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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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I. Der Urstand nach kirchlicher Ueberlieferung.
und nicht vegetarianisch ascetisirende Auffassungsweise die Oberhand.
-- Uebrigens erscheint, abgesehen von diesem speciellen Punkte,
gerade Luthers Behandlung des Thema's von den vorsintfluthlichen
Patriarchen sonst durch ihre Selbstständigkeit und frische phantasie-
volle Originalität besonders ausgezeichnet. Der Grundgedanke, daß
im Leben dieser Makrobier die Herrlichkeit und Seligkeit des Para-
dieses noch in gewisser Weise, freilich geschwächt, getrübt und beein-
trächtigt durch den bereits sich geltend machenden Einfluß des
Sündenelends, fortgedauert habe, tritt ungemein kräftig bei ihm
hervor. Er stellt dabei die in weltlichen Dingen gleichfalls mit
hoher Kraft, Weisheit und Geschicklichkeit ausgestatteten, ja hierin
den Patriarchen überlegenen Nachkommen Kains in wirksamen Con-
trast zu jenen frommen Gotteskindern. Was diese letzteren um
ihres Festhaltens an der göttlichen Wahrheit willen zu leiden hatten,
ihr "groß Erschrecken und Kümmerniß", darob sie oft durch Engel
getröstet werden mußten, ihre "langwierige, unsägliche Mühe und
Arbeit, Angst, Marter und Plage", darin sie den heiligen Märtyrern
und Bekennern späterer Zeiten gleichen: es war das alles haupt-
sächlich durch die Feindschaft der Kainiten veranlaßt. "Eine Welt
wäre darumb zu geben, wenns möglich wäre, daß man die Legenden
der lieben Patriarchen, so vor der Sündfluth gelebet, haben könnte;
da würde man sehen, wie sie gelebet, geprediget und was sie ge-
litten haben".1) "Es war dieß der höchste Ruhm jener ersten
Welt, daß sie so viele gute, weise und heilige Männer zumal hatte
..... es waren dieselben die größten Helden nächst Christus
und Johannes dem Täufer, welche die Geschichte hervorgebracht hat;
ihre Herrlichkeit werden wir am jüngsten Tage sehen und anstaunen,
sammt allem dem, was sie, ein Adam, Seth, Methusalah etc. gethan
und gewirkt haben!" Zu ihnen hat Henoch gehört, der nur drei
Jahrhunderte hienieden lebende "erhabene Prophet und Hohepriester,
der sechs Patriarchen zu Lehrern gehabt hat". So zahlreiche höchst

1) Tischr., Nr. 270 (E. A. 57, 228), Vgl. Nr. 2689 (E. A. 62, 153);
auch die Predigt über 1 Mos. 5 (E. A. 33, 153 ff.).
Zöckler, Urstand. 4

I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung.
und nicht vegetarianiſch ascetiſirende Auffaſſungsweiſe die Oberhand.
— Uebrigens erſcheint, abgeſehen von dieſem ſpeciellen Punkte,
gerade Luthers Behandlung des Thema’s von den vorſintfluthlichen
Patriarchen ſonſt durch ihre Selbſtſtändigkeit und friſche phantaſie-
volle Originalität beſonders ausgezeichnet. Der Grundgedanke, daß
im Leben dieſer Makrobier die Herrlichkeit und Seligkeit des Para-
dieſes noch in gewiſſer Weiſe, freilich geſchwächt, getrübt und beein-
trächtigt durch den bereits ſich geltend machenden Einfluß des
Sündenelends, fortgedauert habe, tritt ungemein kräftig bei ihm
hervor. Er ſtellt dabei die in weltlichen Dingen gleichfalls mit
hoher Kraft, Weisheit und Geſchicklichkeit ausgeſtatteten, ja hierin
den Patriarchen überlegenen Nachkommen Kains in wirkſamen Con-
traſt zu jenen frommen Gotteskindern. Was dieſe letzteren um
ihres Feſthaltens an der göttlichen Wahrheit willen zu leiden hatten,
ihr „groß Erſchrecken und Kümmerniß‟, darob ſie oft durch Engel
getröſtet werden mußten, ihre „langwierige, unſägliche Mühe und
Arbeit, Angſt, Marter und Plage‟, darin ſie den heiligen Märtyrern
und Bekennern ſpäterer Zeiten gleichen: es war das alles haupt-
ſächlich durch die Feindſchaft der Kainiten veranlaßt. „Eine Welt
wäre darumb zu geben, wenns möglich wäre, daß man die Legenden
der lieben Patriarchen, ſo vor der Sündfluth gelebet, haben könnte;
da würde man ſehen, wie ſie gelebet, geprediget und was ſie ge-
litten haben‟.1) „Es war dieß der höchſte Ruhm jener erſten
Welt, daß ſie ſo viele gute, weiſe und heilige Männer zumal hatte
..... es waren dieſelben die größten Helden nächſt Chriſtus
und Johannes dem Täufer, welche die Geſchichte hervorgebracht hat;
ihre Herrlichkeit werden wir am jüngſten Tage ſehen und anſtaunen,
ſammt allem dem, was ſie, ein Adam, Seth, Methuſalah ꝛc. gethan
und gewirkt haben!‟ Zu ihnen hat Henoch gehört, der nur drei
Jahrhunderte hienieden lebende „erhabene Prophet und Hoheprieſter,
der ſechs Patriarchen zu Lehrern gehabt hat‟. So zahlreiche höchſt

1) Tiſchr., Nr. 270 (E. A. 57, 228), Vgl. Nr. 2689 (E. A. 62, 153);
auch die Predigt über 1 Moſ. 5 (E. A. 33, 153 ff.).
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[49/0059] I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung. und nicht vegetarianiſch ascetiſirende Auffaſſungsweiſe die Oberhand. — Uebrigens erſcheint, abgeſehen von dieſem ſpeciellen Punkte, gerade Luthers Behandlung des Thema’s von den vorſintfluthlichen Patriarchen ſonſt durch ihre Selbſtſtändigkeit und friſche phantaſie- volle Originalität beſonders ausgezeichnet. Der Grundgedanke, daß im Leben dieſer Makrobier die Herrlichkeit und Seligkeit des Para- dieſes noch in gewiſſer Weiſe, freilich geſchwächt, getrübt und beein- trächtigt durch den bereits ſich geltend machenden Einfluß des Sündenelends, fortgedauert habe, tritt ungemein kräftig bei ihm hervor. Er ſtellt dabei die in weltlichen Dingen gleichfalls mit hoher Kraft, Weisheit und Geſchicklichkeit ausgeſtatteten, ja hierin den Patriarchen überlegenen Nachkommen Kains in wirkſamen Con- traſt zu jenen frommen Gotteskindern. Was dieſe letzteren um ihres Feſthaltens an der göttlichen Wahrheit willen zu leiden hatten, ihr „groß Erſchrecken und Kümmerniß‟, darob ſie oft durch Engel getröſtet werden mußten, ihre „langwierige, unſägliche Mühe und Arbeit, Angſt, Marter und Plage‟, darin ſie den heiligen Märtyrern und Bekennern ſpäterer Zeiten gleichen: es war das alles haupt- ſächlich durch die Feindſchaft der Kainiten veranlaßt. „Eine Welt wäre darumb zu geben, wenns möglich wäre, daß man die Legenden der lieben Patriarchen, ſo vor der Sündfluth gelebet, haben könnte; da würde man ſehen, wie ſie gelebet, geprediget und was ſie ge- litten haben‟. 1) „Es war dieß der höchſte Ruhm jener erſten Welt, daß ſie ſo viele gute, weiſe und heilige Männer zumal hatte ..... es waren dieſelben die größten Helden nächſt Chriſtus und Johannes dem Täufer, welche die Geſchichte hervorgebracht hat; ihre Herrlichkeit werden wir am jüngſten Tage ſehen und anſtaunen, ſammt allem dem, was ſie, ein Adam, Seth, Methuſalah ꝛc. gethan und gewirkt haben!‟ Zu ihnen hat Henoch gehört, der nur drei Jahrhunderte hienieden lebende „erhabene Prophet und Hoheprieſter, der ſechs Patriarchen zu Lehrern gehabt hat‟. So zahlreiche höchſt 1) Tiſchr., Nr. 270 (E. A. 57, 228), Vgl. Nr. 2689 (E. A. 62, 153); auch die Predigt über 1 Moſ. 5 (E. A. 33, 153 ff.). Zöckler, Urſtand. 4

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/59>, abgerufen am 22.11.2024.