Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.troff. Alle rannten bleich und athemlos davon. Nur eine Alte, deren Fußwerk nicht mehr gehorchen mochte, drängte sich mit dem Rücken hinterwärts gegen den hohen Brunnenpfeiler, als wollte sie ihn umstürzen, schlug mit der dürren Hand vor sich Kreuze über Kreuze, sperrte die Lippen von einander und stierte ihn mit Augen der Verzweiflung auf eine stechende Weise an, während ihr Haar auf dem Kopfe emporstieg. So steht man eine vom Hund angebellte Katze, den krummen Rücken ganz in sich hineingezogen, das Haar gesträubt, das Maul offen, mit durchbohrenden Blicken jeder Bewegung des Bellenden folgend. Verdrießlich über die närrischen Leute wandte Herr von Hahn sich ab und ging geradezu in das Haus mit dem Balkon. Er war am rechten Orte. Der Bürgermeister, ein kleiner, feiner, gewandter Mann, empfing ihn sehr artig oben an der Treppe und führte ihn ins Zimmer. Sie haben mich zu sich rufen lassen, sagte Herr von Hahn, und in der That, ich komme gern, denn ich hoffe, bei Ihnen mir Räthsel lösen zu können. Ich bin erst seit gestern in Ihrer Stadt und gestehe, hier habe ich schon mehr Abenteuer erlebt, als sonst auf allen Reisen. Ich glaub' es! sagte lächelnd der Bürgermeister. Ich habe davon gehört, und einigemal sogar das Unglaubliche. Sie sind der Herr von Hahn, Sohn des Banquier aus der Hauptstadt; haben Verbindungen troff. Alle rannten bleich und athemlos davon. Nur eine Alte, deren Fußwerk nicht mehr gehorchen mochte, drängte sich mit dem Rücken hinterwärts gegen den hohen Brunnenpfeiler, als wollte sie ihn umstürzen, schlug mit der dürren Hand vor sich Kreuze über Kreuze, sperrte die Lippen von einander und stierte ihn mit Augen der Verzweiflung auf eine stechende Weise an, während ihr Haar auf dem Kopfe emporstieg. So steht man eine vom Hund angebellte Katze, den krummen Rücken ganz in sich hineingezogen, das Haar gesträubt, das Maul offen, mit durchbohrenden Blicken jeder Bewegung des Bellenden folgend. Verdrießlich über die närrischen Leute wandte Herr von Hahn sich ab und ging geradezu in das Haus mit dem Balkon. Er war am rechten Orte. Der Bürgermeister, ein kleiner, feiner, gewandter Mann, empfing ihn sehr artig oben an der Treppe und führte ihn ins Zimmer. Sie haben mich zu sich rufen lassen, sagte Herr von Hahn, und in der That, ich komme gern, denn ich hoffe, bei Ihnen mir Räthsel lösen zu können. Ich bin erst seit gestern in Ihrer Stadt und gestehe, hier habe ich schon mehr Abenteuer erlebt, als sonst auf allen Reisen. Ich glaub' es! sagte lächelnd der Bürgermeister. Ich habe davon gehört, und einigemal sogar das Unglaubliche. Sie sind der Herr von Hahn, Sohn des Banquier aus der Hauptstadt; haben Verbindungen <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="16"> <p><pb facs="#f0139"/> troff. Alle rannten bleich und athemlos davon. Nur eine Alte, deren Fußwerk nicht mehr gehorchen mochte, drängte sich mit dem Rücken hinterwärts gegen den hohen Brunnenpfeiler, als wollte sie ihn umstürzen, schlug mit der dürren Hand vor sich Kreuze über Kreuze, sperrte die Lippen von einander und stierte ihn mit Augen der Verzweiflung auf eine stechende Weise an, während ihr Haar auf dem Kopfe emporstieg. So steht man eine vom Hund angebellte Katze, den krummen Rücken ganz in sich hineingezogen, das Haar gesträubt, das Maul offen, mit durchbohrenden Blicken jeder Bewegung des Bellenden folgend.</p><lb/> <p>Verdrießlich über die närrischen Leute wandte Herr von Hahn sich ab und ging geradezu in das Haus mit dem Balkon. Er war am rechten Orte. Der Bürgermeister, ein kleiner, feiner, gewandter Mann, empfing ihn sehr artig oben an der Treppe und führte ihn ins Zimmer.</p><lb/> <p>Sie haben mich zu sich rufen lassen, sagte Herr von Hahn, und in der That, ich komme gern, denn ich hoffe, bei Ihnen mir Räthsel lösen zu können. Ich bin erst seit gestern in Ihrer Stadt und gestehe, hier habe ich schon mehr Abenteuer erlebt, als sonst auf allen Reisen.</p><lb/> <p>Ich glaub' es! sagte lächelnd der Bürgermeister. Ich habe davon gehört, und einigemal sogar das Unglaubliche. Sie sind der Herr von Hahn, Sohn des Banquier aus der Hauptstadt; haben Verbindungen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0139]
troff. Alle rannten bleich und athemlos davon. Nur eine Alte, deren Fußwerk nicht mehr gehorchen mochte, drängte sich mit dem Rücken hinterwärts gegen den hohen Brunnenpfeiler, als wollte sie ihn umstürzen, schlug mit der dürren Hand vor sich Kreuze über Kreuze, sperrte die Lippen von einander und stierte ihn mit Augen der Verzweiflung auf eine stechende Weise an, während ihr Haar auf dem Kopfe emporstieg. So steht man eine vom Hund angebellte Katze, den krummen Rücken ganz in sich hineingezogen, das Haar gesträubt, das Maul offen, mit durchbohrenden Blicken jeder Bewegung des Bellenden folgend.
Verdrießlich über die närrischen Leute wandte Herr von Hahn sich ab und ging geradezu in das Haus mit dem Balkon. Er war am rechten Orte. Der Bürgermeister, ein kleiner, feiner, gewandter Mann, empfing ihn sehr artig oben an der Treppe und führte ihn ins Zimmer.
Sie haben mich zu sich rufen lassen, sagte Herr von Hahn, und in der That, ich komme gern, denn ich hoffe, bei Ihnen mir Räthsel lösen zu können. Ich bin erst seit gestern in Ihrer Stadt und gestehe, hier habe ich schon mehr Abenteuer erlebt, als sonst auf allen Reisen.
Ich glaub' es! sagte lächelnd der Bürgermeister. Ich habe davon gehört, und einigemal sogar das Unglaubliche. Sie sind der Herr von Hahn, Sohn des Banquier aus der Hauptstadt; haben Verbindungen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/139 |
Zitationshilfe: | Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/139>, abgerufen am 16.02.2025. |