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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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VI. Sprach-, religions- und culturgeschichtliche Jnstanzen.
menschlichen Natur Ureignens darzuthun, mußten wir schon oben als
eine Gedankenlosigkeit widersprechen. Der Mensch ist von Haus aus
kein reißendes Thier schlimmster Art; gerade als einem Entwicklungs-
product des Affen würde nichts ihm ferner gelegen haben, als ein
Auffressen von Seinesgleichen! Nur durch den Hereintritt eines
störenden und depravirenden Princips in seine Entwicklung können
widernatürliche Religionsgebräuche der bezeichneten Art, in welchen der
Mensch oft eine ärgere und raffinirtere Grausamkeit bethätigt als
das Raubthier, nach und nach zur Ausbildung gelangt sein. Und
als Religionsgebrauch wird auch die Anthropophagie ihrem wahren
Ursprunge nach unzweifelhaft aufgefaßt werden müssen, so gewiß als
gelegentliches Verzehren Einzelner wegen Hungersnoth noch stets auf
vorübergehende Fälle beschränkt geblieben ist und als die gewohnheits-
und überlieferungsgemäß anthropophager Sitte ergebnen Stämme
keineswegs die allerrohesten sind, sondern "in der Regel eine höhere
Gesittungsstufe einnehmen, als ihre nicht kannibalischen Nachbarn1)."

Wir legen den hier aufgezählten theils religiösen, theils ethisch-
culturellen Verfalls- und Entartungssymptomen ein größeres Gewicht
zu Gunften der von uns behaupteten Thatsächlichkeit eines einstigen
Jntegritätszustandes bei, als dem was sonst noch von einzelnen
Forschern als Zeichen eines frühzeitigen hohen Culturgrads der
Menschheit oder wenigstens einzelner Stämme derselben hervorgehoben
worden ist: den Pyramidenbauten ägyptischer Pharaonen des 3.
oder gar 4. Jahrtausend vor Christo, den in Stein gehauenen
menschlichen Kolossalfiguren auf der Osterinsel in der Südsee, den
riesengroßen Erdwällen und Hügeln der s. g. Moundbuilders, dieser
einstigen relaltiv civilisirten Bewohner des Mississippi-Thales.2) Die

1) So mit Recht O. Peschel in s. "Völkerkunde", unter Verweisung z. B.
auf die Monbuttu und Niam-Niam Schweinfurths. Höher noch cultivirt als
diese, und gleichzeitig noch schenßlicheren Kannibalensitten ergeben, fand Stanley
die Anwohner des mittleren Congo (Durch den dunklen Welttheil II).
2) Auf diese Gegenstände ist namentlich von Tylor (Anfänge der Cult.,
I, 56) und von A. R. Wallace (Academy, 17. Jan. 1874, sowie Ansprache

VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen.
menſchlichen Natur Ureignens darzuthun, mußten wir ſchon oben als
eine Gedankenloſigkeit widerſprechen. Der Menſch iſt von Haus aus
kein reißendes Thier ſchlimmſter Art; gerade als einem Entwicklungs-
product des Affen würde nichts ihm ferner gelegen haben, als ein
Auffreſſen von Seinesgleichen! Nur durch den Hereintritt eines
ſtörenden und depravirenden Princips in ſeine Entwicklung können
widernatürliche Religionsgebräuche der bezeichneten Art, in welchen der
Menſch oft eine ärgere und raffinirtere Grauſamkeit bethätigt als
das Raubthier, nach und nach zur Ausbildung gelangt ſein. Und
als Religionsgebrauch wird auch die Anthropophagie ihrem wahren
Urſprunge nach unzweifelhaft aufgefaßt werden müſſen, ſo gewiß als
gelegentliches Verzehren Einzelner wegen Hungersnoth noch ſtets auf
vorübergehende Fälle beſchränkt geblieben iſt und als die gewohnheits-
und überlieferungsgemäß anthropophager Sitte ergebnen Stämme
keineswegs die allerroheſten ſind, ſondern „in der Regel eine höhere
Geſittungsſtufe einnehmen, als ihre nicht kannibaliſchen Nachbarn1).‟

Wir legen den hier aufgezählten theils religiöſen, theils ethiſch-
culturellen Verfalls- und Entartungsſymptomen ein größeres Gewicht
zu Gunften der von uns behaupteten Thatſächlichkeit eines einſtigen
Jntegritätszuſtandes bei, als dem was ſonſt noch von einzelnen
Forſchern als Zeichen eines frühzeitigen hohen Culturgrads der
Menſchheit oder wenigſtens einzelner Stämme derſelben hervorgehoben
worden iſt: den Pyramidenbauten ägyptiſcher Pharaonen des 3.
oder gar 4. Jahrtauſend vor Chriſto, den in Stein gehauenen
menſchlichen Koloſſalfiguren auf der Oſterinſel in der Südſee, den
rieſengroßen Erdwällen und Hügeln der ſ. g. Moundbuilders, dieſer
einſtigen relaltiv civiliſirten Bewohner des Miſſiſſippi-Thales.2) Die

1) So mit Recht O. Peſchel in ſ. „Völkerkunde‟, unter Verweiſung z. B.
auf die Monbuttu und Niam-Niam Schweinfurths. Höher noch cultivirt als
dieſe, und gleichzeitig noch ſchenßlicheren Kannibalenſitten ergeben, fand Stanley
die Anwohner des mittleren Congo (Durch den dunklen Welttheil II).
2) Auf dieſe Gegenſtände iſt namentlich von Tylor (Anfänge der Cult.,
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[210/0220] VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen. menſchlichen Natur Ureignens darzuthun, mußten wir ſchon oben als eine Gedankenloſigkeit widerſprechen. Der Menſch iſt von Haus aus kein reißendes Thier ſchlimmſter Art; gerade als einem Entwicklungs- product des Affen würde nichts ihm ferner gelegen haben, als ein Auffreſſen von Seinesgleichen! Nur durch den Hereintritt eines ſtörenden und depravirenden Princips in ſeine Entwicklung können widernatürliche Religionsgebräuche der bezeichneten Art, in welchen der Menſch oft eine ärgere und raffinirtere Grauſamkeit bethätigt als das Raubthier, nach und nach zur Ausbildung gelangt ſein. Und als Religionsgebrauch wird auch die Anthropophagie ihrem wahren Urſprunge nach unzweifelhaft aufgefaßt werden müſſen, ſo gewiß als gelegentliches Verzehren Einzelner wegen Hungersnoth noch ſtets auf vorübergehende Fälle beſchränkt geblieben iſt und als die gewohnheits- und überlieferungsgemäß anthropophager Sitte ergebnen Stämme keineswegs die allerroheſten ſind, ſondern „in der Regel eine höhere Geſittungsſtufe einnehmen, als ihre nicht kannibaliſchen Nachbarn 1).‟ Wir legen den hier aufgezählten theils religiöſen, theils ethiſch- culturellen Verfalls- und Entartungsſymptomen ein größeres Gewicht zu Gunften der von uns behaupteten Thatſächlichkeit eines einſtigen Jntegritätszuſtandes bei, als dem was ſonſt noch von einzelnen Forſchern als Zeichen eines frühzeitigen hohen Culturgrads der Menſchheit oder wenigſtens einzelner Stämme derſelben hervorgehoben worden iſt: den Pyramidenbauten ägyptiſcher Pharaonen des 3. oder gar 4. Jahrtauſend vor Chriſto, den in Stein gehauenen menſchlichen Koloſſalfiguren auf der Oſterinſel in der Südſee, den rieſengroßen Erdwällen und Hügeln der ſ. g. Moundbuilders, dieſer einſtigen relaltiv civiliſirten Bewohner des Miſſiſſippi-Thales. 2) Die 1) So mit Recht O. Peſchel in ſ. „Völkerkunde‟, unter Verweiſung z. B. auf die Monbuttu und Niam-Niam Schweinfurths. Höher noch cultivirt als dieſe, und gleichzeitig noch ſchenßlicheren Kannibalenſitten ergeben, fand Stanley die Anwohner des mittleren Congo (Durch den dunklen Welttheil II). 2) Auf dieſe Gegenſtände iſt namentlich von Tylor (Anfänge der Cult., I, 56) und von A. R. Wallace (Academy, 17. Jan. 1874, ſowie Anſprache

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/220>, abgerufen am 24.11.2024.