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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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IX. Das Alter des Menschengeschlechts.
schlechthin unvollziehbarer Gedanke von der Hand zu weisen sein
sollte.1) Wir bemerken dieß hier mehr nur beiläufig, da wie bereits
angedeutet das eventuelle Zurückreichen der ältesten geschichtlichen
Erinnerungen solcher vorzugsweise alter Völker wie die Aegypter
und Chaldäer über die Fluth hinaus an und für sich nichts Bedenk-
liches haben würde. Der Hauptpunkt, um welchen es sich uns
handelt, steht jedenfalls fest und wird gerade auch durch die über
alle Erdtheile verbreiteten Fluthsagen der Völker noch vollständiger
erhärtet: das Jahr 4000 v. Chr., diesen ungefähren Grenzpunkt
der biblischen Chronologie berührt keine irgendwie geschichtlich zu
nennende Ueberlieferung der Völker; die allermeisten derselben
erreichen kaum das J. 2000; lediglich bei einigen urverwandten
Nachbarvölkern des biblischen Gottesvolks scheint ein Hinaufreichen
ihrer historischen Reminiscenzen bis nahe an 3000 oder bis in ein
entschieden vorsintfluthliches Zeitalter stattzufinden.

2. Was directe geschichtliche Nachrichten alter Völker nicht leisten,
die Erweisung eines mehr als 6000jährigen Alters der Menschheit,
würde um so gewisser durch astronomische Thatsachen bewirkt
werden können, wenn sich nur irgendwo ein Eingreifen solcher That-
sachen in die Geschicke unseres Geschlechts in weit entlegener Ver-
gangenheit mit Sicherheit nachweisen ließe. Aber am Vorhandensein
solcher Nachweise fehlt viel. Verschiedne speculative Köpfe seit An-

1) Sehr bestimmt hat von neueren Genesis-Auslegern Knobel den vorsint-
fluthlichen Ursprung der Chinesen und andrer ostasiatischer Völker mongolischen
Stammes als angeblicher Nachkommen Kains behauptet. Aehnliche Annahmen
begünstigte Cuvier und vertreten neuerdings C. Schoebel (1858), d'Omalius
d'Halloy (1866), bedingterweise auch der Jesuit Bellynck (1868) und C.
Güttler: Naturforschung und Bibel in ihrer Stellung zur Schöpfung, Freiburg
1878, S. 274 ff. -- Wesentlich alle wilden Naturvölker der Gegenwart (Neger,
Papuas, Polynesier, Jndianer etc.) sucht A. v. H. (von Harnier) in dem nur als
Manuscript gedruckten Schriftchen: "Gewißheiten des Glaubens und Vermuthungen
der Wissenschaft" (Frankfurt 1879) als Ablömmlinge derjenigen gottlosen Ge-
schlechter zur Zeit Noahs, welche nicht in der Fluth umkamen, zu erweisen.

IX. Das Alter des Menſchengeſchlechts.
ſchlechthin unvollziehbarer Gedanke von der Hand zu weiſen ſein
ſollte.1) Wir bemerken dieß hier mehr nur beiläufig, da wie bereits
angedeutet das eventuelle Zurückreichen der älteſten geſchichtlichen
Erinnerungen ſolcher vorzugsweiſe alter Völker wie die Aegypter
und Chaldäer über die Fluth hinaus an und für ſich nichts Bedenk-
liches haben würde. Der Hauptpunkt, um welchen es ſich uns
handelt, ſteht jedenfalls feſt und wird gerade auch durch die über
alle Erdtheile verbreiteten Fluthſagen der Völker noch vollſtändiger
erhärtet: das Jahr 4000 v. Chr., dieſen ungefähren Grenzpunkt
der bibliſchen Chronologie berührt keine irgendwie geſchichtlich zu
nennende Ueberlieferung der Völker; die allermeiſten derſelben
erreichen kaum das J. 2000; lediglich bei einigen urverwandten
Nachbarvölkern des bibliſchen Gottesvolks ſcheint ein Hinaufreichen
ihrer hiſtoriſchen Reminiſcenzen bis nahe an 3000 oder bis in ein
entſchieden vorſintfluthliches Zeitalter ſtattzufinden.

2. Was directe geſchichtliche Nachrichten alter Völker nicht leiſten,
die Erweiſung eines mehr als 6000jährigen Alters der Menſchheit,
würde um ſo gewiſſer durch aſtronomiſche Thatſachen bewirkt
werden können, wenn ſich nur irgendwo ein Eingreifen ſolcher That-
ſachen in die Geſchicke unſeres Geſchlechts in weit entlegener Ver-
gangenheit mit Sicherheit nachweiſen ließe. Aber am Vorhandenſein
ſolcher Nachweiſe fehlt viel. Verſchiedne ſpeculative Köpfe ſeit An-

1) Sehr beſtimmt hat von neueren Geneſis-Auslegern Knobel den vorſint-
fluthlichen Urſprung der Chineſen und andrer oſtaſiatiſcher Völker mongoliſchen
Stammes als angeblicher Nachkommen Kains behauptet. Aehnliche Annahmen
begünſtigte Cuvier und vertreten neuerdings C. Schoebel (1858), d’Omalius
d’Halloy (1866), bedingterweiſe auch der Jeſuit Bellynck (1868) und C.
Güttler: Naturforſchung und Bibel in ihrer Stellung zur Schöpfung, Freiburg
1878, S. 274 ff. — Weſentlich alle wilden Naturvölker der Gegenwart (Neger,
Papuas, Polyneſier, Jndianer ꝛc.) ſucht A. v. H. (von Harnier) in dem nur als
Manuſcript gedruckten Schriftchen: „Gewißheiten des Glaubens und Vermuthungen
der Wiſſenſchaft‟ (Frankfurt 1879) als Ablömmlinge derjenigen gottloſen Ge-
ſchlechter zur Zeit Noahs, welche nicht in der Fluth umkamen, zu erweiſen.
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[299/0309] IX. Das Alter des Menſchengeſchlechts. ſchlechthin unvollziehbarer Gedanke von der Hand zu weiſen ſein ſollte. 1) Wir bemerken dieß hier mehr nur beiläufig, da wie bereits angedeutet das eventuelle Zurückreichen der älteſten geſchichtlichen Erinnerungen ſolcher vorzugsweiſe alter Völker wie die Aegypter und Chaldäer über die Fluth hinaus an und für ſich nichts Bedenk- liches haben würde. Der Hauptpunkt, um welchen es ſich uns handelt, ſteht jedenfalls feſt und wird gerade auch durch die über alle Erdtheile verbreiteten Fluthſagen der Völker noch vollſtändiger erhärtet: das Jahr 4000 v. Chr., dieſen ungefähren Grenzpunkt der bibliſchen Chronologie berührt keine irgendwie geſchichtlich zu nennende Ueberlieferung der Völker; die allermeiſten derſelben erreichen kaum das J. 2000; lediglich bei einigen urverwandten Nachbarvölkern des bibliſchen Gottesvolks ſcheint ein Hinaufreichen ihrer hiſtoriſchen Reminiſcenzen bis nahe an 3000 oder bis in ein entſchieden vorſintfluthliches Zeitalter ſtattzufinden. 2. Was directe geſchichtliche Nachrichten alter Völker nicht leiſten, die Erweiſung eines mehr als 6000jährigen Alters der Menſchheit, würde um ſo gewiſſer durch aſtronomiſche Thatſachen bewirkt werden können, wenn ſich nur irgendwo ein Eingreifen ſolcher That- ſachen in die Geſchicke unſeres Geſchlechts in weit entlegener Ver- gangenheit mit Sicherheit nachweiſen ließe. Aber am Vorhandenſein ſolcher Nachweiſe fehlt viel. Verſchiedne ſpeculative Köpfe ſeit An- 1) Sehr beſtimmt hat von neueren Geneſis-Auslegern Knobel den vorſint- fluthlichen Urſprung der Chineſen und andrer oſtaſiatiſcher Völker mongoliſchen Stammes als angeblicher Nachkommen Kains behauptet. Aehnliche Annahmen begünſtigte Cuvier und vertreten neuerdings C. Schoebel (1858), d’Omalius d’Halloy (1866), bedingterweiſe auch der Jeſuit Bellynck (1868) und C. Güttler: Naturforſchung und Bibel in ihrer Stellung zur Schöpfung, Freiburg 1878, S. 274 ff. — Weſentlich alle wilden Naturvölker der Gegenwart (Neger, Papuas, Polyneſier, Jndianer ꝛc.) ſucht A. v. H. (von Harnier) in dem nur als Manuſcript gedruckten Schriftchen: „Gewißheiten des Glaubens und Vermuthungen der Wiſſenſchaft‟ (Frankfurt 1879) als Ablömmlinge derjenigen gottloſen Ge- ſchlechter zur Zeit Noahs, welche nicht in der Fluth umkamen, zu erweiſen.

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/309>, abgerufen am 25.11.2024.