Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Der Urstand nach kirchlicher Ueberlieferung.
der Zustand der Paradiesesbewohner zu denken; Adam und Eva
würden, ohne Fall von göttlichem Lichte umflossen, in verklärten
Leibern wie die eines Henoch und Elias gelebt haben.1)

Augustins überspannter Supranaturalismus auf diesem Gebiete
hat auf die spätere kirchliche Tradition des Abendlands in mehr-
facher Richtung nachtheilig eingewirkt. Nicht bloß die morgen-
ländische Theologie des Mittelalters, der Johannes von Damaskus
als Letzter der alten Zeit mit dem Beispiele ähnlicher Ueber-
treibungen vorangegangen war, schweifte weit ab ins Phantasien-
reich auf diesem Gebiete -- wie denn hier u. a. Moses Barcepha
(im 10. Jahrhundert) nicht weniger denn vierzehn Wohlthaten oder
Gnadengeschenke Gottes an Adam aufzählte und von einer "engel-
artigen Erkenntniß geistlicher und göttlicher Dinge", ja von "pro-
phetischen Gaben" redete, welche Gott dem Adam beigelegt habe. 2)
Auch die römische Lehrtradition mittlerer wie neuerer Zeit, und
nicht minder die altprotestantische Orthodoxie haben, als Erbstücke
aus Augustin's nur allzu reichem Jdeenschatz, gar manches Lehr-
motiv von zweifelhaftem Werthe, d. h. von bald so bald so den
lauteren Schriftgrund verlassendem und ins Abenteuerliche abirren-
dem Charakter weiter überliefert. Römischerseits hat man sowohl
jene besondere göttliche Mithilfe (adiutorium), den unheilbringenden
Keim des Lehrstücks von der ursprünglichen Gerechtigkeit als einem
übernatürlichen Gnadengeschenk (donum supernaturale, super-
additum
) des ersten Menschen, als auch die behauptete voll-
kommne Weisheit und wunderbare Steigerung der Jntelligenz Adams
speculativ weiter zu bilden gesucht. Jn die altprotestantische Lehr-
überlieferung ist zwar nicht jener erste Punkt, wohl aber der letztere
übergegangen. Lutherische wie reformirte Dogmatiker des 16. und
17. Jahrhunderts sind im Streben nach Ausstattung Adams mit
dem Non plus ultra von Weisheit und Sehergabe, theilweise auch

1) Vgl. überhaupt Bindemann, Der hl. Augustinus, III, S. 557 ff.;
F. Dorner, Augustinus, sein theol. System etc. (Berlin 1873), S. 114--124.
2) Mos. Barcepha, De Paradiso, I, 28; II, 7. 9. 12.

I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung.
der Zuſtand der Paradieſesbewohner zu denken; Adam und Eva
würden, ohne Fall von göttlichem Lichte umfloſſen, in verklärten
Leibern wie die eines Henoch und Elias gelebt haben.1)

Auguſtins überſpannter Supranaturalismus auf dieſem Gebiete
hat auf die ſpätere kirchliche Tradition des Abendlands in mehr-
facher Richtung nachtheilig eingewirkt. Nicht bloß die morgen-
ländiſche Theologie des Mittelalters, der Johannes von Damaskus
als Letzter der alten Zeit mit dem Beiſpiele ähnlicher Ueber-
treibungen vorangegangen war, ſchweifte weit ab ins Phantaſien-
reich auf dieſem Gebiete — wie denn hier u. a. Moſes Barcepha
(im 10. Jahrhundert) nicht weniger denn vierzehn Wohlthaten oder
Gnadengeſchenke Gottes an Adam aufzählte und von einer „engel-
artigen Erkenntniß geiſtlicher und göttlicher Dinge‟, ja von „pro-
phetiſchen Gaben‟ redete, welche Gott dem Adam beigelegt habe. 2)
Auch die römiſche Lehrtradition mittlerer wie neuerer Zeit, und
nicht minder die altproteſtantiſche Orthodoxie haben, als Erbſtücke
aus Auguſtin’s nur allzu reichem Jdeenſchatz, gar manches Lehr-
motiv von zweifelhaftem Werthe, d. h. von bald ſo bald ſo den
lauteren Schriftgrund verlaſſendem und ins Abenteuerliche abirren-
dem Charakter weiter überliefert. Römiſcherſeits hat man ſowohl
jene beſondere göttliche Mithilfe (adiutorium), den unheilbringenden
Keim des Lehrſtücks von der urſprünglichen Gerechtigkeit als einem
übernatürlichen Gnadengeſchenk (donum supernaturale, super-
additum
) des erſten Menſchen, als auch die behauptete voll-
kommne Weisheit und wunderbare Steigerung der Jntelligenz Adams
ſpeculativ weiter zu bilden geſucht. Jn die altproteſtantiſche Lehr-
überlieferung iſt zwar nicht jener erſte Punkt, wohl aber der letztere
übergegangen. Lutheriſche wie reformirte Dogmatiker des 16. und
17. Jahrhunderts ſind im Streben nach Ausſtattung Adams mit
dem Non plus ultra von Weisheit und Sehergabe, theilweiſe auch

1) Vgl. überhaupt Bindemann, Der hl. Auguſtinus, III, S. 557 ff.;
F. Dorner, Auguſtinus, ſein theol. Syſtem ꝛc. (Berlin 1873), S. 114—124.
2) Moſ. Barcepha, De Paradiso, I, 28; II, 7. 9. 12.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0025" n="15"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Der Ur&#x017F;tand nach kirchlicher Ueberlieferung.</fw><lb/>
der Zu&#x017F;tand der Paradie&#x017F;esbewohner zu denken; Adam und Eva<lb/>
würden, ohne Fall von göttlichem Lichte umflo&#x017F;&#x017F;en, in verklärten<lb/>
Leibern wie die eines Henoch und Elias gelebt haben.<note place="foot" n="1)">Vgl. überhaupt <hi rendition="#g">Bindemann,</hi> Der hl. Augu&#x017F;tinus, <hi rendition="#aq">III,</hi> S. 557 ff.;<lb/>
F. <hi rendition="#g">Dorner,</hi> Augu&#x017F;tinus, &#x017F;ein theol. Sy&#x017F;tem &#xA75B;c. (Berlin 1873), S. 114&#x2014;124.</note></p><lb/>
        <p>Augu&#x017F;tins über&#x017F;pannter Supranaturalismus auf die&#x017F;em Gebiete<lb/>
hat auf die &#x017F;pätere kirchliche Tradition des Abendlands in mehr-<lb/>
facher Richtung nachtheilig eingewirkt. Nicht bloß die morgen-<lb/>
ländi&#x017F;che Theologie des Mittelalters, der Johannes von Damaskus<lb/>
als Letzter der alten Zeit mit dem Bei&#x017F;piele ähnlicher Ueber-<lb/>
treibungen vorangegangen war, &#x017F;chweifte weit ab ins Phanta&#x017F;ien-<lb/>
reich auf die&#x017F;em Gebiete &#x2014; wie denn hier u. a. Mo&#x017F;es Barcepha<lb/>
(im 10. Jahrhundert) nicht weniger denn vierzehn Wohlthaten oder<lb/>
Gnadenge&#x017F;chenke Gottes an Adam aufzählte und von einer &#x201E;engel-<lb/>
artigen Erkenntniß gei&#x017F;tlicher und göttlicher Dinge&#x201F;, ja von &#x201E;pro-<lb/>
pheti&#x017F;chen Gaben&#x201F; redete, welche Gott dem Adam beigelegt habe. <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#g">Mo&#x017F;. Barcepha,</hi><hi rendition="#aq">De Paradiso, I, 28; II,</hi> 7. 9. 12.</note><lb/>
Auch die römi&#x017F;che Lehrtradition mittlerer wie neuerer Zeit, und<lb/>
nicht minder die altprote&#x017F;tanti&#x017F;che Orthodoxie haben, als Erb&#x017F;tücke<lb/>
aus Augu&#x017F;tin&#x2019;s nur allzu reichem Jdeen&#x017F;chatz, gar manches Lehr-<lb/>
motiv von zweifelhaftem Werthe, d. h. von bald &#x017F;o bald &#x017F;o den<lb/>
lauteren Schriftgrund verla&#x017F;&#x017F;endem und ins Abenteuerliche abirren-<lb/>
dem Charakter weiter überliefert. Römi&#x017F;cher&#x017F;eits hat man <hi rendition="#g">&#x017F;owohl</hi><lb/>
jene be&#x017F;ondere göttliche Mithilfe (<hi rendition="#aq">adiutorium</hi>), den unheilbringenden<lb/>
Keim des Lehr&#x017F;tücks von der ur&#x017F;prünglichen Gerechtigkeit als einem<lb/>
übernatürlichen Gnadenge&#x017F;chenk (<hi rendition="#aq">donum supernaturale, super-<lb/>
additum</hi>) des er&#x017F;ten Men&#x017F;chen, <hi rendition="#g">als auch</hi> die behauptete voll-<lb/>
kommne Weisheit und wunderbare Steigerung der Jntelligenz Adams<lb/>
&#x017F;peculativ weiter zu bilden ge&#x017F;ucht. Jn die altprote&#x017F;tanti&#x017F;che Lehr-<lb/>
überlieferung i&#x017F;t zwar nicht jener er&#x017F;te Punkt, wohl aber der letztere<lb/>
übergegangen. Lutheri&#x017F;che wie reformirte Dogmatiker des 16. und<lb/>
17. Jahrhunderts &#x017F;ind im Streben nach Aus&#x017F;tattung Adams mit<lb/>
dem <hi rendition="#aq">Non plus ultra</hi> von Weisheit und Sehergabe, theilwei&#x017F;e auch<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0025] I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung. der Zuſtand der Paradieſesbewohner zu denken; Adam und Eva würden, ohne Fall von göttlichem Lichte umfloſſen, in verklärten Leibern wie die eines Henoch und Elias gelebt haben. 1) Auguſtins überſpannter Supranaturalismus auf dieſem Gebiete hat auf die ſpätere kirchliche Tradition des Abendlands in mehr- facher Richtung nachtheilig eingewirkt. Nicht bloß die morgen- ländiſche Theologie des Mittelalters, der Johannes von Damaskus als Letzter der alten Zeit mit dem Beiſpiele ähnlicher Ueber- treibungen vorangegangen war, ſchweifte weit ab ins Phantaſien- reich auf dieſem Gebiete — wie denn hier u. a. Moſes Barcepha (im 10. Jahrhundert) nicht weniger denn vierzehn Wohlthaten oder Gnadengeſchenke Gottes an Adam aufzählte und von einer „engel- artigen Erkenntniß geiſtlicher und göttlicher Dinge‟, ja von „pro- phetiſchen Gaben‟ redete, welche Gott dem Adam beigelegt habe. 2) Auch die römiſche Lehrtradition mittlerer wie neuerer Zeit, und nicht minder die altproteſtantiſche Orthodoxie haben, als Erbſtücke aus Auguſtin’s nur allzu reichem Jdeenſchatz, gar manches Lehr- motiv von zweifelhaftem Werthe, d. h. von bald ſo bald ſo den lauteren Schriftgrund verlaſſendem und ins Abenteuerliche abirren- dem Charakter weiter überliefert. Römiſcherſeits hat man ſowohl jene beſondere göttliche Mithilfe (adiutorium), den unheilbringenden Keim des Lehrſtücks von der urſprünglichen Gerechtigkeit als einem übernatürlichen Gnadengeſchenk (donum supernaturale, super- additum) des erſten Menſchen, als auch die behauptete voll- kommne Weisheit und wunderbare Steigerung der Jntelligenz Adams ſpeculativ weiter zu bilden geſucht. Jn die altproteſtantiſche Lehr- überlieferung iſt zwar nicht jener erſte Punkt, wohl aber der letztere übergegangen. Lutheriſche wie reformirte Dogmatiker des 16. und 17. Jahrhunderts ſind im Streben nach Ausſtattung Adams mit dem Non plus ultra von Weisheit und Sehergabe, theilweiſe auch 1) Vgl. überhaupt Bindemann, Der hl. Auguſtinus, III, S. 557 ff.; F. Dorner, Auguſtinus, ſein theol. Syſtem ꝛc. (Berlin 1873), S. 114—124. 2) Moſ. Barcepha, De Paradiso, I, 28; II, 7. 9. 12.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/25
Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/25>, abgerufen am 21.11.2024.