Zollikofer, Georg Joachim: Andachtsübungen und Gebete zum Privatgebrauche für nachdenkende und gutgesinnte Christen. Leipzig, 1785.Wie muß man nachdenken? zu kommen? Kommen aber nicht alle diese An-lagen und Fähigkeiten und Kräfte und Begier- den und Wünsche von Gott, und wird er, der Allweise, der Allmächtige, sein Werk unvollendet lassen, und Erwartungen und Hoffnungen in uns erregen, die er nie zu erfüllen gedenket? Stimmen nicht diese Erwartungen mit allem, was wir von Gott und seinen Eigenschaften wissen, auf das schönste überein? Ist nicht fer- ner der Mensch ein moralisches Geschöpf, das unter der Aufsicht und Regierung eines gerech- ten Richters und Vergelters steht, und sind wohl hier seine Schicksale immer und völlig seinem Verhalten angemessen? Und was kann, was muß ich wohl aus allem, was ich in der Welt, unter den Menschen, sehe und beobachte, schlies- sen? Sehe ich nicht allenthalben weit mehr Ver- anstaltungen und Zurüstungen als Vollendung, weit mehr Vorbereitung als Genuß; allenthal- ben Schulen und Uebungen der Weisheit und der Tugend, aber wenig reife Früchte derselben; allenthalben Mittel zu höhern Endzwecken, und mühsames Streben nach denselben, aber kein Ziel, das dieser Mittel und dieser Bestrebungen werth wäre? Finde ich nicht allenthalben lauter Unordnung, lauter Verwirrung, lauter Wider- spruch
Wie muß man nachdenken? zu kommen? Kommen aber nicht alle dieſe An-lagen und Fähigkeiten und Kräfte und Begier- den und Wünſche von Gott, und wird er, der Allweiſe, der Allmächtige, ſein Werk unvollendet laſſen, und Erwartungen und Hoffnungen in uns erregen, die er nie zu erfüllen gedenket? Stimmen nicht dieſe Erwartungen mit allem, was wir von Gott und ſeinen Eigenſchaften wiſſen, auf das ſchönſte überein? Iſt nicht fer- ner der Menſch ein moraliſches Geſchöpf, das unter der Aufſicht und Regierung eines gerech- ten Richters und Vergelters ſteht, und ſind wohl hier ſeine Schickſale immer und völlig ſeinem Verhalten angemeſſen? Und was kann, was muß ich wohl aus allem, was ich in der Welt, unter den Menſchen, ſehe und beobachte, ſchlieſ- ſen? Sehe ich nicht allenthalben weit mehr Ver- anſtaltungen und Zurüſtungen als Vollendung, weit mehr Vorbereitung als Genuß; allenthal- ben Schulen und Uebungen der Weisheit und der Tugend, aber wenig reife Früchte derſelben; allenthalben Mittel zu höhern Endzwecken, und mühſames Streben nach denſelben, aber kein Ziel, das dieſer Mittel und dieſer Beſtrebungen werth wäre? Finde ich nicht allenthalben lauter Unordnung, lauter Verwirrung, lauter Wider- ſpruch
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Wie muß man nachdenken?
zu kommen? Kommen aber nicht alle dieſe An-
lagen und Fähigkeiten und Kräfte und Begier-
den und Wünſche von Gott, und wird er, der
Allweiſe, der Allmächtige, ſein Werk unvollendet
laſſen, und Erwartungen und Hoffnungen in
uns erregen, die er nie zu erfüllen gedenket?
Stimmen nicht dieſe Erwartungen mit allem,
was wir von Gott und ſeinen Eigenſchaften
wiſſen, auf das ſchönſte überein? Iſt nicht fer-
ner der Menſch ein moraliſches Geſchöpf, das
unter der Aufſicht und Regierung eines gerech-
ten Richters und Vergelters ſteht, und ſind wohl
hier ſeine Schickſale immer und völlig ſeinem
Verhalten angemeſſen? Und was kann, was
muß ich wohl aus allem, was ich in der Welt,
unter den Menſchen, ſehe und beobachte, ſchlieſ-
ſen? Sehe ich nicht allenthalben weit mehr Ver-
anſtaltungen und Zurüſtungen als Vollendung,
weit mehr Vorbereitung als Genuß; allenthal-
ben Schulen und Uebungen der Weisheit und
der Tugend, aber wenig reife Früchte derſelben;
allenthalben Mittel zu höhern Endzwecken, und
mühſames Streben nach denſelben, aber kein
Ziel, das dieſer Mittel und dieſer Beſtrebungen
werth wäre? Finde ich nicht allenthalben lauter
Unordnung, lauter Verwirrung, lauter Wider-
ſpruch
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