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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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I. Der Urstand nach kirchlicher Ueberlieferung.
dienformel über die anerschaffene Gerechtigkeit doch schon bestimmter
und voller lauten, eine ähnliche Erklärung über das Wesen des
Urstands nicht mehr. Dagegen tragen einige einschlägige reformirte
Symbolaussagen einen ähnlichen vorsichtig limitirten Charakter; so
Frage 6 des Heidelberger Katechismus: "Gott hat den Menschen
erschaffen in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit, auf daß er
Gott seinen Schöpfer recht erkennete"; Kapitel 8 der zweiten Helve-
tischen Confession, welches gleichfalls bloß von Gerechtigkeit und
wahrhafter Heiligkeit (nach Eph. 4, 21) als Momenten des ver-
lorenen Gottesbildes redet, ohne Erwähnung einer intellectuellen
Vollkommenheit; auch Nr. 9 der Anglikanischen Artikel, wo noch
summarischer verfahren und nur die "ursprüngliche Gerechtigkeit" als
das seit dem Sündenfalle Verlorne genannt ist. -- Daß der neuere
theologische Supranaturalismus, und zwar nicht einmal bloß der
vermittlungstheologische, sondern auch der confessionelle, bei dieser
beschränkteren Fassung des Begriffs der ursprünglichen Gottbildlich-
keit im Allgemeinen stehen bleibt, ja gleich der intellectuellen auch
die ethische Vollkommenheit des Urstands lediglich als Anlage, nicht
als irgendwie schon ausgebildete Eigenschaft denkt, werden wir weiter
unten (X) zu zeigen haben.

4) Ein gewisser Rest oder Nachklang der Urstands-Vollkommen-
heit soll die paradiesische Zeit überdauert und zu den Anfängen der
allmähligen Wiedererhebung des gefallenen Menschengeschlechts mit-
gewirkt haben. Also ein nachwirkendes Hineinleuchten der
untergegangenen Paradiesessonne in die dunkle Sün-
dennacht;
ein Jneinanderspielen, ein Sichmischen des status ori-
ginalis
und des status originalem secutus, während der Anfangs-
epoche des letztern! -- Diese Weise naturalisirender Milderung
dessen, was schroff und hart an der altkirchlichen Urstandslehre,
haben schon einige Apologeten der voraugustinischen Zeit versucht.
Die Art wie beispielsweise Clemens von Alexandria und Arnobius
die allmählige Entstehung des Heidenthums schildern, als eine zu-
nehmende Zertheilung, Zerspaltung und Vervielfältigung des ur-

I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung.
dienformel über die anerſchaffene Gerechtigkeit doch ſchon beſtimmter
und voller lauten, eine ähnliche Erklärung über das Weſen des
Urſtands nicht mehr. Dagegen tragen einige einſchlägige reformirte
Symbolausſagen einen ähnlichen vorſichtig limitirten Charakter; ſo
Frage 6 des Heidelberger Katechismus: „Gott hat den Menſchen
erſchaffen in rechtſchaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit, auf daß er
Gott ſeinen Schöpfer recht erkennete‟; Kapitel 8 der zweiten Helve-
tiſchen Confeſſion, welches gleichfalls bloß von Gerechtigkeit und
wahrhafter Heiligkeit (nach Eph. 4, 21) als Momenten des ver-
lorenen Gottesbildes redet, ohne Erwähnung einer intellectuellen
Vollkommenheit; auch Nr. 9 der Anglikaniſchen Artikel, wo noch
ſummariſcher verfahren und nur die „urſprüngliche Gerechtigkeit‟ als
das ſeit dem Sündenfalle Verlorne genannt iſt. — Daß der neuere
theologiſche Supranaturalismus, und zwar nicht einmal bloß der
vermittlungstheologiſche, ſondern auch der confeſſionelle, bei dieſer
beſchränkteren Faſſung des Begriffs der urſprünglichen Gottbildlich-
keit im Allgemeinen ſtehen bleibt, ja gleich der intellectuellen auch
die ethiſche Vollkommenheit des Urſtands lediglich als Anlage, nicht
als irgendwie ſchon ausgebildete Eigenſchaft denkt, werden wir weiter
unten (X) zu zeigen haben.

4) Ein gewiſſer Reſt oder Nachklang der Urſtands-Vollkommen-
heit ſoll die paradieſiſche Zeit überdauert und zu den Anfängen der
allmähligen Wiedererhebung des gefallenen Menſchengeſchlechts mit-
gewirkt haben. Alſo ein nachwirkendes Hineinleuchten der
untergegangenen Paradieſesſonne in die dunkle Sün-
dennacht;
ein Jneinanderſpielen, ein Sichmiſchen des ſtatus ori-
ginalis
und des status originalem secutus, während der Anfangs-
epoche des letztern! — Dieſe Weiſe naturaliſirender Milderung
deſſen, was ſchroff und hart an der altkirchlichen Urſtandslehre,
haben ſchon einige Apologeten der vorauguſtiniſchen Zeit verſucht.
Die Art wie beiſpielsweiſe Clemens von Alexandria und Arnobius
die allmählige Entſtehung des Heidenthums ſchildern, als eine zu-
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[44/0054] I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung. dienformel über die anerſchaffene Gerechtigkeit doch ſchon beſtimmter und voller lauten, eine ähnliche Erklärung über das Weſen des Urſtands nicht mehr. Dagegen tragen einige einſchlägige reformirte Symbolausſagen einen ähnlichen vorſichtig limitirten Charakter; ſo Frage 6 des Heidelberger Katechismus: „Gott hat den Menſchen erſchaffen in rechtſchaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit, auf daß er Gott ſeinen Schöpfer recht erkennete‟; Kapitel 8 der zweiten Helve- tiſchen Confeſſion, welches gleichfalls bloß von Gerechtigkeit und wahrhafter Heiligkeit (nach Eph. 4, 21) als Momenten des ver- lorenen Gottesbildes redet, ohne Erwähnung einer intellectuellen Vollkommenheit; auch Nr. 9 der Anglikaniſchen Artikel, wo noch ſummariſcher verfahren und nur die „urſprüngliche Gerechtigkeit‟ als das ſeit dem Sündenfalle Verlorne genannt iſt. — Daß der neuere theologiſche Supranaturalismus, und zwar nicht einmal bloß der vermittlungstheologiſche, ſondern auch der confeſſionelle, bei dieſer beſchränkteren Faſſung des Begriffs der urſprünglichen Gottbildlich- keit im Allgemeinen ſtehen bleibt, ja gleich der intellectuellen auch die ethiſche Vollkommenheit des Urſtands lediglich als Anlage, nicht als irgendwie ſchon ausgebildete Eigenſchaft denkt, werden wir weiter unten (X) zu zeigen haben. 4) Ein gewiſſer Reſt oder Nachklang der Urſtands-Vollkommen- heit ſoll die paradieſiſche Zeit überdauert und zu den Anfängen der allmähligen Wiedererhebung des gefallenen Menſchengeſchlechts mit- gewirkt haben. Alſo ein nachwirkendes Hineinleuchten der untergegangenen Paradieſesſonne in die dunkle Sün- dennacht; ein Jneinanderſpielen, ein Sichmiſchen des ſtatus ori- ginalis und des status originalem secutus, während der Anfangs- epoche des letztern! — Dieſe Weiſe naturaliſirender Milderung deſſen, was ſchroff und hart an der altkirchlichen Urſtandslehre, haben ſchon einige Apologeten der vorauguſtiniſchen Zeit verſucht. Die Art wie beiſpielsweiſe Clemens von Alexandria und Arnobius die allmählige Entſtehung des Heidenthums ſchildern, als eine zu- nehmende Zertheilung, Zerſpaltung und Vervielfältigung des ur-

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/54>, abgerufen am 22.11.2024.