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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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VI. Sprach-, religions- und culturgeschichtliche Jnstanzen.
und besonders Joh. Huber (als Gegner Moriz Wagner's in mehreren
Artikeln der Augsburger allgemeinen Zeitung 1873) genannt.1)

Bietet schon dieser Versuch, vom angeblichen Vorhandensein
religionsloser Völker aus das Dogma von der absoluten Urwildheit
am Anfange der menschlichen Geschichte zu stützen, eigentlich ein Ar-
muthszeugniß für die modern-naturalistische Geschichtsbetrachtung dar,
so gilt das von einer zweiten Lieblingsthese unsere Lubbockisten im
Jn- und Auslande in noch höherem Grade. Der Fetischdienst
soll die Urform alles ausgebildeteren religiösen Vorstellens und
Handelns sein! Dieses rohe, unsäglich viel Absurdes und Läppisches
in sich schließende Product des "Causalitätsdranges" der kindischen
Urmenschheit, kraft dessen das Göttliche unter gewissen beliebigen,
ganz willkürlich herausgegriffenen und jeder symbolischen Bedeut-
samkeit baaren sinnlichen Objecten verehrt wird, soll auf den Ur-
zustand völligster Religionslosigkeit zunächst gefolgt sein, oder, falls
es einen solchen atheistischen Urzustand nicht gab, doch jedenfalls
allen Formen edlerer geistigerer Gottesverehrung vorausgegangen
sein. Polytheismus sowohl, als Monotheismus, sollen erst Ent-
wicklungsproducte des die Urgestalt aller Religiosität bildenden Fe-
tischismus sein, sei es nun daß man sie mit Comte und seiner
Schule für Wirkungen eines allmähligen Herabsinkens von der
Stufe des Fetischcults, dieses wahren "Höhepuncts aller Religion" (!)
halte, oder daß man dieser phantastisch-abenteuerlichen Degradations-
theorie des Franzosen eine evolutionistische Auffassung des betr. Pro-
cesses entgegenstelle, also die verschiedenen geistigeren Formen des

1) Siehe überhaupt den schon cit. Excurs in meinem "Kreuz Christi." Den
daselbst angeführten Gegnern der Uratheismus-Lehre fügen wir außer Quatre-
fages
a. a. O., S. 216) und Rob. Flint (Anti- Theistic Theories, Edinb.
1878, Lect. VII
) hier noch hinzu: Paul Rob. Schuster, Gibt es unbewußte
und ererbte Vorstellungen? (herausg. von Zöllner, Leipz. 1879), S. 77;
M. Fairbairn (Academy, 1878, 20. Jul. p. 54), sowie die gekrönte Preis-
schrift von Jul. Happel: Die Anlage des Menschen zur Religion, vom gegen-
wärtigen Standpunkte der Völkerkunde aus untersucht, Harlem 1877.

VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen.
und beſonders Joh. Huber (als Gegner Moriz Wagner’s in mehreren
Artikeln der Augsburger allgemeinen Zeitung 1873) genannt.1)

Bietet ſchon dieſer Verſuch, vom angeblichen Vorhandenſein
religionsloſer Völker aus das Dogma von der abſoluten Urwildheit
am Anfange der menſchlichen Geſchichte zu ſtützen, eigentlich ein Ar-
muthszeugniß für die modern-naturaliſtiſche Geſchichtsbetrachtung dar,
ſo gilt das von einer zweiten Lieblingstheſe unſere Lubbockiſten im
Jn- und Auslande in noch höherem Grade. Der Fetiſchdienſt
ſoll die Urform alles ausgebildeteren religiöſen Vorſtellens und
Handelns ſein! Dieſes rohe, unſäglich viel Abſurdes und Läppiſches
in ſich ſchließende Product des „Cauſalitätsdranges‟ der kindiſchen
Urmenſchheit, kraft deſſen das Göttliche unter gewiſſen beliebigen,
ganz willkürlich herausgegriffenen und jeder ſymboliſchen Bedeut-
ſamkeit baaren ſinnlichen Objecten verehrt wird, ſoll auf den Ur-
zuſtand völligſter Religionsloſigkeit zunächſt gefolgt ſein, oder, falls
es einen ſolchen atheiſtiſchen Urzuſtand nicht gab, doch jedenfalls
allen Formen edlerer geiſtigerer Gottesverehrung vorausgegangen
ſein. Polytheismus ſowohl, als Monotheismus, ſollen erſt Ent-
wicklungsproducte des die Urgeſtalt aller Religioſität bildenden Fe-
tiſchismus ſein, ſei es nun daß man ſie mit Comte und ſeiner
Schule für Wirkungen eines allmähligen Herabſinkens von der
Stufe des Fetiſchcults, dieſes wahren „Höhepuncts aller Religion‟ (!)
halte, oder daß man dieſer phantaſtiſch-abenteuerlichen Degradations-
theorie des Franzoſen eine evolutioniſtiſche Auffaſſung des betr. Pro-
ceſſes entgegenſtelle, alſo die verſchiedenen geiſtigeren Formen des

1) Siehe überhaupt den ſchon cit. Excurs in meinem „Kreuz Chriſti.‟ Den
daſelbſt angeführten Gegnern der Uratheismus-Lehre fügen wir außer Quatre-
fages
a. a. O., S. 216) und Rob. Flint (Anti- Theistic Theories, Edinb.
1878, Lect. VII
) hier noch hinzu: Paul Rob. Schuſter, Gibt es unbewußte
und ererbte Vorſtellungen? (herausg. von Zöllner, Leipz. 1879), S. 77;
M. Fairbairn (Academy, 1878, 20. Jul. p. 54), ſowie die gekrönte Preis-
ſchrift von Jul. Happel: Die Anlage des Menſchen zur Religion, vom gegen-
wärtigen Standpunkte der Völkerkunde aus unterſucht, Harlem 1877.
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[196/0206] VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen. und beſonders Joh. Huber (als Gegner Moriz Wagner’s in mehreren Artikeln der Augsburger allgemeinen Zeitung 1873) genannt. 1) Bietet ſchon dieſer Verſuch, vom angeblichen Vorhandenſein religionsloſer Völker aus das Dogma von der abſoluten Urwildheit am Anfange der menſchlichen Geſchichte zu ſtützen, eigentlich ein Ar- muthszeugniß für die modern-naturaliſtiſche Geſchichtsbetrachtung dar, ſo gilt das von einer zweiten Lieblingstheſe unſere Lubbockiſten im Jn- und Auslande in noch höherem Grade. Der Fetiſchdienſt ſoll die Urform alles ausgebildeteren religiöſen Vorſtellens und Handelns ſein! Dieſes rohe, unſäglich viel Abſurdes und Läppiſches in ſich ſchließende Product des „Cauſalitätsdranges‟ der kindiſchen Urmenſchheit, kraft deſſen das Göttliche unter gewiſſen beliebigen, ganz willkürlich herausgegriffenen und jeder ſymboliſchen Bedeut- ſamkeit baaren ſinnlichen Objecten verehrt wird, ſoll auf den Ur- zuſtand völligſter Religionsloſigkeit zunächſt gefolgt ſein, oder, falls es einen ſolchen atheiſtiſchen Urzuſtand nicht gab, doch jedenfalls allen Formen edlerer geiſtigerer Gottesverehrung vorausgegangen ſein. Polytheismus ſowohl, als Monotheismus, ſollen erſt Ent- wicklungsproducte des die Urgeſtalt aller Religioſität bildenden Fe- tiſchismus ſein, ſei es nun daß man ſie mit Comte und ſeiner Schule für Wirkungen eines allmähligen Herabſinkens von der Stufe des Fetiſchcults, dieſes wahren „Höhepuncts aller Religion‟ (!) halte, oder daß man dieſer phantaſtiſch-abenteuerlichen Degradations- theorie des Franzoſen eine evolutioniſtiſche Auffaſſung des betr. Pro- ceſſes entgegenſtelle, alſo die verſchiedenen geiſtigeren Formen des 1) Siehe überhaupt den ſchon cit. Excurs in meinem „Kreuz Chriſti.‟ Den daſelbſt angeführten Gegnern der Uratheismus-Lehre fügen wir außer Quatre- fages a. a. O., S. 216) und Rob. Flint (Anti- Theistic Theories, Edinb. 1878, Lect. VII) hier noch hinzu: Paul Rob. Schuſter, Gibt es unbewußte und ererbte Vorſtellungen? (herausg. von Zöllner, Leipz. 1879), S. 77; M. Fairbairn (Academy, 1878, 20. Jul. p. 54), ſowie die gekrönte Preis- ſchrift von Jul. Happel: Die Anlage des Menſchen zur Religion, vom gegen- wärtigen Standpunkte der Völkerkunde aus unterſucht, Harlem 1877.

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/206>, abgerufen am 23.11.2024.