Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.VI. Sprach-, religions- und culturgeschichtliche Jnstanzen. Behandlung des armen Ehegatten durch seine weiblichen Verwandtenseinen ursprünglichen Grund gehabt habe, die wahre Lösung des Räthsels bieten?1) Glaube, wer's kann! Uns scheint der alte Lafitau richtiger geurtheilt zu haben, wenn er eine dunkle Erinnerung an die gemeinsame Urschuld und -sünde unsres Geschlechts als dem Ge- brauche zugrundliegend bezeichnete, denselben also unter die auf ge- schlechtliche Verhältnisse bezüglichen uralten Reinigungssitten classi- ficirte, deren sich so zahlreiche Beispiele in älteren Religionen nachweisen lassen.2) -- Mit gewissen weitverbreiteten Fastensitten und ascetischen Bräuchen wird es sich schwerlich anders ver- halten. Es ist unnöthig, für diese bei Völkern der verschiedensten Art und in fast allen Religionen vorkommenden Gebräuche, die namentlich vor dem Empfang gewisser Weihen, wie der Krieger-, der Häuptlings-, der Zauberpriesterweihe, oder auch als Vorberei- tung auf den Beschneidungsact, als regelmäßig wiederkehrender Act bei religiösen Jahresfesten, bei Mysterienfeiern etc. ihre Rolle spielen, hier besondre Beispiele zusammenzustellen.3) Es gibt nur Eine ver- nünftige Deutung für diese bis ins höchste Alterthum zurückreichenden Sitten: ein wenn auch oft höchst unklares ethisches Schuldgefühl, eine dunkle Ahnung von einem durch die betr. Kasteiung zu süh- nenden sündhaften Zustande, einer nur durch ernste Büßungen hin- wegzureinigenden Geschlechtsschuld, wird ihnen überall, unter welchen 1) M. Müller, Chips from a German workshop, II, 281. 2) Lafitau, Moeurs des sauvages Americains, I, 259. -- Vgl. über die Couvade sonst noch Labat, Nouveau voyage aux eisles de l'Amerique, 1724, II, 123; Boulanger, L'antiquite devoilee par ses usages, Am- sterdam 1766 (I, 372, wo ganz ähnlich über den Ursprung der Sitte genrtheilt ist, wie bei Lafitau, l. c.); Waitz, Anthropol. der Naturvölker, I, 295; Aca- demy, 20. June 1874, p. 696; F. v. Hellwald, Culturgesch. S. 37 ff.; Bastian, Die deutsche Expedit. u. der Eoango-Küste, II, 44 f.; W. Hertz, Note zu "Aucassin u. Nicolette; altfranzös. Roman" etc. (Wien 1865), S. 73 ff. 3) Waitz, Anthropol. II, 412; III, 82; 118. 148 ff.; 206; 328 ff.;
Tylor, Anfänge der Cultur II, 302. 439; II, 411 ff.; Zöckler, Kirt. Gesch. der Askese, S. 131--135. VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen. Behandlung des armen Ehegatten durch ſeine weiblichen Verwandtenſeinen urſprünglichen Grund gehabt habe, die wahre Löſung des Räthſels bieten?1) Glaube, wer’s kann! Uns ſcheint der alte Lafitau richtiger geurtheilt zu haben, wenn er eine dunkle Erinnerung an die gemeinſame Urſchuld und -ſünde unſres Geſchlechts als dem Ge- brauche zugrundliegend bezeichnete, denſelben alſo unter die auf ge- ſchlechtliche Verhältniſſe bezüglichen uralten Reinigungsſitten claſſi- ficirte, deren ſich ſo zahlreiche Beiſpiele in älteren Religionen nachweiſen laſſen.2) — Mit gewiſſen weitverbreiteten Faſtenſitten und ascetiſchen Bräuchen wird es ſich ſchwerlich anders ver- halten. Es iſt unnöthig, für dieſe bei Völkern der verſchiedenſten Art und in faſt allen Religionen vorkommenden Gebräuche, die namentlich vor dem Empfang gewiſſer Weihen, wie der Krieger-, der Häuptlings-, der Zauberprieſterweihe, oder auch als Vorberei- tung auf den Beſchneidungsact, als regelmäßig wiederkehrender Act bei religiöſen Jahresfeſten, bei Myſterienfeiern ꝛc. ihre Rolle ſpielen, hier beſondre Beiſpiele zuſammenzuſtellen.3) Es gibt nur Eine ver- nünftige Deutung für dieſe bis ins höchſte Alterthum zurückreichenden Sitten: ein wenn auch oft höchſt unklares ethiſches Schuldgefühl, eine dunkle Ahnung von einem durch die betr. Kaſteiung zu ſüh- nenden ſündhaften Zuſtande, einer nur durch ernſte Büßungen hin- wegzureinigenden Geſchlechtsſchuld, wird ihnen überall, unter welchen 1) M. Müller, Chips from a German workshop, II, 281. 2) Lafitau, Moeurs des sauvages Américains, I, 259. — Vgl. über die Couvade ſonſt noch Labat, Nouveau voyage aux îsles de l’Amérique, 1724, II, 123; Boulanger, L’antiquité dévoilée par ses usages, Am- sterdam 1766 (I, 372, wo ganz ähnlich über den Urſprung der Sitte genrtheilt iſt, wie bei Lafitau, l. c.); Waitz, Anthropol. der Naturvölker, I, 295; Aca- demy, 20. June 1874, p. 696; F. v. Hellwald, Culturgeſch. S. 37 ff.; Baſtian, Die deutſche Expedit. u. der Eoango-Küſte, II, 44 f.; W. Hertz, Note zu „Aucaſſin u. Nicolette; altfranzöſ. Roman‟ ꝛc. (Wien 1865), S. 73 ff. 3) Waitz, Anthropol. II, 412; III, 82; 118. 148 ff.; 206; 328 ff.;
Tylor, Anfänge der Cultur II, 302. 439; II, 411 ff.; Zöckler, Kirt. Geſch. der Askeſe, S. 131—135. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0217" n="207"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VI.</hi> Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen.</fw><lb/> Behandlung des armen Ehegatten durch ſeine weiblichen Verwandten<lb/> ſeinen urſprünglichen Grund gehabt habe, die wahre Löſung des<lb/> Räthſels bieten?<note place="foot" n="1)">M. <hi rendition="#g">Müller,</hi> <hi rendition="#aq">Chips from a German workshop, II,</hi> 281.</note> Glaube, wer’s kann! Uns ſcheint der alte Lafitau<lb/> richtiger geurtheilt zu haben, wenn er eine dunkle Erinnerung an<lb/> die gemeinſame Urſchuld und -ſünde unſres Geſchlechts als dem Ge-<lb/> brauche zugrundliegend bezeichnete, denſelben alſo unter die auf ge-<lb/> ſchlechtliche Verhältniſſe bezüglichen uralten Reinigungsſitten claſſi-<lb/> ficirte, deren ſich ſo zahlreiche Beiſpiele in älteren Religionen<lb/> nachweiſen laſſen.<note place="foot" n="2)"><hi rendition="#g">Lafitau,</hi><hi rendition="#aq">Moeurs des sauvages Américains, I,</hi> 259. — Vgl. über<lb/> die Couvade ſonſt noch <hi rendition="#g">Labat,</hi> <hi rendition="#aq">Nouveau voyage aux îsles de l’Amérique,<lb/> 1724, II,</hi> 123; <hi rendition="#g">Boulanger,</hi> <hi rendition="#aq">L’antiquité dévoilée par ses usages, Am-<lb/> sterdam</hi> 1766 (<hi rendition="#aq">I,</hi> 372, wo ganz ähnlich über den Urſprung der Sitte genrtheilt<lb/> iſt, wie bei Lafitau, <hi rendition="#aq">l. c.</hi>); <hi rendition="#g">Waitz,</hi> Anthropol. der Naturvölker, <hi rendition="#aq">I, 295; Aca-<lb/> demy, 20. June 1874, p.</hi> 696; F. v. <hi rendition="#g">Hellwald,</hi> Culturgeſch. S. 37 ff.;<lb/><hi rendition="#g">Baſtian,</hi> Die deutſche Expedit. u. der Eoango-Küſte, <hi rendition="#aq">II,</hi> 44 f.; W. <hi rendition="#g">Hertz,</hi><lb/> Note zu „Aucaſſin u. Nicolette; altfranzöſ. Roman‟ ꝛc. (Wien 1865), S. 73 ff.</note> — Mit gewiſſen weitverbreiteten <hi rendition="#g">Faſtenſitten</hi><lb/> und <hi rendition="#g">ascetiſchen Bräuchen</hi> wird es ſich ſchwerlich anders ver-<lb/> halten. Es iſt unnöthig, für dieſe bei Völkern der verſchiedenſten<lb/> Art und in faſt allen Religionen vorkommenden Gebräuche, die<lb/> namentlich vor dem Empfang gewiſſer Weihen, wie der Krieger-,<lb/> der Häuptlings-, der Zauberprieſterweihe, oder auch als Vorberei-<lb/> tung auf den Beſchneidungsact, als regelmäßig wiederkehrender Act<lb/> bei religiöſen Jahresfeſten, bei Myſterienfeiern ꝛc. ihre Rolle ſpielen,<lb/> hier beſondre Beiſpiele zuſammenzuſtellen.<note place="foot" n="3)"><hi rendition="#g">Waitz,</hi> Anthropol. <hi rendition="#aq">II, 412; III,</hi> 82; 118. 148 ff.; 206; 328 ff.;<lb/><hi rendition="#g">Tylor,</hi> Anfänge der Cultur <hi rendition="#aq">II, 302. 439; II,</hi> 411 ff.; <hi rendition="#g">Zöckler,</hi> Kirt.<lb/> Geſch. der Askeſe, S. 131—135.</note> Es gibt nur Eine ver-<lb/> nünftige Deutung für dieſe bis ins höchſte Alterthum zurückreichenden<lb/> Sitten: ein wenn auch oft höchſt unklares ethiſches Schuldgefühl,<lb/> eine dunkle Ahnung von einem durch die betr. Kaſteiung zu ſüh-<lb/> nenden ſündhaften Zuſtande, einer nur durch ernſte Büßungen hin-<lb/> wegzureinigenden Geſchlechtsſchuld, wird ihnen überall, unter welchen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [207/0217]
VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen.
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ſeinen urſprünglichen Grund gehabt habe, die wahre Löſung des
Räthſels bieten? 1) Glaube, wer’s kann! Uns ſcheint der alte Lafitau
richtiger geurtheilt zu haben, wenn er eine dunkle Erinnerung an
die gemeinſame Urſchuld und -ſünde unſres Geſchlechts als dem Ge-
brauche zugrundliegend bezeichnete, denſelben alſo unter die auf ge-
ſchlechtliche Verhältniſſe bezüglichen uralten Reinigungsſitten claſſi-
ficirte, deren ſich ſo zahlreiche Beiſpiele in älteren Religionen
nachweiſen laſſen. 2) — Mit gewiſſen weitverbreiteten Faſtenſitten
und ascetiſchen Bräuchen wird es ſich ſchwerlich anders ver-
halten. Es iſt unnöthig, für dieſe bei Völkern der verſchiedenſten
Art und in faſt allen Religionen vorkommenden Gebräuche, die
namentlich vor dem Empfang gewiſſer Weihen, wie der Krieger-,
der Häuptlings-, der Zauberprieſterweihe, oder auch als Vorberei-
tung auf den Beſchneidungsact, als regelmäßig wiederkehrender Act
bei religiöſen Jahresfeſten, bei Myſterienfeiern ꝛc. ihre Rolle ſpielen,
hier beſondre Beiſpiele zuſammenzuſtellen. 3) Es gibt nur Eine ver-
nünftige Deutung für dieſe bis ins höchſte Alterthum zurückreichenden
Sitten: ein wenn auch oft höchſt unklares ethiſches Schuldgefühl,
eine dunkle Ahnung von einem durch die betr. Kaſteiung zu ſüh-
nenden ſündhaften Zuſtande, einer nur durch ernſte Büßungen hin-
wegzureinigenden Geſchlechtsſchuld, wird ihnen überall, unter welchen
1) M. Müller, Chips from a German workshop, II, 281.
2) Lafitau, Moeurs des sauvages Américains, I, 259. — Vgl. über
die Couvade ſonſt noch Labat, Nouveau voyage aux îsles de l’Amérique,
1724, II, 123; Boulanger, L’antiquité dévoilée par ses usages, Am-
sterdam 1766 (I, 372, wo ganz ähnlich über den Urſprung der Sitte genrtheilt
iſt, wie bei Lafitau, l. c.); Waitz, Anthropol. der Naturvölker, I, 295; Aca-
demy, 20. June 1874, p. 696; F. v. Hellwald, Culturgeſch. S. 37 ff.;
Baſtian, Die deutſche Expedit. u. der Eoango-Küſte, II, 44 f.; W. Hertz,
Note zu „Aucaſſin u. Nicolette; altfranzöſ. Roman‟ ꝛc. (Wien 1865), S. 73 ff.
3) Waitz, Anthropol. II, 412; III, 82; 118. 148 ff.; 206; 328 ff.;
Tylor, Anfänge der Cultur II, 302. 439; II, 411 ff.; Zöckler, Kirt.
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