Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite
III.
Die Traditionen des Heidenthums.

Die Gesammtheit der den biblisch-urgeschichtlichen Ueberlieferungen
zur Seite gehenden mythischen Parallelberichte des älteren und neueren
Heidenthums kann hier nicht behandelt werden. Wollten wir so
weit greifen, wir würden unsre Darstellung unnöthigerweise belasten
und den Hauptpunkt, um den es sich handelt, vielmehr verdunkeln,
statt helleres Licht über ihn zu verbreiten. Die mythischen Tra-
ditionen betreffend die Weltschöpfung, den Sündenfall, die Sintfluth
und den Thurmbau sind zwar von mittelbarem Belang für unsre
Frage, sofern sie im Allgemeinen ein gewisses Zeugniß für die Ur-
sprünglichkeit der biblischen Berichte und für eine Ureinheit des
Menschengeschlechts ablegen. Wichtiger indessen für unsre Aufgabe
sind die auf den paradiesischen Unschuldsstand, die absteigende
Stufenreihe der Weltalter mit ihren allmählig sich verkürzenden
Lebensdauern, sowie die in diesen Degradationsproceß verflochtenen
frühesten Culturfortschritte im Bereiche der Erfindungen
und Künste bezüglichen heidnischen Sagen. Wir folgen bei ihrer
Aufzählung einem geographischen Eintheilungsprincip, anhebend mit
dem fernen Osten und schließend mit der hellenisch-römischen Cultur-
welt und dem auf sie gefolgten neueren europäischen Völkerleben.
Den sehr verschiednen Werth der einzelnen Ueberlieferungen, ihr
bald hoch hinaufreichendes, bald ziemlich junges Alter geben wir von
vornherein zu. Wir glauben aber trotz dieser theilweisen kritischen
Anfechtbarkeit des zusammenzustellenden Materials eine Unabhängigkeit

III.
Die Traditionen des Heidenthums.

Die Geſammtheit der den bibliſch-urgeſchichtlichen Ueberlieferungen
zur Seite gehenden mythiſchen Parallelberichte des älteren und neueren
Heidenthums kann hier nicht behandelt werden. Wollten wir ſo
weit greifen, wir würden unſre Darſtellung unnöthigerweiſe belaſten
und den Hauptpunkt, um den es ſich handelt, vielmehr verdunkeln,
ſtatt helleres Licht über ihn zu verbreiten. Die mythiſchen Tra-
ditionen betreffend die Weltſchöpfung, den Sündenfall, die Sintfluth
und den Thurmbau ſind zwar von mittelbarem Belang für unſre
Frage, ſofern ſie im Allgemeinen ein gewiſſes Zeugniß für die Ur-
ſprünglichkeit der bibliſchen Berichte und für eine Ureinheit des
Menſchengeſchlechts ablegen. Wichtiger indeſſen für unſre Aufgabe
ſind die auf den paradieſiſchen Unſchuldsſtand, die abſteigende
Stufenreihe der Weltalter mit ihren allmählig ſich verkürzenden
Lebensdauern, ſowie die in dieſen Degradationsproceß verflochtenen
früheſten Culturfortſchritte im Bereiche der Erfindungen
und Künſte bezüglichen heidniſchen Sagen. Wir folgen bei ihrer
Aufzählung einem geographiſchen Eintheilungsprincip, anhebend mit
dem fernen Oſten und ſchließend mit der helleniſch-römiſchen Cultur-
welt und dem auf ſie gefolgten neueren europäiſchen Völkerleben.
Den ſehr verſchiednen Werth der einzelnen Ueberlieferungen, ihr
bald hoch hinaufreichendes, bald ziemlich junges Alter geben wir von
vornherein zu. Wir glauben aber trotz dieſer theilweiſen kritiſchen
Anfechtbarkeit des zuſammenzuſtellenden Materials eine Unabhängigkeit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0094" n="[84]"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">III.</hi><lb/>
Die Traditionen des Heidenthums.</hi> </head><lb/>
        <p>Die Ge&#x017F;ammtheit der den bibli&#x017F;ch-urge&#x017F;chichtlichen Ueberlieferungen<lb/>
zur Seite gehenden mythi&#x017F;chen Parallelberichte des älteren und neueren<lb/>
Heidenthums kann hier nicht behandelt werden. Wollten wir &#x017F;o<lb/>
weit greifen, wir würden un&#x017F;re Dar&#x017F;tellung unnöthigerwei&#x017F;e bela&#x017F;ten<lb/>
und den Hauptpunkt, um den es &#x017F;ich handelt, vielmehr verdunkeln,<lb/>
&#x017F;tatt helleres Licht über ihn zu verbreiten. Die mythi&#x017F;chen Tra-<lb/>
ditionen betreffend die Welt&#x017F;chöpfung, den Sündenfall, die Sintfluth<lb/>
und den Thurmbau &#x017F;ind zwar von mittelbarem Belang für un&#x017F;re<lb/>
Frage, &#x017F;ofern &#x017F;ie im Allgemeinen ein gewi&#x017F;&#x017F;es Zeugniß für die Ur-<lb/>
&#x017F;prünglichkeit der bibli&#x017F;chen Berichte und für eine Ureinheit des<lb/>
Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechts ablegen. Wichtiger inde&#x017F;&#x017F;en für un&#x017F;re Aufgabe<lb/>
&#x017F;ind die auf den paradie&#x017F;i&#x017F;chen <hi rendition="#g">Un&#x017F;chulds&#x017F;tand,</hi> die ab&#x017F;teigende<lb/>
Stufenreihe der <hi rendition="#g">Weltalter</hi> mit ihren allmählig &#x017F;ich verkürzenden<lb/>
Lebensdauern, &#x017F;owie die in die&#x017F;en Degradationsproceß verflochtenen<lb/><hi rendition="#g">frühe&#x017F;ten Culturfort&#x017F;chritte</hi> im Bereiche der Erfindungen<lb/>
und Kün&#x017F;te bezüglichen heidni&#x017F;chen Sagen. Wir folgen bei ihrer<lb/>
Aufzählung einem geographi&#x017F;chen Eintheilungsprincip, anhebend mit<lb/>
dem fernen O&#x017F;ten und &#x017F;chließend mit der helleni&#x017F;ch-römi&#x017F;chen Cultur-<lb/>
welt und dem auf &#x017F;ie gefolgten neueren europäi&#x017F;chen Völkerleben.<lb/>
Den &#x017F;ehr ver&#x017F;chiednen Werth der einzelnen Ueberlieferungen, ihr<lb/>
bald hoch hinaufreichendes, bald ziemlich junges Alter geben wir von<lb/>
vornherein zu. Wir glauben aber trotz die&#x017F;er theilwei&#x017F;en kriti&#x017F;chen<lb/>
Anfechtbarkeit des zu&#x017F;ammenzu&#x017F;tellenden Materials eine Unabhängigkeit<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[84]/0094] III. Die Traditionen des Heidenthums. Die Geſammtheit der den bibliſch-urgeſchichtlichen Ueberlieferungen zur Seite gehenden mythiſchen Parallelberichte des älteren und neueren Heidenthums kann hier nicht behandelt werden. Wollten wir ſo weit greifen, wir würden unſre Darſtellung unnöthigerweiſe belaſten und den Hauptpunkt, um den es ſich handelt, vielmehr verdunkeln, ſtatt helleres Licht über ihn zu verbreiten. Die mythiſchen Tra- ditionen betreffend die Weltſchöpfung, den Sündenfall, die Sintfluth und den Thurmbau ſind zwar von mittelbarem Belang für unſre Frage, ſofern ſie im Allgemeinen ein gewiſſes Zeugniß für die Ur- ſprünglichkeit der bibliſchen Berichte und für eine Ureinheit des Menſchengeſchlechts ablegen. Wichtiger indeſſen für unſre Aufgabe ſind die auf den paradieſiſchen Unſchuldsſtand, die abſteigende Stufenreihe der Weltalter mit ihren allmählig ſich verkürzenden Lebensdauern, ſowie die in dieſen Degradationsproceß verflochtenen früheſten Culturfortſchritte im Bereiche der Erfindungen und Künſte bezüglichen heidniſchen Sagen. Wir folgen bei ihrer Aufzählung einem geographiſchen Eintheilungsprincip, anhebend mit dem fernen Oſten und ſchließend mit der helleniſch-römiſchen Cultur- welt und dem auf ſie gefolgten neueren europäiſchen Völkerleben. Den ſehr verſchiednen Werth der einzelnen Ueberlieferungen, ihr bald hoch hinaufreichendes, bald ziemlich junges Alter geben wir von vornherein zu. Wir glauben aber trotz dieſer theilweiſen kritiſchen Anfechtbarkeit des zuſammenzuſtellenden Materials eine Unabhängigkeit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/94
Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. [84]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/94>, abgerufen am 22.12.2024.