Lehre mit dem, was ich sonst erfahren, bemerket, beobachtet habe, mit dem, was ich für ausge- machte, unleugbare Wahrheit halte, überein? Wie paßt sie gleichsam zu meinen übrigen Kennt- nissen und Einsichten? Wie hängt sie mit den- selben zusammen? Was lehret mich die Ver- nunft, was lehret mich die Schrift darüber? Was denken andere, vorzüglich verständige und weise Menschen davon?
Also: warum glaube ich z. B. daß mein Geist unsterblich ist, daß ein Stand der Ver- geltung auf mich wartet? Was sagt mein Ver- stand, was sagt mein Herz zu dieser Lehre? Klä- ret sie nicht jenem tausend Dinge auf, die ihm sonst ganz räthselhaft blieben? Verschafft sie nicht diesem die Beruhigung, die es sonst nirgends sin- den könnte? Ist sie nicht in der Natur meines Geistes gegründet, der immer vollkommener werden kann, und immer nach größerer Voll- kommenheit strebet? Hat er nicht große, edle An- lagen und Fähigkeiten, die hier nie ganz entwi- ckelt und ausgebildet werden? Hat er nicht Be- gierden, die keine irrdische Güter befriedigen können? Ist er nicht fähig, mit Gott Gemein- schaft zu haben, und belebet ihn nicht der sehn- lichste Wunsch, diesem erhabensten Wesen näher
zu
Erster Theil. B
Wie muß man nachdenken?
Lehre mit dem, was ich ſonſt erfahren, bemerket, beobachtet habe, mit dem, was ich für ausge- machte, unleugbare Wahrheit halte, überein? Wie paßt ſie gleichſam zu meinen übrigen Kennt- niſſen und Einſichten? Wie hängt ſie mit den- ſelben zuſammen? Was lehret mich die Ver- nunft, was lehret mich die Schrift darüber? Was denken andere, vorzüglich verſtändige und weiſe Menſchen davon?
Alſo: warum glaube ich z. B. daß mein Geiſt unſterblich iſt, daß ein Stand der Ver- geltung auf mich wartet? Was ſagt mein Ver- ſtand, was ſagt mein Herz zu dieſer Lehre? Klä- ret ſie nicht jenem tauſend Dinge auf, die ihm ſonſt ganz räthſelhaft blieben? Verſchafft ſie nicht dieſem die Beruhigung, die es ſonſt nirgends ſin- den könnte? Iſt ſie nicht in der Natur meines Geiſtes gegründet, der immer vollkommener werden kann, und immer nach größerer Voll- kommenheit ſtrebet? Hat er nicht große, edle An- lagen und Fähigkeiten, die hier nie ganz entwi- ckelt und ausgebildet werden? Hat er nicht Be- gierden, die keine irrdiſche Güter befriedigen können? Iſt er nicht fähig, mit Gott Gemein- ſchaft zu haben, und belebet ihn nicht der ſehn- lichſte Wunſch, dieſem erhabenſten Weſen näher
zu
Erſter Theil. B
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Wie muß man nachdenken?
Lehre mit dem, was ich ſonſt erfahren, bemerket,
beobachtet habe, mit dem, was ich für ausge-
machte, unleugbare Wahrheit halte, überein?
Wie paßt ſie gleichſam zu meinen übrigen Kennt-
niſſen und Einſichten? Wie hängt ſie mit den-
ſelben zuſammen? Was lehret mich die Ver-
nunft, was lehret mich die Schrift darüber?
Was denken andere, vorzüglich verſtändige und
weiſe Menſchen davon?
Alſo: warum glaube ich z. B. daß mein
Geiſt unſterblich iſt, daß ein Stand der Ver-
geltung auf mich wartet? Was ſagt mein Ver-
ſtand, was ſagt mein Herz zu dieſer Lehre? Klä-
ret ſie nicht jenem tauſend Dinge auf, die ihm
ſonſt ganz räthſelhaft blieben? Verſchafft ſie nicht
dieſem die Beruhigung, die es ſonſt nirgends ſin-
den könnte? Iſt ſie nicht in der Natur meines
Geiſtes gegründet, der immer vollkommener
werden kann, und immer nach größerer Voll-
kommenheit ſtrebet? Hat er nicht große, edle An-
lagen und Fähigkeiten, die hier nie ganz entwi-
ckelt und ausgebildet werden? Hat er nicht Be-
gierden, die keine irrdiſche Güter befriedigen
können? Iſt er nicht fähig, mit Gott Gemein-
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Erſter Theil. B
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Zollikofer, Georg Joachim: Andachtsübungen und Gebete zum Privatgebrauche für nachdenkende und gutgesinnte Christen. Leipzig, 1785, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zollikofer_andachtsuebungen01_1785/39>, abgerufen am 23.07.2024.
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