Als Erbe der Unsterblichkeit, soll ich mehr auf das Unsichtbare als auf das Sicht- bare sehen; mein gegenwärtiges Leben als ei- nen Stand der Erziehung, der Uebung, der Vorbereitung betrachten und gebrauchen; nach immer reinerer Tugend, nach immer höherer Vollkommenheit streben; mich in Rücksicht auf alles Irrdische und Vergängliche der weisen Mäßigung befleißigen, und schon itzt so den- ken, so urtheilen, so gesinnet seyn, und mich so verhalten lernen, wie es sich für einen Bür- ger der bessern Welt, für einen Menschen schi- cket, dessen Vaterland im Himmel ist.
Gott, wie wichtig ist mein Beruf! Wel- che Aufmerksamkeit, welche Sorgfalt, welcher Eifer, welche Standhaftigkeit gehören nicht dazu, um demselben ein Genüge zu leisten! Wo soll ich die nöthigen Kräfte dazu herneh- men? Wie meine Pflicht erfüllen, wenn du mich nicht selbst unterstützest? Doch, du bist Vater, du forderst nicht mehr von uns, als wir zu leisten vermögen. Nie verlangest du, gleich einem strengen Herrn, da zu erndten, wo du nicht gesäet hast. Nein, du hast Pflich- ten und Kräfte und Mittel weislich und gütig gegen einander abgewogen, und wenn du jene
unabläßig
Pflichten nach den verſchiedenen
Als Erbe der Unſterblichkeit, ſoll ich mehr auf das Unſichtbare als auf das Sicht- bare ſehen; mein gegenwärtiges Leben als ei- nen Stand der Erziehung, der Uebung, der Vorbereitung betrachten und gebrauchen; nach immer reinerer Tugend, nach immer höherer Vollkommenheit ſtreben; mich in Rückſicht auf alles Irrdiſche und Vergängliche der weiſen Mäßigung befleißigen, und ſchon itzt ſo den- ken, ſo urtheilen, ſo geſinnet ſeyn, und mich ſo verhalten lernen, wie es ſich für einen Bür- ger der beſſern Welt, für einen Menſchen ſchi- cket, deſſen Vaterland im Himmel iſt.
Gott, wie wichtig iſt mein Beruf! Wel- che Aufmerkſamkeit, welche Sorgfalt, welcher Eifer, welche Standhaftigkeit gehören nicht dazu, um demſelben ein Genüge zu leiſten! Wo ſoll ich die nöthigen Kräfte dazu herneh- men? Wie meine Pflicht erfüllen, wenn du mich nicht ſelbſt unterſtützeſt? Doch, du biſt Vater, du forderſt nicht mehr von uns, als wir zu leiſten vermögen. Nie verlangeſt du, gleich einem ſtrengen Herrn, da zu erndten, wo du nicht geſäet haſt. Nein, du haſt Pflich- ten und Kräfte und Mittel weislich und gütig gegen einander abgewogen, und wenn du jene
unabläßig
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Pflichten nach den verſchiedenen
Als Erbe der Unſterblichkeit, ſoll ich
mehr auf das Unſichtbare als auf das Sicht-
bare ſehen; mein gegenwärtiges Leben als ei-
nen Stand der Erziehung, der Uebung, der
Vorbereitung betrachten und gebrauchen; nach
immer reinerer Tugend, nach immer höherer
Vollkommenheit ſtreben; mich in Rückſicht auf
alles Irrdiſche und Vergängliche der weiſen
Mäßigung befleißigen, und ſchon itzt ſo den-
ken, ſo urtheilen, ſo geſinnet ſeyn, und mich
ſo verhalten lernen, wie es ſich für einen Bür-
ger der beſſern Welt, für einen Menſchen ſchi-
cket, deſſen Vaterland im Himmel iſt.
Gott, wie wichtig iſt mein Beruf! Wel-
che Aufmerkſamkeit, welche Sorgfalt, welcher
Eifer, welche Standhaftigkeit gehören nicht
dazu, um demſelben ein Genüge zu leiſten!
Wo ſoll ich die nöthigen Kräfte dazu herneh-
men? Wie meine Pflicht erfüllen, wenn du
mich nicht ſelbſt unterſtützeſt? Doch, du biſt
Vater, du forderſt nicht mehr von uns, als
wir zu leiſten vermögen. Nie verlangeſt du,
gleich einem ſtrengen Herrn, da zu erndten,
wo du nicht geſäet haſt. Nein, du haſt Pflich-
ten und Kräfte und Mittel weislich und gütig
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Zollikofer, Georg Joachim: Andachtsübungen und Gebete zum Privatgebrauche für nachdenkende und gutgesinnte Christen. Leipzig, 1785, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zollikofer_andachtsuebungen01_1785/220>, abgerufen am 28.07.2024.
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