8 ff. Vornehmlich aber hat dasselbe, im 1. Kapitel des Römer- briefs (V. 18--32), vom Entstehungsprocesse des Götzendiensts nach seiner inneren Seite und nach seinem Zusammenhange mit den viel- fältigen, von Geschlecht zu Geschlecht sich steigernden zuerst natür- lichen, dann immer unnatürlicheren Lastern des Heidenthums ein ebenso lebensgetreues als erschütterndes Bild entworfen.
Diesen biblischen Gemälden von der absteigenden Entwicklung der ältesten Menschheit in biologischer wie in religiös-ethischer Hin- sicht erscheinen aber zugleich bedeutsame Züge einverleibt, welche ein Aufwärtssteigen ebenderselben zu allmähliger Erfüllung ihrer Cultur- aufgaben trotz eingerissener sittlicher Corruption andeuten. Denn darin bleibt ja der Mensch Gottes Bild, trotz sündiger Abirrung von seinen Wegen, daß er sich als Beherrscher der irdischen Natur und ihrer Kräfte je mehr und mehr geltend macht; das "Bauen und Bewahren" bleibt seine Aufgabe, auch wenn sie in hartem Ringen mit dem rauhen Gestein und Gestrüpp dorn- und distel- bewachsener Aecker, statt getragen vom milden Himmelssegen des Paradieses vorwärtsschreiten muß. Die h. Schrift hat diesen äußeren Culturfortschritten der nachparadiesischen Menschheitsgeschichte zwar keine hervorragende, aber immerhin doch einige Aufmerksamkeit gewidmet. Ein frühester Anfang dessen, was die zur Zeit ihres Falles noch nackte Menschheit an solchen Fortschritten zu erlernen hat, die Bekleidung mit Thierfellen, wird als noch in die Para- dieseszeit selbst zurückreichend dargestellt (1 Mos. 3, 22). Sofort nach dem Verluste der seligen Wohnstätte der Urzeit treten bei Kain und Abel die beiden Grundformen natürlicher Lebensökonomie: Ackerbau und Viehzucht, nebeneinander hervor (1 Mos. 4, 2). Der diesen beiden gemäß moderner culturgeschichtlicher Speculation gern zugesellten und für ihre naturgemäße Grundlage und Vorgängerin erklärten Jägerei geschieht erst an viel späterer Stelle Erwähnung, und zwar keineswegs so, daß dieselbe als zu den primitiven und vor allen nothwendigen Grundäußerungen des Culturlebens gehörig dargestellt würde (1 Mos. 10, 8 f.). Wie denn hiemit die neueste
II. Die Schriftlehre vom Urſtande.
8 ff. Vornehmlich aber hat daſſelbe, im 1. Kapitel des Römer- briefs (V. 18—32), vom Entſtehungsproceſſe des Götzendienſts nach ſeiner inneren Seite und nach ſeinem Zuſammenhange mit den viel- fältigen, von Geſchlecht zu Geſchlecht ſich ſteigernden zuerſt natür- lichen, dann immer unnatürlicheren Laſtern des Heidenthums ein ebenſo lebensgetreues als erſchütterndes Bild entworfen.
Dieſen bibliſchen Gemälden von der abſteigenden Entwicklung der älteſten Menſchheit in biologiſcher wie in religiös-ethiſcher Hin- ſicht erſcheinen aber zugleich bedeutſame Züge einverleibt, welche ein Aufwärtsſteigen ebenderſelben zu allmähliger Erfüllung ihrer Cultur- aufgaben trotz eingeriſſener ſittlicher Corruption andeuten. Denn darin bleibt ja der Menſch Gottes Bild, trotz ſündiger Abirrung von ſeinen Wegen, daß er ſich als Beherrſcher der irdiſchen Natur und ihrer Kräfte je mehr und mehr geltend macht; das „Bauen und Bewahren‟ bleibt ſeine Aufgabe, auch wenn ſie in hartem Ringen mit dem rauhen Geſtein und Geſtrüpp dorn- und diſtel- bewachſener Aecker, ſtatt getragen vom milden Himmelsſegen des Paradieſes vorwärtsſchreiten muß. Die h. Schrift hat dieſen äußeren Culturfortſchritten der nachparadieſiſchen Menſchheitsgeſchichte zwar keine hervorragende, aber immerhin doch einige Aufmerkſamkeit gewidmet. Ein früheſter Anfang deſſen, was die zur Zeit ihres Falles noch nackte Menſchheit an ſolchen Fortſchritten zu erlernen hat, die Bekleidung mit Thierfellen, wird als noch in die Para- dieſeszeit ſelbſt zurückreichend dargeſtellt (1 Moſ. 3, 22). Sofort nach dem Verluſte der ſeligen Wohnſtätte der Urzeit treten bei Kain und Abel die beiden Grundformen natürlicher Lebensökonomie: Ackerbau und Viehzucht, nebeneinander hervor (1 Moſ. 4, 2). Der dieſen beiden gemäß moderner culturgeſchichtlicher Speculation gern zugeſellten und für ihre naturgemäße Grundlage und Vorgängerin erklärten Jägerei geſchieht erſt an viel ſpäterer Stelle Erwähnung, und zwar keineswegs ſo, daß dieſelbe als zu den primitiven und vor allen nothwendigen Grundäußerungen des Culturlebens gehörig dargeſtellt würde (1 Moſ. 10, 8 f.). Wie denn hiemit die neueſte
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II. Die Schriftlehre vom Urſtande.
8 ff. Vornehmlich aber hat daſſelbe, im 1. Kapitel des Römer-
briefs (V. 18—32), vom Entſtehungsproceſſe des Götzendienſts nach
ſeiner inneren Seite und nach ſeinem Zuſammenhange mit den viel-
fältigen, von Geſchlecht zu Geſchlecht ſich ſteigernden zuerſt natür-
lichen, dann immer unnatürlicheren Laſtern des Heidenthums ein
ebenſo lebensgetreues als erſchütterndes Bild entworfen.
Dieſen bibliſchen Gemälden von der abſteigenden Entwicklung
der älteſten Menſchheit in biologiſcher wie in religiös-ethiſcher Hin-
ſicht erſcheinen aber zugleich bedeutſame Züge einverleibt, welche ein
Aufwärtsſteigen ebenderſelben zu allmähliger Erfüllung ihrer Cultur-
aufgaben trotz eingeriſſener ſittlicher Corruption andeuten. Denn
darin bleibt ja der Menſch Gottes Bild, trotz ſündiger Abirrung
von ſeinen Wegen, daß er ſich als Beherrſcher der irdiſchen Natur
und ihrer Kräfte je mehr und mehr geltend macht; das „Bauen
und Bewahren‟ bleibt ſeine Aufgabe, auch wenn ſie in hartem
Ringen mit dem rauhen Geſtein und Geſtrüpp dorn- und diſtel-
bewachſener Aecker, ſtatt getragen vom milden Himmelsſegen des
Paradieſes vorwärtsſchreiten muß. Die h. Schrift hat dieſen
äußeren Culturfortſchritten der nachparadieſiſchen Menſchheitsgeſchichte
zwar keine hervorragende, aber immerhin doch einige Aufmerkſamkeit
gewidmet. Ein früheſter Anfang deſſen, was die zur Zeit ihres
Falles noch nackte Menſchheit an ſolchen Fortſchritten zu erlernen
hat, die Bekleidung mit Thierfellen, wird als noch in die Para-
dieſeszeit ſelbſt zurückreichend dargeſtellt (1 Moſ. 3, 22). Sofort
nach dem Verluſte der ſeligen Wohnſtätte der Urzeit treten bei
Kain und Abel die beiden Grundformen natürlicher Lebensökonomie:
Ackerbau und Viehzucht, nebeneinander hervor (1 Moſ. 4, 2). Der
dieſen beiden gemäß moderner culturgeſchichtlicher Speculation gern
zugeſellten und für ihre naturgemäße Grundlage und Vorgängerin
erklärten Jägerei geſchieht erſt an viel ſpäterer Stelle Erwähnung,
und zwar keineswegs ſo, daß dieſelbe als zu den primitiven und
vor allen nothwendigen Grundäußerungen des Culturlebens gehörig
dargeſtellt würde (1 Moſ. 10, 8 f.). Wie denn hiemit die neueſte
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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/89>, abgerufen am 27.07.2024.
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