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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen.
Lebensjahr weit überschritten haben soll.1) Aus der neueren Cultur-
geschichte des Orients mag hier nochmals erwähnt werden, daß nach
dem Reisenden Kolenati manche armenische Christen, Mönche und
Nichtmönche, trotz ihrer häufigen 40tägigen Fasten bei Brot und
bloßem Malvengemüse, doch ein Alter von über 120 Jahren erreichen
sollen. -- Für die Frage, ob vegetarianische oder doch wesentlich
vegetarianische Diät eine beträchtlich lebenverlängernde Wirkung zu
üben vermöge, liefert das Ergebniß dieser flüchtigen Ueberschan offen-
bar einen Gewinn von nur problematischem Werthe. Eigentliche
Vegetarianer sind sicherlich nur die allerwenigsten der genannten
Heiligen und Asketen gewesen. Jm strengsten Sinn des Worts
kann vielleicht nur Franz von Paula als ein alle Fleischkost be-
harrlich meidender Asket betrachtet werden; doch gestattet selbst seine
über die Maaßen strenge Regel für den Fall von Reisen -- und
er machte deren bekanntlich gar manche -- ein Abgehen von der
rigorosen Fastendiät! Wollte man nun trotzdem für die meisten
Genannten eine gewisse relativ-vegetarianische Lebensweise voraus-
setzen, und wollte man ferner die ungefähre Richtigkeit der für sie
angegebenen Altersdaten annehmen (in Bezug worauf freilich auch
die größte kritische Vorsicht zu wahren sein wird): ein irgendwie
erheblicher lebenverlängernder Einfluß streng-asketischer oder vegeta-
rianischer Diät könnte nimmermehr aus diesen spärlichen Beispielen
von nahezu 100jährigem und mehr als 100 jährigem Alter er-
schlossen werden. Jn Anbetracht des fast 2000 jährigen Zeitraums,
dem unsre Exempelsammlung entnommen; in Anbetracht ferner der
nach Hunderttaufenden zählenden Menge asketisch lebender Christen,
die es nicht zu ähnlich langer Lebensdauer gebracht; in Anbetracht
endlich der überaus zahlreichen Fälle aus dem nicht-asketischen Profan-
leben, welche die Erreichung ähnlich hoher Altersziffern uns vor
Augen stellen, muß das Ergebniß unsrer flüchtig vorgenommenen

1) Lütolf, Der Gottesfreund im Oberland -- Jahrb. für schweizer. Ge-
schichte, I, (Zürich 1876), S. 1 ff.

VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen.
Lebensjahr weit überſchritten haben ſoll.1) Aus der neueren Cultur-
geſchichte des Orients mag hier nochmals erwähnt werden, daß nach
dem Reiſenden Kolenati manche armeniſche Chriſten, Mönche und
Nichtmönche, trotz ihrer häufigen 40tägigen Faſten bei Brot und
bloßem Malvengemüſe, doch ein Alter von über 120 Jahren erreichen
ſollen. — Für die Frage, ob vegetarianiſche oder doch weſentlich
vegetarianiſche Diät eine beträchtlich lebenverlängernde Wirkung zu
üben vermöge, liefert das Ergebniß dieſer flüchtigen Ueberſchan offen-
bar einen Gewinn von nur problematiſchem Werthe. Eigentliche
Vegetarianer ſind ſicherlich nur die allerwenigſten der genannten
Heiligen und Asketen geweſen. Jm ſtrengſten Sinn des Worts
kann vielleicht nur Franz von Paula als ein alle Fleiſchkoſt be-
harrlich meidender Asket betrachtet werden; doch geſtattet ſelbſt ſeine
über die Maaßen ſtrenge Regel für den Fall von Reiſen — und
er machte deren bekanntlich gar manche — ein Abgehen von der
rigoroſen Faſtendiät! Wollte man nun trotzdem für die meiſten
Genannten eine gewiſſe relativ-vegetarianiſche Lebensweiſe voraus-
ſetzen, und wollte man ferner die ungefähre Richtigkeit der für ſie
angegebenen Altersdaten annehmen (in Bezug worauf freilich auch
die größte kritiſche Vorſicht zu wahren ſein wird): ein irgendwie
erheblicher lebenverlängernder Einfluß ſtreng-asketiſcher oder vegeta-
rianiſcher Diät könnte nimmermehr aus dieſen ſpärlichen Beiſpielen
von nahezu 100jährigem und mehr als 100 jährigem Alter er-
ſchloſſen werden. Jn Anbetracht des faſt 2000 jährigen Zeitraums,
dem unſre Exempelſammlung entnommen; in Anbetracht ferner der
nach Hunderttaufenden zählenden Menge asketiſch lebender Chriſten,
die es nicht zu ähnlich langer Lebensdauer gebracht; in Anbetracht
endlich der überaus zahlreichen Fälle aus dem nicht-asketiſchen Profan-
leben, welche die Erreichung ähnlich hoher Altersziffern uns vor
Augen ſtellen, muß das Ergebniß unſrer flüchtig vorgenommenen

1) Lütolf, Der Gottesfreund im Oberland — Jahrb. für ſchweizer. Ge-
ſchichte, I, (Zürich 1876), S. 1 ff.
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[282/0292] VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen. Lebensjahr weit überſchritten haben ſoll. 1) Aus der neueren Cultur- geſchichte des Orients mag hier nochmals erwähnt werden, daß nach dem Reiſenden Kolenati manche armeniſche Chriſten, Mönche und Nichtmönche, trotz ihrer häufigen 40tägigen Faſten bei Brot und bloßem Malvengemüſe, doch ein Alter von über 120 Jahren erreichen ſollen. — Für die Frage, ob vegetarianiſche oder doch weſentlich vegetarianiſche Diät eine beträchtlich lebenverlängernde Wirkung zu üben vermöge, liefert das Ergebniß dieſer flüchtigen Ueberſchan offen- bar einen Gewinn von nur problematiſchem Werthe. Eigentliche Vegetarianer ſind ſicherlich nur die allerwenigſten der genannten Heiligen und Asketen geweſen. Jm ſtrengſten Sinn des Worts kann vielleicht nur Franz von Paula als ein alle Fleiſchkoſt be- harrlich meidender Asket betrachtet werden; doch geſtattet ſelbſt ſeine über die Maaßen ſtrenge Regel für den Fall von Reiſen — und er machte deren bekanntlich gar manche — ein Abgehen von der rigoroſen Faſtendiät! Wollte man nun trotzdem für die meiſten Genannten eine gewiſſe relativ-vegetarianiſche Lebensweiſe voraus- ſetzen, und wollte man ferner die ungefähre Richtigkeit der für ſie angegebenen Altersdaten annehmen (in Bezug worauf freilich auch die größte kritiſche Vorſicht zu wahren ſein wird): ein irgendwie erheblicher lebenverlängernder Einfluß ſtreng-asketiſcher oder vegeta- rianiſcher Diät könnte nimmermehr aus dieſen ſpärlichen Beiſpielen von nahezu 100jährigem und mehr als 100 jährigem Alter er- ſchloſſen werden. Jn Anbetracht des faſt 2000 jährigen Zeitraums, dem unſre Exempelſammlung entnommen; in Anbetracht ferner der nach Hunderttaufenden zählenden Menge asketiſch lebender Chriſten, die es nicht zu ähnlich langer Lebensdauer gebracht; in Anbetracht endlich der überaus zahlreichen Fälle aus dem nicht-asketiſchen Profan- leben, welche die Erreichung ähnlich hoher Altersziffern uns vor Augen ſtellen, muß das Ergebniß unſrer flüchtig vorgenommenen 1) Lütolf, Der Gottesfreund im Oberland — Jahrb. für ſchweizer. Ge- ſchichte, I, (Zürich 1876), S. 1 ff.

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/292>, abgerufen am 25.11.2024.