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Zollikofer, Georg Joachim: Andachtsübungen und Gebete zum Privatgebrauche für nachdenkende und gutgesinnte Christen. Leipzig, 1785.

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und Versuchungen des Tages.

Vielleicht wird der Anblick irgend eines
Glücklichern, eines Mächtigern, eines Gesun-
dern und Stärkern, mich zum Neide, oder
zur Unzufriedenheit versuchen. Aber kann
wahre, christliche Menschenliebe in meinem Her-
zen wohnen, wenn ich nicht alles Schöne und
Gute, was ich an andern erblicke, mit aufrich-
tigem Wohlgefallen ansehe und betrachte?
Kann ich ein vernünftiger und gehorsamer Unter-
than Gottes seyn, wenn ich seine alles leitende
und bestimmende Regierung tadle, wenn ich
mit der Art und Weise, wie die höchste Weis-
heit Gutes und Böses, Glück und Unglück
unter die Menschen austheilet, nicht zufrie-
den bin?

Vielleicht werde ich irgend einen kleinern
oder größern Gewinn, einige äußere Vortheile,
die mit der strengen Rechtschaffenheit nicht be-
stehen können, aufopfern, und sie einem an-
dern, der weniger gewissenhaft, oder weniger
nachdenkend ist, überlassen müssen. Aber soll
mir denn das Bewußtseyn, recht und gut ge-
handelt zu haben, und der Friede und die
Ruhe, die mich dann beseligen, nicht mehr
werth seyn, als alle vergängliche Güter und
Vortheile, die ich nicht ohne geheime Beschä-

mung
und Verſuchungen des Tages.

Vielleicht wird der Anblick irgend eines
Glücklichern, eines Mächtigern, eines Geſun-
dern und Stärkern, mich zum Neide, oder
zur Unzufriedenheit verſuchen. Aber kann
wahre, chriſtliche Menſchenliebe in meinem Her-
zen wohnen, wenn ich nicht alles Schöne und
Gute, was ich an andern erblicke, mit aufrich-
tigem Wohlgefallen anſehe und betrachte?
Kann ich ein vernünftiger und gehorſamer Unter-
than Gottes ſeyn, wenn ich ſeine alles leitende
und beſtimmende Regierung tadle, wenn ich
mit der Art und Weiſe, wie die höchſte Weis-
heit Gutes und Böſes, Glück und Unglück
unter die Menſchen austheilet, nicht zufrie-
den bin?

Vielleicht werde ich irgend einen kleinern
oder größern Gewinn, einige äußere Vortheile,
die mit der ſtrengen Rechtſchaffenheit nicht be-
ſtehen können, aufopfern, und ſie einem an-
dern, der weniger gewiſſenhaft, oder weniger
nachdenkend iſt, überlaſſen müſſen. Aber ſoll
mir denn das Bewußtſeyn, recht und gut ge-
handelt zu haben, und der Friede und die
Ruhe, die mich dann beſeligen, nicht mehr
werth ſeyn, als alle vergängliche Güter und
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[251/0273] und Verſuchungen des Tages. Vielleicht wird der Anblick irgend eines Glücklichern, eines Mächtigern, eines Geſun- dern und Stärkern, mich zum Neide, oder zur Unzufriedenheit verſuchen. Aber kann wahre, chriſtliche Menſchenliebe in meinem Her- zen wohnen, wenn ich nicht alles Schöne und Gute, was ich an andern erblicke, mit aufrich- tigem Wohlgefallen anſehe und betrachte? Kann ich ein vernünftiger und gehorſamer Unter- than Gottes ſeyn, wenn ich ſeine alles leitende und beſtimmende Regierung tadle, wenn ich mit der Art und Weiſe, wie die höchſte Weis- heit Gutes und Böſes, Glück und Unglück unter die Menſchen austheilet, nicht zufrie- den bin? Vielleicht werde ich irgend einen kleinern oder größern Gewinn, einige äußere Vortheile, die mit der ſtrengen Rechtſchaffenheit nicht be- ſtehen können, aufopfern, und ſie einem an- dern, der weniger gewiſſenhaft, oder weniger nachdenkend iſt, überlaſſen müſſen. Aber ſoll mir denn das Bewußtſeyn, recht und gut ge- handelt zu haben, und der Friede und die Ruhe, die mich dann beſeligen, nicht mehr werth ſeyn, als alle vergängliche Güter und Vortheile, die ich nicht ohne geheime Beſchä- mung

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Zitationshilfe: Zollikofer, Georg Joachim: Andachtsübungen und Gebete zum Privatgebrauche für nachdenkende und gutgesinnte Christen. Leipzig, 1785, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zollikofer_andachtsuebungen01_1785/273>, abgerufen am 25.11.2024.