Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen. storben, als deren Geburtsjahr man so lange das Jahr 1751 an-genommen habe, bis genauere Nachforschungen in den Geburts- und Taufregistern jener Stadt ergaben, daß allerdings auch 1751, am 24. Mai, eine Mary Billinge dort zur Welt gekommen war, nicht minder aber auch eine Person gleichen Namens am 6. Nov. 1772 in Liverpool das Licht der Welt erblickt hatte, und daß diese Letztere die 1863 Verstorbene war! Ganz ähnlich wie in diesem Falle eine nur 91jährige Person zur Ultracentenarierin gestempelt worden war, sei es nachweislich noch in gar manchem andren Falle ergangen.1) Was ferner Grabinschriften betreffe, so seien dieselben sehr leicht Fälschungen unterworfen, welche entweder der Sculptor selbst oder die Hand eines Andren, und zwar bald leichtfertigerweise, bald aus böser Absicht vornehme; wofür gleichfalls einige Beispiele angeführt werden. Nicht minder seien die directen Zeugnisse der Nachkommen hochbetagter Leute, z. B. ihrer Urenkel oder Ururenkel, betreffs des angeblichen Alters ihrer Ahnen, meist völlig unzuverlässig. Vollends unzurechnungsfähig und meist den stärksten Täuschungen unterworfen seien die frühesten Kindheitserinnerungen der abnorm hochbetagten Leute selbst. Nicht einmal den Volkszählungsregistern könne ohne Weiteres Vertrauen geschenkt werden; denn dieselben pflegten weder gewöhnliche noch exorbitant lautende Altersangaben jemals mit Do- kumenten zu belegen. Die eigenen Angaben der Leute selbst genügten ihnen, wie dieß der Report über den britischen Census vom J. 1851 offen eingestehe; von den 111 Männern und 208 Frauen, die man damals. als Repräsentanten eines Alters von 100--119 Jahren in ganz Großbritanien aufgenommen habe, sei nicht ein einziger doku- mentarischer Beweis für die thatsächliche Richtigkeit ihres angeblichen Alters beigebracht worden. Nach diesen Betrachtungen, welche allerdings sehr zur Vorsicht 1) Vgl. zu p. 34--37 (über die Billinge) noch den p. 43 erzählten ähn-
lichen Fall. VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen. ſtorben, als deren Geburtsjahr man ſo lange das Jahr 1751 an-genommen habe, bis genauere Nachforſchungen in den Geburts- und Taufregiſtern jener Stadt ergaben, daß allerdings auch 1751, am 24. Mai, eine Mary Billinge dort zur Welt gekommen war, nicht minder aber auch eine Perſon gleichen Namens am 6. Nov. 1772 in Liverpool das Licht der Welt erblickt hatte, und daß dieſe Letztere die 1863 Verſtorbene war! Ganz ähnlich wie in dieſem Falle eine nur 91jährige Perſon zur Ultracentenarierin geſtempelt worden war, ſei es nachweislich noch in gar manchem andren Falle ergangen.1) Was ferner Grabinſchriften betreffe, ſo ſeien dieſelben ſehr leicht Fälſchungen unterworfen, welche entweder der Sculptor ſelbſt oder die Hand eines Andren, und zwar bald leichtfertigerweiſe, bald aus böſer Abſicht vornehme; wofür gleichfalls einige Beiſpiele angeführt werden. Nicht minder ſeien die directen Zeugniſſe der Nachkommen hochbetagter Leute, z. B. ihrer Urenkel oder Ururenkel, betreffs des angeblichen Alters ihrer Ahnen, meiſt völlig unzuverläſſig. Vollends unzurechnungsfähig und meiſt den ſtärkſten Täuſchungen unterworfen ſeien die früheſten Kindheitserinnerungen der abnorm hochbetagten Leute ſelbſt. Nicht einmal den Volkszählungsregiſtern könne ohne Weiteres Vertrauen geſchenkt werden; denn dieſelben pflegten weder gewöhnliche noch exorbitant lautende Altersangaben jemals mit Do- kumenten zu belegen. Die eigenen Angaben der Leute ſelbſt genügten ihnen, wie dieß der Report über den britiſchen Cenſus vom J. 1851 offen eingeſtehe; von den 111 Männern und 208 Frauen, die man damals. als Repräſentanten eines Alters von 100—119 Jahren in ganz Großbritanien aufgenommen habe, ſei nicht ein einziger doku- mentariſcher Beweis für die thatſächliche Richtigkeit ihres angeblichen Alters beigebracht worden. Nach dieſen Betrachtungen, welche allerdings ſehr zur Vorſicht 1) Vgl. zu p. 34—37 (über die Billinge) noch den p. 43 erzählten ähn-
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VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen.
ſtorben, als deren Geburtsjahr man ſo lange das Jahr 1751 an-
genommen habe, bis genauere Nachforſchungen in den Geburts- und
Taufregiſtern jener Stadt ergaben, daß allerdings auch 1751, am
24. Mai, eine Mary Billinge dort zur Welt gekommen war, nicht
minder aber auch eine Perſon gleichen Namens am 6. Nov. 1772
in Liverpool das Licht der Welt erblickt hatte, und daß dieſe Letztere
die 1863 Verſtorbene war! Ganz ähnlich wie in dieſem Falle eine
nur 91jährige Perſon zur Ultracentenarierin geſtempelt worden war,
ſei es nachweislich noch in gar manchem andren Falle ergangen. 1)
Was ferner Grabinſchriften betreffe, ſo ſeien dieſelben ſehr leicht
Fälſchungen unterworfen, welche entweder der Sculptor ſelbſt oder
die Hand eines Andren, und zwar bald leichtfertigerweiſe, bald aus
böſer Abſicht vornehme; wofür gleichfalls einige Beiſpiele angeführt
werden. Nicht minder ſeien die directen Zeugniſſe der Nachkommen
hochbetagter Leute, z. B. ihrer Urenkel oder Ururenkel, betreffs des
angeblichen Alters ihrer Ahnen, meiſt völlig unzuverläſſig. Vollends
unzurechnungsfähig und meiſt den ſtärkſten Täuſchungen unterworfen
ſeien die früheſten Kindheitserinnerungen der abnorm hochbetagten
Leute ſelbſt. Nicht einmal den Volkszählungsregiſtern könne ohne
Weiteres Vertrauen geſchenkt werden; denn dieſelben pflegten weder
gewöhnliche noch exorbitant lautende Altersangaben jemals mit Do-
kumenten zu belegen. Die eigenen Angaben der Leute ſelbſt genügten
ihnen, wie dieß der Report über den britiſchen Cenſus vom J. 1851
offen eingeſtehe; von den 111 Männern und 208 Frauen, die man
damals. als Repräſentanten eines Alters von 100—119 Jahren in
ganz Großbritanien aufgenommen habe, ſei nicht ein einziger doku-
mentariſcher Beweis für die thatſächliche Richtigkeit ihres angeblichen
Alters beigebracht worden.
Nach dieſen Betrachtungen, welche allerdings ſehr zur Vorſicht
auf dem in Rede ſtehenden Gebiete zu mahnen geeignet erſcheinen,
läßt Thoms dann kritiſche Einzelunterſuchungen über eine längere
1) Vgl. zu p. 34—37 (über die Billinge) noch den p. 43 erzählten ähn-
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