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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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I. Der Urstand nach kirchlicher Ueberlieferung.
fenen Menschen als eines sittlich unvollkommnen, ergänzungsbedürf-
tigen, spielt mehrfach in die Anschauungsweise orthodoxer kirchlicher
Theologen von Ansehen hinein. Duns Scotus bethätigte seine
pelagianisirenden Neigungen u. a. auch damit, daß er von läßlichen
Sünden redete, welche der Mensch im Unschuldsstande leichter und
eher zu begehen fähig gewesen sein dürfte, als Todsünden; auch die
Unsterblichkeit Adams vor dem Falle erscheint bei diesem Scholastiker
so sehr auf Schrauben gestellt und lediglich bedingungsweise gefaßt,
daß er der im Mittelalter von Abälard, in der alten Kirche von
Justin, Tatian, Theophilus, Jrenäus, Arnobius, Lactanz gelehrten
natürlichen Sterblichkeit (oder bloß donativen Jmmortalität) der
Protoplasten im Urstande offenbar ganz nahe kommt.1) -- Bei
Rupert von Deutz und einigen andren Theologen begegnet man dem
merkwürdigen Gedanken, das Sprechen Evas mit der Schlange sei
als ein Zeichen des gewissermaaßen in ihrem Jnneren schon im
Vollzug begriffenen Abfalls zum Bösen zu beurtheilen. "Die Mutter
aller Lebendigen", meint Rupert, "war schon innerlich durch die
Galle der Bosheit vergiftet, als sie die Beredsamkeit der Schlange,
dieses auf üble Weise redegewandten diabolischen Geistes, thörlicher
Weise bewunderte und verehrte." Während die Mehrheit der
späteren katholischen Exegeten -- Einige nicht ohne der Eva ein
wundersames Vermögen zum Verstehen der Thiersprache überhaupt
zuzuschreiben; so, nach Cyrill's v. Alex. Vorgange, Petr. Lom-
bardus, Tostatus, Pererius -- diese Deutung verwarf und, wie auch
Luther in seiner Weise, die Eva vom Vorwurfe sündiger oder götzen-
dienerischer Bewunderung des bösen Geistes freizusprechen suchte,
kehrte in neuerer Zeit Calmet zum Wesentlichen der Rupertschen
Annahme zurück, indem er das Sprechen mit der Schlange als ein

1) Duns Scotus in l. II. Sententt. dist. 21, qu. 1. Vgl. Abälard,
Exposit. in Hexaemeron, in Opp. ed. Cousin, T. I, p. 625 s. -- Wegen
der im Texte genannten patristischen Vorgänger Abälards vgl. Fr. Nitzsch,
Grundriß der Dogmengeschichte, I, 351 f.

I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung.
fenen Menſchen als eines ſittlich unvollkommnen, ergänzungsbedürf-
tigen, ſpielt mehrfach in die Anſchauungsweiſe orthodoxer kirchlicher
Theologen von Anſehen hinein. Duns Scotus bethätigte ſeine
pelagianiſirenden Neigungen u. a. auch damit, daß er von läßlichen
Sünden redete, welche der Menſch im Unſchuldsſtande leichter und
eher zu begehen fähig geweſen ſein dürfte, als Todſünden; auch die
Unſterblichkeit Adams vor dem Falle erſcheint bei dieſem Scholaſtiker
ſo ſehr auf Schrauben geſtellt und lediglich bedingungsweiſe gefaßt,
daß er der im Mittelalter von Abälard, in der alten Kirche von
Juſtin, Tatian, Theophilus, Jrenäus, Arnobius, Lactanz gelehrten
natürlichen Sterblichkeit (oder bloß donativen Jmmortalität) der
Protoplaſten im Urſtande offenbar ganz nahe kommt.1) — Bei
Rupert von Deutz und einigen andren Theologen begegnet man dem
merkwürdigen Gedanken, das Sprechen Evas mit der Schlange ſei
als ein Zeichen des gewiſſermaaßen in ihrem Jnneren ſchon im
Vollzug begriffenen Abfalls zum Böſen zu beurtheilen. „Die Mutter
aller Lebendigen‟, meint Rupert, „war ſchon innerlich durch die
Galle der Bosheit vergiftet, als ſie die Beredſamkeit der Schlange,
dieſes auf üble Weiſe redegewandten diaboliſchen Geiſtes, thörlicher
Weiſe bewunderte und verehrte.‟ Während die Mehrheit der
ſpäteren katholiſchen Exegeten — Einige nicht ohne der Eva ein
wunderſames Vermögen zum Verſtehen der Thierſprache überhaupt
zuzuſchreiben; ſo, nach Cyrill’s v. Alex. Vorgange, Petr. Lom-
bardus, Toſtatus, Pererius — dieſe Deutung verwarf und, wie auch
Luther in ſeiner Weiſe, die Eva vom Vorwurfe ſündiger oder götzen-
dieneriſcher Bewunderung des böſen Geiſtes freizuſprechen ſuchte,
kehrte in neuerer Zeit Calmet zum Weſentlichen der Rupertſchen
Annahme zurück, indem er das Sprechen mit der Schlange als ein

1) Duns Scotus in l. II. Sententt. dist. 21, qu. 1. Vgl. Abälard,
Exposit. in Hexaemeron, in Opp. ed. Cousin, T. I, p. 625 s. — Wegen
der im Texte genannten patriſtiſchen Vorgänger Abälards vgl. Fr. Nitzſch,
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[39/0049] I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung. fenen Menſchen als eines ſittlich unvollkommnen, ergänzungsbedürf- tigen, ſpielt mehrfach in die Anſchauungsweiſe orthodoxer kirchlicher Theologen von Anſehen hinein. Duns Scotus bethätigte ſeine pelagianiſirenden Neigungen u. a. auch damit, daß er von läßlichen Sünden redete, welche der Menſch im Unſchuldsſtande leichter und eher zu begehen fähig geweſen ſein dürfte, als Todſünden; auch die Unſterblichkeit Adams vor dem Falle erſcheint bei dieſem Scholaſtiker ſo ſehr auf Schrauben geſtellt und lediglich bedingungsweiſe gefaßt, daß er der im Mittelalter von Abälard, in der alten Kirche von Juſtin, Tatian, Theophilus, Jrenäus, Arnobius, Lactanz gelehrten natürlichen Sterblichkeit (oder bloß donativen Jmmortalität) der Protoplaſten im Urſtande offenbar ganz nahe kommt. 1) — Bei Rupert von Deutz und einigen andren Theologen begegnet man dem merkwürdigen Gedanken, das Sprechen Evas mit der Schlange ſei als ein Zeichen des gewiſſermaaßen in ihrem Jnneren ſchon im Vollzug begriffenen Abfalls zum Böſen zu beurtheilen. „Die Mutter aller Lebendigen‟, meint Rupert, „war ſchon innerlich durch die Galle der Bosheit vergiftet, als ſie die Beredſamkeit der Schlange, dieſes auf üble Weiſe redegewandten diaboliſchen Geiſtes, thörlicher Weiſe bewunderte und verehrte.‟ Während die Mehrheit der ſpäteren katholiſchen Exegeten — Einige nicht ohne der Eva ein wunderſames Vermögen zum Verſtehen der Thierſprache überhaupt zuzuſchreiben; ſo, nach Cyrill’s v. Alex. Vorgange, Petr. Lom- bardus, Toſtatus, Pererius — dieſe Deutung verwarf und, wie auch Luther in ſeiner Weiſe, die Eva vom Vorwurfe ſündiger oder götzen- dieneriſcher Bewunderung des böſen Geiſtes freizuſprechen ſuchte, kehrte in neuerer Zeit Calmet zum Weſentlichen der Rupertſchen Annahme zurück, indem er das Sprechen mit der Schlange als ein 1) Duns Scotus in l. II. Sententt. dist. 21, qu. 1. Vgl. Abälard, Exposit. in Hexaemeron, in Opp. ed. Cousin, T. I, p. 625 s. — Wegen der im Texte genannten patriſtiſchen Vorgänger Abälards vgl. Fr. Nitzſch, Grundriß der Dogmengeſchichte, I, 351 f.

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/49>, abgerufen am 24.11.2024.