Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.VI. Sprach-, religions- und culturgeschichtliche Jnstanzen. Sündenfalle, bis zu Abel und Enos hinauf.1) -- Die Beschnei-dung, ausgeübt nicht nur bei Aegyptern, Kolchiern, Phönikiern und verschiednen semitischen Völkern des alten Orients, sondern auch bei den Madagassen, Kaffern, Congo-Negern und andern südafrika- nischen Stämmen, bei Mexikanern, südamerikanischen Jndianern und Südsee-Jnsulanern, dürfte gleichfalls nur dann richtig beurtheilt werden, wenn zwar nicht ohne Weiteres ein blutiges Sühnopfer, aber doch ein specifisch religiöser Reinigungsact in ihr nach ihrer ursprünglichen Bedeutung erblickt wird.2) Mit der ungemein weit verbreiteten Sitte der Tätowirung wird es sich kaum anders verhalten. Diese schon bei einzelnen Völkern des Alterthums vor- kommende, dermalen von den Badagas auf den Nilagiri und einigen anderen indischen Stämmen, ferner von fast allen Südseeinsulanern etc. ausgeübte Sitte eines Sichdecorirens auf höchst schmerzhaftem selbst- quälerischem Wege hatte ursprünglich, wo sie nur vorkam, unzweifel- haft eine religiöse Bedeutung; erst im Laufe der Zeit scheint sie mehr zu einer eitlen Modesitte herabgesunken zu sein, welchen Cha- rakter sie indessen doch keineswegs überall da, wo sie noch in Uebung besindlich, trägt.3) Ob über mehrere andre gewaltthätige Mode- gebräuche von weiter Verbreitung, z. B. die theils afrikanische theils polynesische Formirung der Haare zu gewissen abenteuerlichen Wülsten, die chinesische Einschnürung der Frauenfüße, die durch alle Erdtheile gehende (bei Südfranzosen, Oesterreichern, vereinzelten deutschen Stämmen, Skandinaviern, Bewohnern der Krim, Abchasen, Armeniern, Turkomanen östl. vom Kaspi-See, Kamtschadalen, Phi- lippinen-Jnsulanern, Arabern, Mauren, Peruanern und vielen andren 1) Vgl. d'Eckstein, Geschichtliches über die Askesis etc. (Freiburg 1862), S 55 173 ff. -- Allgem. ev.-luth. Kirchenzeitung 1871, Nr. 15, S. 264. 2) Riehm, Handwörterb. des bibl. Altersthums, Art "Beschneidung". 3) Wuttke, Die Entstehung der Schrift, Leipz. 1872, Bd. I. -- Waitz-
Gerland, Anthropologie der Naturvölker, Bd. VI (Oceanien). -- F. Jagor, Ueber die Badaga's, in den Sitzungsberichteu der Berl. Gesellsch. f. Anthropol., Ethnologie etc., 1876, S. 195. VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen. Sündenfalle, bis zu Abel und Enos hinauf.1) — Die Beſchnei-dung, ausgeübt nicht nur bei Aegyptern, Kolchiern, Phönikiern und verſchiednen ſemitiſchen Völkern des alten Orients, ſondern auch bei den Madagaſſen, Kaffern, Congo-Negern und andern ſüdafrika- niſchen Stämmen, bei Mexikanern, ſüdamerikaniſchen Jndianern und Südſee-Jnſulanern, dürfte gleichfalls nur dann richtig beurtheilt werden, wenn zwar nicht ohne Weiteres ein blutiges Sühnopfer, aber doch ein ſpecifiſch religiöſer Reinigungsact in ihr nach ihrer urſprünglichen Bedeutung erblickt wird.2) Mit der ungemein weit verbreiteten Sitte der Tätowirung wird es ſich kaum anders verhalten. Dieſe ſchon bei einzelnen Völkern des Alterthums vor- kommende, dermalen von den Badagas auf den Nilagiri und einigen anderen indiſchen Stämmen, ferner von faſt allen Südſeeinſulanern ꝛc. ausgeübte Sitte eines Sichdecorirens auf höchſt ſchmerzhaftem ſelbſt- quäleriſchem Wege hatte urſprünglich, wo ſie nur vorkam, unzweifel- haft eine religiöſe Bedeutung; erſt im Laufe der Zeit ſcheint ſie mehr zu einer eitlen Modeſitte herabgeſunken zu ſein, welchen Cha- rakter ſie indeſſen doch keineswegs überall da, wo ſie noch in Uebung beſindlich, trägt.3) Ob über mehrere andre gewaltthätige Mode- gebräuche von weiter Verbreitung, z. B. die theils afrikaniſche theils polyneſiſche Formirung der Haare zu gewiſſen abenteuerlichen Wülſten, die chineſiſche Einſchnürung der Frauenfüße, die durch alle Erdtheile gehende (bei Südfranzoſen, Oeſterreichern, vereinzelten deutſchen Stämmen, Skandinaviern, Bewohnern der Krim, Abchaſen, Armeniern, Turkomanen öſtl. vom Kaspi-See, Kamtſchadalen, Phi- lippinen-Jnſulanern, Arabern, Mauren, Peruanern und vielen andren 1) Vgl. d’Eckſtein, Geſchichtliches über die Askeſis ꝛc. (Freiburg 1862), S 55 173 ff. — Allgem. ev.-luth. Kirchenzeitung 1871, Nr. 15, S. 264. 2) Riehm, Handwörterb. des bibl. Altersthums, Art „Beſchneidung‟. 3) Wuttke, Die Entſtehung der Schrift, Leipz. 1872, Bd. I. — Waitz-
Gerland, Anthropologie der Naturvölker, Bd. VI (Oceanien). — F. Jagor, Ueber die Badaga’s, in den Sitzungsberichteu der Berl. Geſellſch. f. Anthropol., Ethnologie ꝛc., 1876, S. 195. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0215" n="205"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VI.</hi> Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen.</fw><lb/> Sündenfalle, bis zu Abel und Enos hinauf.<note place="foot" n="1)">Vgl. <hi rendition="#g">d’Eckſtein,</hi> Geſchichtliches über die Askeſis ꝛc. (Freiburg 1862),<lb/> S 55 173 ff. — Allgem. ev.-luth. Kirchenzeitung 1871, Nr. 15, S. 264.</note> — Die <hi rendition="#g">Beſchnei-<lb/> dung,</hi> ausgeübt nicht nur bei Aegyptern, Kolchiern, Phönikiern<lb/> und verſchiednen ſemitiſchen Völkern des alten Orients, ſondern auch<lb/> bei den Madagaſſen, Kaffern, Congo-Negern und andern ſüdafrika-<lb/> niſchen Stämmen, bei Mexikanern, ſüdamerikaniſchen Jndianern und<lb/> Südſee-Jnſulanern, dürfte gleichfalls nur dann richtig beurtheilt<lb/> werden, wenn zwar nicht ohne Weiteres ein blutiges Sühnopfer,<lb/> aber doch ein ſpecifiſch religiöſer Reinigungsact in ihr nach ihrer<lb/> urſprünglichen Bedeutung erblickt wird.<note place="foot" n="2)"><hi rendition="#g">Riehm,</hi> Handwörterb. des bibl. Altersthums, Art „Beſchneidung‟.</note> Mit der ungemein weit<lb/> verbreiteten Sitte der <hi rendition="#g">Tätowirung</hi> wird es ſich kaum anders<lb/> verhalten. Dieſe ſchon bei einzelnen Völkern des Alterthums vor-<lb/> kommende, dermalen von den Badagas auf den Nilagiri und einigen<lb/> anderen indiſchen Stämmen, ferner von faſt allen Südſeeinſulanern ꝛc.<lb/> ausgeübte Sitte eines Sichdecorirens auf höchſt ſchmerzhaftem ſelbſt-<lb/> quäleriſchem Wege hatte urſprünglich, wo ſie nur vorkam, unzweifel-<lb/> haft eine religiöſe Bedeutung; erſt im Laufe der Zeit ſcheint ſie<lb/> mehr zu einer eitlen Modeſitte herabgeſunken zu ſein, welchen Cha-<lb/> rakter ſie indeſſen doch keineswegs überall da, wo ſie noch in Uebung<lb/> beſindlich, trägt.<note place="foot" n="3)"><hi rendition="#g">Wuttke,</hi> Die Entſtehung der Schrift, Leipz. 1872, Bd. <hi rendition="#aq">I.</hi> — <hi rendition="#g">Waitz-<lb/> Gerland,</hi> Anthropologie der Naturvölker, Bd. <hi rendition="#aq">VI</hi> (Oceanien). — F. <hi rendition="#g">Jagor,</hi><lb/> Ueber die Badaga’s, in den Sitzungsberichteu der Berl. Geſellſch. f. Anthropol.,<lb/> Ethnologie ꝛc., 1876, S. 195.</note> Ob über mehrere andre gewaltthätige <hi rendition="#g">Mode-<lb/> gebräuche</hi> von weiter Verbreitung, z. B. die theils afrikaniſche<lb/> theils polyneſiſche Formirung der Haare zu gewiſſen abenteuerlichen<lb/> Wülſten, die chineſiſche Einſchnürung der Frauenfüße, die durch alle<lb/> Erdtheile gehende (bei Südfranzoſen, Oeſterreichern, vereinzelten<lb/> deutſchen Stämmen, Skandinaviern, Bewohnern der Krim, Abchaſen,<lb/> Armeniern, Turkomanen öſtl. vom Kaspi-See, Kamtſchadalen, Phi-<lb/> lippinen-Jnſulanern, Arabern, Mauren, Peruanern und vielen andren<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [205/0215]
VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen.
Sündenfalle, bis zu Abel und Enos hinauf. 1) — Die Beſchnei-
dung, ausgeübt nicht nur bei Aegyptern, Kolchiern, Phönikiern
und verſchiednen ſemitiſchen Völkern des alten Orients, ſondern auch
bei den Madagaſſen, Kaffern, Congo-Negern und andern ſüdafrika-
niſchen Stämmen, bei Mexikanern, ſüdamerikaniſchen Jndianern und
Südſee-Jnſulanern, dürfte gleichfalls nur dann richtig beurtheilt
werden, wenn zwar nicht ohne Weiteres ein blutiges Sühnopfer,
aber doch ein ſpecifiſch religiöſer Reinigungsact in ihr nach ihrer
urſprünglichen Bedeutung erblickt wird. 2) Mit der ungemein weit
verbreiteten Sitte der Tätowirung wird es ſich kaum anders
verhalten. Dieſe ſchon bei einzelnen Völkern des Alterthums vor-
kommende, dermalen von den Badagas auf den Nilagiri und einigen
anderen indiſchen Stämmen, ferner von faſt allen Südſeeinſulanern ꝛc.
ausgeübte Sitte eines Sichdecorirens auf höchſt ſchmerzhaftem ſelbſt-
quäleriſchem Wege hatte urſprünglich, wo ſie nur vorkam, unzweifel-
haft eine religiöſe Bedeutung; erſt im Laufe der Zeit ſcheint ſie
mehr zu einer eitlen Modeſitte herabgeſunken zu ſein, welchen Cha-
rakter ſie indeſſen doch keineswegs überall da, wo ſie noch in Uebung
beſindlich, trägt. 3) Ob über mehrere andre gewaltthätige Mode-
gebräuche von weiter Verbreitung, z. B. die theils afrikaniſche
theils polyneſiſche Formirung der Haare zu gewiſſen abenteuerlichen
Wülſten, die chineſiſche Einſchnürung der Frauenfüße, die durch alle
Erdtheile gehende (bei Südfranzoſen, Oeſterreichern, vereinzelten
deutſchen Stämmen, Skandinaviern, Bewohnern der Krim, Abchaſen,
Armeniern, Turkomanen öſtl. vom Kaspi-See, Kamtſchadalen, Phi-
lippinen-Jnſulanern, Arabern, Mauren, Peruanern und vielen andren
1) Vgl. d’Eckſtein, Geſchichtliches über die Askeſis ꝛc. (Freiburg 1862),
S 55 173 ff. — Allgem. ev.-luth. Kirchenzeitung 1871, Nr. 15, S. 264.
2) Riehm, Handwörterb. des bibl. Altersthums, Art „Beſchneidung‟.
3) Wuttke, Die Entſtehung der Schrift, Leipz. 1872, Bd. I. — Waitz-
Gerland, Anthropologie der Naturvölker, Bd. VI (Oceanien). — F. Jagor,
Ueber die Badaga’s, in den Sitzungsberichteu der Berl. Geſellſch. f. Anthropol.,
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