Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.VII. Der Ursitz des Menschengeschlechts. untersuchende Material sich ins Unübersehbare vervielfältigen; außerden obengenannten Paradiesessagen und -hypothesen wäre dann auch die Memphis für den Ursitz der Menschheit erklärende ägyptische Sage zu besprechen gewesen; ferner die Tyrus-Sage der Phönikier, die Hebron-Sage der Edomiter und eines Theils der späteren Juden,1) die auf Arkadien oder Athen oder Delphi lautenden Sagen der Griechen, u. s. f. Die biblische Erzählung hat schon das für sich, daß sie nicht das Mindeste von einer derartigen partikularisti- schen Tendenz verräth. Jhrer ostwärts weisenden Haltung liegt nichts Andres zu Grunde als eine treue Stammesüberlieferung, die mit den nordwärts oder beziehungsweise nordostwärts weisenden Angaben der indischen und der persischen Paradiesessage (vom Götterberge Meru oder Hara-Berezaiti [Albordsch], d. h. wohl dem Himalaya), sachlich übereinkommt, und die überhaupt eine Erinnerung an die gemeinsamen Urzustände und Urschicksale der gesammten arischen Menschheit ist.2) Bestimmtere Fixirung der Stätte, von wo diese Erinnerung ursprünglich ausgegangen, ist freilich unmöglich; weder die Angaben der Schrift selbst noch irgendwelche außerbiblische Jndicien reichen dazu die Mittel dar. Als "Eden" (Gen. 2, 8. 15) mag jenes ganze, mächtig weite Gebiet zwischen Ganges und Euphrat immerhin zu bezeichnen sein: auf Bestimmung der Lage des "Gartens in Eden" muß verzichtet werden. Die Annahme eines Wanderns der speciellen Züge der Ueberlieferung von Osten nach Westen scheint manches für sich zu haben; sie würde aber weit bestimmterer Anhaltspunkte als die zur Zeit vorliegenden bedürfen, 1) Vgl. Jos. 14, 25 Vulg., sowie Hieronymus im Onom s. v. Arboch; sonst auch Lüken, S. 74; Sepp, Meerfahrt n. Tyrus, S. 107 f. 2) Vgl. auch den Versuch von S. Lipschütz, gerade aus dem Zusammen-
stimmen vieler heidnischer Sagen einen gemeinsamen Ursprung und Ursitz der Menschheit zu erweisen: De communi et simplici humani generis origine. Genus hum. uno ortum esse auctore communemque habuisse patriam ex diversorum populorum fabulis inter se consentaneis demonstrare conatus est. Hamburg. 1864. VII. Der Urſitz des Menſchengeſchlechts. unterſuchende Material ſich ins Unüberſehbare vervielfältigen; außerden obengenannten Paradieſesſagen und -hypotheſen wäre dann auch die Memphis für den Urſitz der Menſchheit erklärende ägyptiſche Sage zu beſprechen geweſen; ferner die Tyrus-Sage der Phönikier, die Hebron-Sage der Edomiter und eines Theils der ſpäteren Juden,1) die auf Arkadien oder Athen oder Delphi lautenden Sagen der Griechen, u. ſ. f. Die bibliſche Erzählung hat ſchon das für ſich, daß ſie nicht das Mindeſte von einer derartigen partikulariſti- ſchen Tendenz verräth. Jhrer oſtwärts weiſenden Haltung liegt nichts Andres zu Grunde als eine treue Stammesüberlieferung, die mit den nordwärts oder beziehungsweiſe nordoſtwärts weiſenden Angaben der indiſchen und der perſiſchen Paradieſesſage (vom Götterberge Meru oder Hara-Berezaiti [Albordſch], d. h. wohl dem Himalaya), ſachlich übereinkommt, und die überhaupt eine Erinnerung an die gemeinſamen Urzuſtände und Urſchickſale der geſammten ariſchen Menſchheit iſt.2) Beſtimmtere Fixirung der Stätte, von wo dieſe Erinnerung urſprünglich ausgegangen, iſt freilich unmöglich; weder die Angaben der Schrift ſelbſt noch irgendwelche außerbibliſche Jndicien reichen dazu die Mittel dar. Als „Eden‟ (Gen. 2, 8. 15) mag jenes ganze, mächtig weite Gebiet zwiſchen Ganges und Euphrat immerhin zu bezeichnen ſein: auf Beſtimmung der Lage des „Gartens in Eden‟ muß verzichtet werden. Die Annahme eines Wanderns der ſpeciellen Züge der Ueberlieferung von Oſten nach Weſten ſcheint manches für ſich zu haben; ſie würde aber weit beſtimmterer Anhaltspunkte als die zur Zeit vorliegenden bedürfen, 1) Vgl. Joſ. 14, 25 Vulg., ſowie Hieronymus im Onom s. v. Arboch; ſonſt auch Lüken, S. 74; Sepp, Meerfahrt n. Tyrus, S. 107 f. 2) Vgl. auch den Verſuch von S. Lipſchütz, gerade aus dem Zuſammen-
ſtimmen vieler heidniſcher Sagen einen gemeinſamen Urſprung und Urſitz der Menſchheit zu erweiſen: De communi et simplici humani generis origine. Genus hum. uno ortum esse auctore communemque habuisse patriam ex diversorum populorum fabulis inter se consentaneis demonstrare conatus est. Hamburg. 1864. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0252" n="242"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VII.</hi> Der Urſitz des Menſchengeſchlechts.</fw><lb/> unterſuchende Material ſich ins Unüberſehbare vervielfältigen; außer<lb/> den obengenannten Paradieſesſagen und -hypotheſen wäre dann auch<lb/> die Memphis für den Urſitz der Menſchheit erklärende ägyptiſche<lb/> Sage zu beſprechen geweſen; ferner die Tyrus-Sage der Phönikier,<lb/> die Hebron-Sage der Edomiter und eines Theils der ſpäteren<lb/> Juden,<note place="foot" n="1)">Vgl. Joſ. 14, 25 <hi rendition="#aq">Vulg.,</hi> ſowie Hieronymus im <hi rendition="#aq">Onom s. v. Arboch;</hi><lb/> ſonſt auch <hi rendition="#g">Lüken,</hi> S. 74; <hi rendition="#g">Sepp,</hi> Meerfahrt n. Tyrus, S. 107 f.</note> die auf Arkadien oder Athen oder Delphi lautenden Sagen<lb/> der Griechen, u. ſ. f. Die bibliſche Erzählung hat ſchon das für<lb/> ſich, daß ſie nicht das Mindeſte von einer derartigen partikulariſti-<lb/> ſchen Tendenz verräth. Jhrer oſtwärts weiſenden Haltung liegt<lb/> nichts Andres zu Grunde als eine treue Stammesüberlieferung, die<lb/> mit den nordwärts oder beziehungsweiſe nordoſtwärts weiſenden<lb/> Angaben der indiſchen und der perſiſchen Paradieſesſage (vom<lb/> Götterberge Meru oder Hara-Berezaiti [Albordſch], d. h. wohl dem<lb/> Himalaya), ſachlich übereinkommt, und die überhaupt eine Erinnerung<lb/> an die gemeinſamen Urzuſtände und Urſchickſale der geſammten<lb/> ariſchen Menſchheit iſt.<note place="foot" n="2)">Vgl. auch den Verſuch von S. <hi rendition="#g">Lipſchütz,</hi> gerade aus dem Zuſammen-<lb/> ſtimmen vieler heidniſcher Sagen einen gemeinſamen Urſprung und Urſitz der<lb/> Menſchheit zu erweiſen: <hi rendition="#aq">De communi et simplici humani generis origine.<lb/> Genus hum. uno ortum esse auctore communemque habuisse patriam ex<lb/> diversorum populorum fabulis inter se consentaneis demonstrare conatus<lb/> est. Hamburg.</hi> 1864.</note> Beſtimmtere Fixirung der Stätte, von<lb/> wo dieſe Erinnerung urſprünglich ausgegangen, iſt freilich unmöglich;<lb/> weder die Angaben der Schrift ſelbſt noch irgendwelche außerbibliſche<lb/> Jndicien reichen dazu die Mittel dar. Als „Eden‟ (Gen. 2, 8. 15)<lb/> mag jenes ganze, mächtig weite Gebiet zwiſchen Ganges und Euphrat<lb/> immerhin zu bezeichnen ſein: auf Beſtimmung der Lage des<lb/> „<hi rendition="#g">Gartens</hi> in Eden‟ muß verzichtet werden. Die Annahme eines<lb/> Wanderns der ſpeciellen Züge der Ueberlieferung von Oſten nach<lb/> Weſten ſcheint manches für ſich zu haben; ſie würde aber weit<lb/> beſtimmterer Anhaltspunkte als die zur Zeit vorliegenden bedürfen,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [242/0252]
VII. Der Urſitz des Menſchengeſchlechts.
unterſuchende Material ſich ins Unüberſehbare vervielfältigen; außer
den obengenannten Paradieſesſagen und -hypotheſen wäre dann auch
die Memphis für den Urſitz der Menſchheit erklärende ägyptiſche
Sage zu beſprechen geweſen; ferner die Tyrus-Sage der Phönikier,
die Hebron-Sage der Edomiter und eines Theils der ſpäteren
Juden, 1) die auf Arkadien oder Athen oder Delphi lautenden Sagen
der Griechen, u. ſ. f. Die bibliſche Erzählung hat ſchon das für
ſich, daß ſie nicht das Mindeſte von einer derartigen partikulariſti-
ſchen Tendenz verräth. Jhrer oſtwärts weiſenden Haltung liegt
nichts Andres zu Grunde als eine treue Stammesüberlieferung, die
mit den nordwärts oder beziehungsweiſe nordoſtwärts weiſenden
Angaben der indiſchen und der perſiſchen Paradieſesſage (vom
Götterberge Meru oder Hara-Berezaiti [Albordſch], d. h. wohl dem
Himalaya), ſachlich übereinkommt, und die überhaupt eine Erinnerung
an die gemeinſamen Urzuſtände und Urſchickſale der geſammten
ariſchen Menſchheit iſt. 2) Beſtimmtere Fixirung der Stätte, von
wo dieſe Erinnerung urſprünglich ausgegangen, iſt freilich unmöglich;
weder die Angaben der Schrift ſelbſt noch irgendwelche außerbibliſche
Jndicien reichen dazu die Mittel dar. Als „Eden‟ (Gen. 2, 8. 15)
mag jenes ganze, mächtig weite Gebiet zwiſchen Ganges und Euphrat
immerhin zu bezeichnen ſein: auf Beſtimmung der Lage des
„Gartens in Eden‟ muß verzichtet werden. Die Annahme eines
Wanderns der ſpeciellen Züge der Ueberlieferung von Oſten nach
Weſten ſcheint manches für ſich zu haben; ſie würde aber weit
beſtimmterer Anhaltspunkte als die zur Zeit vorliegenden bedürfen,
1) Vgl. Joſ. 14, 25 Vulg., ſowie Hieronymus im Onom s. v. Arboch;
ſonſt auch Lüken, S. 74; Sepp, Meerfahrt n. Tyrus, S. 107 f.
2) Vgl. auch den Verſuch von S. Lipſchütz, gerade aus dem Zuſammen-
ſtimmen vieler heidniſcher Sagen einen gemeinſamen Urſprung und Urſitz der
Menſchheit zu erweiſen: De communi et simplici humani generis origine.
Genus hum. uno ortum esse auctore communemque habuisse patriam ex
diversorum populorum fabulis inter se consentaneis demonstrare conatus
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