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Zollikofer, Georg Joachim: Andachtsübungen und Gebete zum Privatgebrauche für nachdenkende und gutgesinnte Christen. Leipzig, 1785.

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Wider die Trägheit.

Was haben nicht Menschen, Menschen,
die mir in allem gleich sind, mit ihren geistigen
und körperlichen Kräften schon ausgerichtet?
Was richten sie nicht noch täglich damit aus?
Und ich sollte ähnliche Kräfte besitzen, und we-
nig oder nichts damit ausrichten? Müßte ich
mich nicht vor mir selbst, und vor meinen Brü-
dern schämen?

Bin ich denn der Gesellschaft, in welcher
ich lebe, nichts schuldig? Könnte ich ohne sie
bestehen und glücklich seyn? Empfange ich
nicht täglich mancherley Hülfe und Dienstlei-
stungen von ihr? Sind nicht täglich hundert
und wieder hundert Menschen zu meinem Nu-
tzen und Vergnügen beschäfftiget? Soll ich
denn nur empfangen und genießen, nie wieder-
geben und vergelten? Von lauter Wohltha-
ten leben, und meine Wohlthäter mit Un-
dank lohnen?

Soll ich auf eine, mehr mechanische, als
eines freyen vernünftigen Geschöpfes würdige,
Weise, mich immer damit befriedigen, äußere
Dinge, andre Menschen, auf mich wirken zu
lassen, ihre Eindrücke anzunehmen, und ihrem
Stoße blindlings zu folgen, und nie das Ver-
gnügen genießen, auch wieder auf sie zu wirken

und
Wider die Trägheit.

Was haben nicht Menſchen, Menſchen,
die mir in allem gleich ſind, mit ihren geiſtigen
und körperlichen Kräften ſchon ausgerichtet?
Was richten ſie nicht noch täglich damit aus?
Und ich ſollte ähnliche Kräfte beſitzen, und we-
nig oder nichts damit ausrichten? Müßte ich
mich nicht vor mir ſelbſt, und vor meinen Brü-
dern ſchämen?

Bin ich denn der Geſellſchaft, in welcher
ich lebe, nichts ſchuldig? Könnte ich ohne ſie
beſtehen und glücklich ſeyn? Empfange ich
nicht täglich mancherley Hülfe und Dienſtlei-
ſtungen von ihr? Sind nicht täglich hundert
und wieder hundert Menſchen zu meinem Nu-
tzen und Vergnügen beſchäfftiget? Soll ich
denn nur empfangen und genießen, nie wieder-
geben und vergelten? Von lauter Wohltha-
ten leben, und meine Wohlthäter mit Un-
dank lohnen?

Soll ich auf eine, mehr mechaniſche, als
eines freyen vernünftigen Geſchöpfes würdige,
Weiſe, mich immer damit befriedigen, äußere
Dinge, andre Menſchen, auf mich wirken zu
laſſen, ihre Eindrücke anzunehmen, und ihrem
Stoße blindlings zu folgen, und nie das Ver-
gnügen genießen, auch wieder auf ſie zu wirken

und
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[262/0284] Wider die Trägheit. Was haben nicht Menſchen, Menſchen, die mir in allem gleich ſind, mit ihren geiſtigen und körperlichen Kräften ſchon ausgerichtet? Was richten ſie nicht noch täglich damit aus? Und ich ſollte ähnliche Kräfte beſitzen, und we- nig oder nichts damit ausrichten? Müßte ich mich nicht vor mir ſelbſt, und vor meinen Brü- dern ſchämen? Bin ich denn der Geſellſchaft, in welcher ich lebe, nichts ſchuldig? Könnte ich ohne ſie beſtehen und glücklich ſeyn? Empfange ich nicht täglich mancherley Hülfe und Dienſtlei- ſtungen von ihr? Sind nicht täglich hundert und wieder hundert Menſchen zu meinem Nu- tzen und Vergnügen beſchäfftiget? Soll ich denn nur empfangen und genießen, nie wieder- geben und vergelten? Von lauter Wohltha- ten leben, und meine Wohlthäter mit Un- dank lohnen? Soll ich auf eine, mehr mechaniſche, als eines freyen vernünftigen Geſchöpfes würdige, Weiſe, mich immer damit befriedigen, äußere Dinge, andre Menſchen, auf mich wirken zu laſſen, ihre Eindrücke anzunehmen, und ihrem Stoße blindlings zu folgen, und nie das Ver- gnügen genießen, auch wieder auf ſie zu wirken und

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Zitationshilfe: Zollikofer, Georg Joachim: Andachtsübungen und Gebete zum Privatgebrauche für nachdenkende und gutgesinnte Christen. Leipzig, 1785, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zollikofer_andachtsuebungen01_1785/284>, abgerufen am 02.10.2024.