inhalt meiner Unterredung ausgeplaudert, dann kennen Sie ihn; oder nicht: dann geziemt es mir nicht, darüber den Vorhang wegzuziehen, falls Fräulein Bantes es nicht mit eigener Hand thun will.</p><lb/> <p>Der Bürgermeister zeigte mit einer sanften Neigung des Hauptes an, daß er nicht weiter in ihn dringen wolle, sondern wandte das Gespräch: Bleiben Sie noch lange bei uns, Herr von Hahn?</p><lb/> <p>Ich reise schon morgen wieder ab. Meine Geschäfte sind hier beendigt, und wahrhaftig, es ist doch auch gar zu unlustig, den Poltergeist spielen zu müssen. Der Zufall hat wohl noch keinen Sterblichen übler<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0145]
wissen ja, Polizeibeamte und Aerzte haben das Vorrecht, indiscrete Fragen zu thun. Und bekannt ist Ihnen, daß der todte Gast ganz besonders im Rufe steht, Frauenzimmer wetterschnell zu bezaubern; eine Kunst, die ich Ihnen übrigens gerne zutraue, ohne Sie für todt zu halten.
Herr von Hahn schwieg ein Weilchen; endlich sagte er: Herr Bürgermeister, ich fange bald an, mich vor Ihnen mehr zu fürchten, als sich Ihre ganze löbliche Bürgerschaft vor meinem schwarzen Rock fürchten kann. Ihnen müssen die Wände ausplaudern können; denn ich war diesen Morgen mit dem liebenswürdigen Fräulein Bantes nur eine kurze Zeit allein, wenn Sie mit dem Worte Vertrautwerden darauf anspielen. Erlauben Sie mir aber, eben über diesen Punkt zu schweigen. Entweder Ihre Wände haben Ihnen den Inhalt meiner Unterredung ausgeplaudert, dann kennen Sie ihn; oder nicht: dann geziemt es mir nicht, darüber den Vorhang wegzuziehen, falls Fräulein Bantes es nicht mit eigener Hand thun will.
Der Bürgermeister zeigte mit einer sanften Neigung des Hauptes an, daß er nicht weiter in ihn dringen wolle, sondern wandte das Gespräch: Bleiben Sie noch lange bei uns, Herr von Hahn?
Ich reise schon morgen wieder ab. Meine Geschäfte sind hier beendigt, und wahrhaftig, es ist doch auch gar zu unlustig, den Poltergeist spielen zu müssen. Der Zufall hat wohl noch keinen Sterblichen übler
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/145 |
Zitationshilfe: | Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/145>, abgerufen am 16.02.2025. |