Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ihren Gemahl, wie ihre Tochter, mit gleicher Zärtlichkeit im Herzen umschloß, hoffte wenig, fürchtete wenig; sie überließ die Entscheidung dem Himmel. Waldrich war ihr lieb, wie ein angenommener Sohn; aber auch der Herr von Hahn war ihr durch die erhaltenen Anzeigen und durch die Vorliebe ihres Gatten schätzbar. Sie wollte nur ihrer Tochter Glück, gleichviel, durch wessen Hand es gegeben werden könne. Die Ueberraschung. Ach, der arme Waldrich! sagte Friederike am Sonntage, da sie mit ihrer Mutter aus der Kirche gekommen war und nun plaudernd mit ihr im warmen Zimmer am Fenster saß und auf die öden Straßen hinabsah, die von Regenströmen rauschten: Wenn er nur jetzt nicht unterwegs ist! Es wäre bisher das schönste Wetter zur Reise gewesen, und nun er fort ist, muß auch das übelste eintreffen. Ein Soldat soll Alles ertragen können! antwortete Frau Bantes, und willst du eines Soldaten Frau werden, so gewöhne dich zeitig an den Gedanken, daß dein Mann dem König mehr als dir, der Ehre mehr als der Liebe, dem Feldlager mehr als dem Hause gehört, und daß, wenn andern Männern nur ein Tod nachlauscht, dem Soldaten hundert Tode aufpassen. Darum wäre ich nie eine Soldatenfrau geworden. ihren Gemahl, wie ihre Tochter, mit gleicher Zärtlichkeit im Herzen umschloß, hoffte wenig, fürchtete wenig; sie überließ die Entscheidung dem Himmel. Waldrich war ihr lieb, wie ein angenommener Sohn; aber auch der Herr von Hahn war ihr durch die erhaltenen Anzeigen und durch die Vorliebe ihres Gatten schätzbar. Sie wollte nur ihrer Tochter Glück, gleichviel, durch wessen Hand es gegeben werden könne. Die Ueberraschung. Ach, der arme Waldrich! sagte Friederike am Sonntage, da sie mit ihrer Mutter aus der Kirche gekommen war und nun plaudernd mit ihr im warmen Zimmer am Fenster saß und auf die öden Straßen hinabsah, die von Regenströmen rauschten: Wenn er nur jetzt nicht unterwegs ist! Es wäre bisher das schönste Wetter zur Reise gewesen, und nun er fort ist, muß auch das übelste eintreffen. Ein Soldat soll Alles ertragen können! antwortete Frau Bantes, und willst du eines Soldaten Frau werden, so gewöhne dich zeitig an den Gedanken, daß dein Mann dem König mehr als dir, der Ehre mehr als der Liebe, dem Feldlager mehr als dem Hause gehört, und daß, wenn andern Männern nur ein Tod nachlauscht, dem Soldaten hundert Tode aufpassen. Darum wäre ich nie eine Soldatenfrau geworden. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="11"> <p><pb facs="#f0108"/> ihren Gemahl, wie ihre Tochter, mit gleicher Zärtlichkeit im Herzen umschloß, hoffte wenig, fürchtete wenig; sie überließ die Entscheidung dem Himmel. Waldrich war ihr lieb, wie ein angenommener Sohn; aber auch der Herr von Hahn war ihr durch die erhaltenen Anzeigen und durch die Vorliebe ihres Gatten schätzbar. Sie wollte nur ihrer Tochter Glück, gleichviel, durch wessen Hand es gegeben werden könne.</p><lb/> </div> <div type="chapter" n="12"> <head>Die Ueberraschung.</head> <p>Ach, der arme Waldrich! sagte Friederike am Sonntage, da sie mit ihrer Mutter aus der Kirche gekommen war und nun plaudernd mit ihr im warmen Zimmer am Fenster saß und auf die öden Straßen hinabsah, die von Regenströmen rauschten: Wenn er nur jetzt nicht unterwegs ist! Es wäre bisher das schönste Wetter zur Reise gewesen, und nun er fort ist, muß auch das übelste eintreffen.</p><lb/> <p>Ein Soldat soll Alles ertragen können! antwortete Frau Bantes, und willst du eines Soldaten Frau werden, so gewöhne dich zeitig an den Gedanken, daß dein Mann dem König mehr als dir, der Ehre mehr als der Liebe, dem Feldlager mehr als dem Hause gehört, und daß, wenn andern Männern nur ein Tod nachlauscht, dem Soldaten hundert Tode aufpassen. Darum wäre ich nie eine Soldatenfrau geworden.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0108]
ihren Gemahl, wie ihre Tochter, mit gleicher Zärtlichkeit im Herzen umschloß, hoffte wenig, fürchtete wenig; sie überließ die Entscheidung dem Himmel. Waldrich war ihr lieb, wie ein angenommener Sohn; aber auch der Herr von Hahn war ihr durch die erhaltenen Anzeigen und durch die Vorliebe ihres Gatten schätzbar. Sie wollte nur ihrer Tochter Glück, gleichviel, durch wessen Hand es gegeben werden könne.
Die Ueberraschung. Ach, der arme Waldrich! sagte Friederike am Sonntage, da sie mit ihrer Mutter aus der Kirche gekommen war und nun plaudernd mit ihr im warmen Zimmer am Fenster saß und auf die öden Straßen hinabsah, die von Regenströmen rauschten: Wenn er nur jetzt nicht unterwegs ist! Es wäre bisher das schönste Wetter zur Reise gewesen, und nun er fort ist, muß auch das übelste eintreffen.
Ein Soldat soll Alles ertragen können! antwortete Frau Bantes, und willst du eines Soldaten Frau werden, so gewöhne dich zeitig an den Gedanken, daß dein Mann dem König mehr als dir, der Ehre mehr als der Liebe, dem Feldlager mehr als dem Hause gehört, und daß, wenn andern Männern nur ein Tod nachlauscht, dem Soldaten hundert Tode aufpassen. Darum wäre ich nie eine Soldatenfrau geworden.
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Zitationshilfe: | Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/108>, abgerufen am 16.02.2025. |