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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen.
Ein eigentliches Fleischverbot für die Zeiten vor der Fluth kann
ebensowenig im biblischen Texte nachgewiesen werden, wie eine that-
sächliche völlige Abstinenz der Sethiten vom Fleischgenusse bei gleich-
zeitiger carnivorer Praxis der Kainiten. Davon vollends, daß
Jenen ihre muthmaaßliche Beschränkung auf Pflanzenkost vom bib-
lischen Erzähler zum besonderen Lobe angerechnet werde, während
derselbe andrerseits den angeblichen frühen Uebergang der Kainiten
zum Tödten und Essen von Thieren als ein Symptom ihrer zuneh-
menden Frevelhaftigkeit behandle, ist auch nicht die leiseste Spur
im Texte wahrzunehmen. Viel eher lassen sich demselben gewisse
Anzeichen zu Gunsten der Annahme eines nicht absoluten sondern
nur relativen, gewisse Ausnahmen zulassenden Sichbindens der sethi-
schen Erzväter an pflanzliche Kost entnehmen. Was schon Danz,
Lemcker etc. an die Spitze ihrer antivegetarianischen Auseinander-
setzungen stellten: daß weder Abels Hüten der Heerde und Opfern,
noch die Bekleidung der Protoplasten und ihrer Nachkommen mit
Thierfellen, ohne die ergänzende Annahme auch des Essens vom
Fleische der gelegentlich getödteten Thiere einen vernünftigen Sinn
und Zweck ergebe, ist vollkommen richtig. Thieropfer ohne beglei-
tende Opfermahlzeiten sind etwas Unerhörtes in der Geschichte; auch
setzt die Erwähnung der von Abel ausgesonderten Fettstücke sowie
der (gleichfalls nach jehovistischer Angabe, Gen. 7, 2) bereits vor
der Fluth zur Ausbildung gelangte Unterschied zwischen Rein und
Unrein, das Geschlachtet- und Genossenwerden von Thieren als
etwas längst Bestehendes voraus. Hören läßt sich auch das weitere
von jenen Vertheidigern der vorfluthlichen Kreophagie geltend ge-
machte Argument: daß es frühzeitig zur Nothwendigkeit werden
mußte, Thiere zu schlachten, um die ungeheuer starke Vermehrung
der Thierwelt zu dämpfen. Nicht minder jener weitere Grund:
die im göttlichen Schöpfungssegen Gen. 1, 28 f. enthaltene Mit-
erwähnung der "Fische im Meere" als der Menschheit gleichfalls
unterworfen, bleibe ohne vernünftigen Sinn, wenn nicht bereits hier
an Fischfang und Fischkost gedacht sei; denn nur als Speise ver-

VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen.
Ein eigentliches Fleiſchverbot für die Zeiten vor der Fluth kann
ebenſowenig im bibliſchen Texte nachgewieſen werden, wie eine that-
ſächliche völlige Abſtinenz der Sethiten vom Fleiſchgenuſſe bei gleich-
zeitiger carnivorer Praxis der Kainiten. Davon vollends, daß
Jenen ihre muthmaaßliche Beſchränkung auf Pflanzenkoſt vom bib-
liſchen Erzähler zum beſonderen Lobe angerechnet werde, während
derſelbe andrerſeits den angeblichen frühen Uebergang der Kainiten
zum Tödten und Eſſen von Thieren als ein Symptom ihrer zuneh-
menden Frevelhaftigkeit behandle, iſt auch nicht die leiſeſte Spur
im Texte wahrzunehmen. Viel eher laſſen ſich demſelben gewiſſe
Anzeichen zu Gunſten der Annahme eines nicht abſoluten ſondern
nur relativen, gewiſſe Ausnahmen zulaſſenden Sichbindens der ſethi-
ſchen Erzväter an pflanzliche Koſt entnehmen. Was ſchon Danz,
Lemcker ꝛc. an die Spitze ihrer antivegetarianiſchen Auseinander-
ſetzungen ſtellten: daß weder Abels Hüten der Heerde und Opfern,
noch die Bekleidung der Protoplaſten und ihrer Nachkommen mit
Thierfellen, ohne die ergänzende Annahme auch des Eſſens vom
Fleiſche der gelegentlich getödteten Thiere einen vernünftigen Sinn
und Zweck ergebe, iſt vollkommen richtig. Thieropfer ohne beglei-
tende Opfermahlzeiten ſind etwas Unerhörtes in der Geſchichte; auch
ſetzt die Erwähnung der von Abel ausgeſonderten Fettſtücke ſowie
der (gleichfalls nach jehoviſtiſcher Angabe, Gen. 7, 2) bereits vor
der Fluth zur Ausbildung gelangte Unterſchied zwiſchen Rein und
Unrein, das Geſchlachtet- und Genoſſenwerden von Thieren als
etwas längſt Beſtehendes voraus. Hören läßt ſich auch das weitere
von jenen Vertheidigern der vorfluthlichen Kreophagie geltend ge-
machte Argument: daß es frühzeitig zur Nothwendigkeit werden
mußte, Thiere zu ſchlachten, um die ungeheuer ſtarke Vermehrung
der Thierwelt zu dämpfen. Nicht minder jener weitere Grund:
die im göttlichen Schöpfungsſegen Gen. 1, 28 f. enthaltene Mit-
erwähnung der „Fiſche im Meere‟ als der Menſchheit gleichfalls
unterworfen, bleibe ohne vernünftigen Sinn, wenn nicht bereits hier
an Fiſchfang und Fiſchkoſt gedacht ſei; denn nur als Speiſe ver-

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[278/0288] VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen. Ein eigentliches Fleiſchverbot für die Zeiten vor der Fluth kann ebenſowenig im bibliſchen Texte nachgewieſen werden, wie eine that- ſächliche völlige Abſtinenz der Sethiten vom Fleiſchgenuſſe bei gleich- zeitiger carnivorer Praxis der Kainiten. Davon vollends, daß Jenen ihre muthmaaßliche Beſchränkung auf Pflanzenkoſt vom bib- liſchen Erzähler zum beſonderen Lobe angerechnet werde, während derſelbe andrerſeits den angeblichen frühen Uebergang der Kainiten zum Tödten und Eſſen von Thieren als ein Symptom ihrer zuneh- menden Frevelhaftigkeit behandle, iſt auch nicht die leiſeſte Spur im Texte wahrzunehmen. Viel eher laſſen ſich demſelben gewiſſe Anzeichen zu Gunſten der Annahme eines nicht abſoluten ſondern nur relativen, gewiſſe Ausnahmen zulaſſenden Sichbindens der ſethi- ſchen Erzväter an pflanzliche Koſt entnehmen. Was ſchon Danz, Lemcker ꝛc. an die Spitze ihrer antivegetarianiſchen Auseinander- ſetzungen ſtellten: daß weder Abels Hüten der Heerde und Opfern, noch die Bekleidung der Protoplaſten und ihrer Nachkommen mit Thierfellen, ohne die ergänzende Annahme auch des Eſſens vom Fleiſche der gelegentlich getödteten Thiere einen vernünftigen Sinn und Zweck ergebe, iſt vollkommen richtig. Thieropfer ohne beglei- tende Opfermahlzeiten ſind etwas Unerhörtes in der Geſchichte; auch ſetzt die Erwähnung der von Abel ausgeſonderten Fettſtücke ſowie der (gleichfalls nach jehoviſtiſcher Angabe, Gen. 7, 2) bereits vor der Fluth zur Ausbildung gelangte Unterſchied zwiſchen Rein und Unrein, das Geſchlachtet- und Genoſſenwerden von Thieren als etwas längſt Beſtehendes voraus. Hören läßt ſich auch das weitere von jenen Vertheidigern der vorfluthlichen Kreophagie geltend ge- machte Argument: daß es frühzeitig zur Nothwendigkeit werden mußte, Thiere zu ſchlachten, um die ungeheuer ſtarke Vermehrung der Thierwelt zu dämpfen. Nicht minder jener weitere Grund: die im göttlichen Schöpfungsſegen Gen. 1, 28 f. enthaltene Mit- erwähnung der „Fiſche im Meere‟ als der Menſchheit gleichfalls unterworfen, bleibe ohne vernünftigen Sinn, wenn nicht bereits hier an Fiſchfang und Fiſchkoſt gedacht ſei; denn nur als Speiſe ver-

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/288>, abgerufen am 25.11.2024.