Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Wahrhaftig, lieber gäb' ich dich dem ärmsten Bettler auf der Gasse -- ist's doch ein lebendiger Mensch! -- als dem Gespenst, dem Satan. Gute und schlimme Wirkungen. Friederike schlief unter schönen Träumen die Nacht, Herr Bantes äußerst unruhig. Die schwarze, bleiche Figur, deren Mondgesicht durch das schwarze Kopfhaar und den starken schwarzen Backenbart ihm so fürchterlich hervorblickte, schwebte ihm auch vor verschlossenen Augen sichtbar. Friederike hegte hingegen für den gespensterhaften Unbekannten recht dankbare Gesinnungen, daß er ihren Vater so schleunig bekehrt und in der Angst dem lieben Waldrich zugewandt hatte. Am andern Morgen, sobald Herr Bantes mit den Seinigen gefrühstückt hatte, begab er sich zum Amtsbürgermeister -- dies war das Ergebniß nächtlicher Ueberlegungen -- und bat diesen, gegen den Unbekannten Polizeimaßregeln zu versuchen, um ihn aus der Stadt zu entfernen. Er erzählte ihm nun offen, was sich gestern, ehe er in die Abendgesellschaft gekommen, in seinem Hause zugetragen habe, und wie seine Frau und Tochter schon halb und halb in ihren Sinnen benebelt wären; daß sie den todten Gast für den angekündigten Sohn des Banquiers Hahn hielten, ungeachtet der junge Banquier, um Bräutigamsrollen zu spielen, nicht dazu das Aeußere des bekannten Ge- Wahrhaftig, lieber gäb' ich dich dem ärmsten Bettler auf der Gasse — ist's doch ein lebendiger Mensch! — als dem Gespenst, dem Satan. Gute und schlimme Wirkungen. Friederike schlief unter schönen Träumen die Nacht, Herr Bantes äußerst unruhig. Die schwarze, bleiche Figur, deren Mondgesicht durch das schwarze Kopfhaar und den starken schwarzen Backenbart ihm so fürchterlich hervorblickte, schwebte ihm auch vor verschlossenen Augen sichtbar. Friederike hegte hingegen für den gespensterhaften Unbekannten recht dankbare Gesinnungen, daß er ihren Vater so schleunig bekehrt und in der Angst dem lieben Waldrich zugewandt hatte. Am andern Morgen, sobald Herr Bantes mit den Seinigen gefrühstückt hatte, begab er sich zum Amtsbürgermeister — dies war das Ergebniß nächtlicher Ueberlegungen — und bat diesen, gegen den Unbekannten Polizeimaßregeln zu versuchen, um ihn aus der Stadt zu entfernen. Er erzählte ihm nun offen, was sich gestern, ehe er in die Abendgesellschaft gekommen, in seinem Hause zugetragen habe, und wie seine Frau und Tochter schon halb und halb in ihren Sinnen benebelt wären; daß sie den todten Gast für den angekündigten Sohn des Banquiers Hahn hielten, ungeachtet der junge Banquier, um Bräutigamsrollen zu spielen, nicht dazu das Aeußere des bekannten Ge- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="13"> <pb facs="#f0125"/> <p>Wahrhaftig, lieber gäb' ich dich dem ärmsten Bettler auf der Gasse — ist's doch ein lebendiger Mensch! — als dem Gespenst, dem Satan.</p><lb/> </div> <div type="chapter" n="14"> <head>Gute und schlimme Wirkungen.</head> <p>Friederike schlief unter schönen Träumen die Nacht, Herr Bantes äußerst unruhig. Die schwarze, bleiche Figur, deren Mondgesicht durch das schwarze Kopfhaar und den starken schwarzen Backenbart ihm so fürchterlich hervorblickte, schwebte ihm auch vor verschlossenen Augen sichtbar. Friederike hegte hingegen für den gespensterhaften Unbekannten recht dankbare Gesinnungen, daß er ihren Vater so schleunig bekehrt und in der Angst dem lieben Waldrich zugewandt hatte.</p><lb/> <p>Am andern Morgen, sobald Herr Bantes mit den Seinigen gefrühstückt hatte, begab er sich zum Amtsbürgermeister — dies war das Ergebniß nächtlicher Ueberlegungen — und bat diesen, gegen den Unbekannten Polizeimaßregeln zu versuchen, um ihn aus der Stadt zu entfernen. Er erzählte ihm nun offen, was sich gestern, ehe er in die Abendgesellschaft gekommen, in seinem Hause zugetragen habe, und wie seine Frau und Tochter schon halb und halb in ihren Sinnen benebelt wären; daß sie den todten Gast für den angekündigten Sohn des Banquiers Hahn hielten, ungeachtet der junge Banquier, um Bräutigamsrollen zu spielen, nicht dazu das Aeußere des bekannten Ge-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0125]
Wahrhaftig, lieber gäb' ich dich dem ärmsten Bettler auf der Gasse — ist's doch ein lebendiger Mensch! — als dem Gespenst, dem Satan.
Gute und schlimme Wirkungen. Friederike schlief unter schönen Träumen die Nacht, Herr Bantes äußerst unruhig. Die schwarze, bleiche Figur, deren Mondgesicht durch das schwarze Kopfhaar und den starken schwarzen Backenbart ihm so fürchterlich hervorblickte, schwebte ihm auch vor verschlossenen Augen sichtbar. Friederike hegte hingegen für den gespensterhaften Unbekannten recht dankbare Gesinnungen, daß er ihren Vater so schleunig bekehrt und in der Angst dem lieben Waldrich zugewandt hatte.
Am andern Morgen, sobald Herr Bantes mit den Seinigen gefrühstückt hatte, begab er sich zum Amtsbürgermeister — dies war das Ergebniß nächtlicher Ueberlegungen — und bat diesen, gegen den Unbekannten Polizeimaßregeln zu versuchen, um ihn aus der Stadt zu entfernen. Er erzählte ihm nun offen, was sich gestern, ehe er in die Abendgesellschaft gekommen, in seinem Hause zugetragen habe, und wie seine Frau und Tochter schon halb und halb in ihren Sinnen benebelt wären; daß sie den todten Gast für den angekündigten Sohn des Banquiers Hahn hielten, ungeachtet der junge Banquier, um Bräutigamsrollen zu spielen, nicht dazu das Aeußere des bekannten Ge-
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Zitationshilfe: | Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/125>, abgerufen am 16.02.2025. |