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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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VI. Sprach-, religions- und culturgeschichtliche Jnstanzen.
Ueberlieferung, insbesondere jede eigentliche Gottesidee abgesprochen;
ihre späteren Nachfolger jedoch, darunter Livingstone, Merensky und
andre Berliner Missionare sowie neuestens besonders Dr. Callaway
in seinem auf die Religion der Zulu bezüglichen Werke "Ukulunkulu",
lehrten auf Grund tieferen Eindringens das Gegentheil als wahr
kennen. Mehrere centralafrikanische Negervölker der oberen Nilregion,
wie die Dinkas, Schilluks, Nuehrs etc. wurden von Sir Samuel
Baker als schlechthinige Atheisten geschildert; daß seine Beobachtungen
in ihrem Betreff oberflächlicher Art gewesen waren, wurde durch
spätere Reiseforscher wie G. Schweinfurth, Ernst Marno, u. AA.
dargethan; insbesondere bezüglich der Nuehrs zeigte Marno, daß sie
nicht bloß einen bösen Geist Nyeledit verehren, sondern auch Regen-
macherei, Zauberei etc. ganz wie viele andre Negervölker treiben.
Die früher von Don Felix de Azara den Payagua's, später durch
Burmeister, Bates, Wallace, Moriz Wagner verschiednen anderen
südamerikanischen Stämmen, besonders des Amazonas-Gebietes nach-
gesagte völlige Religionslosigkeit hat sich in jedem einzelnen Falle
als auf einseitiger und nicht hinreichend gründlicher Beobachtung
beruhend erwiesen. Einen gewissen Glauben an übersinnliche Mächte
fand der Brasilien-Reisende Prinz Max von Wied auch bei den
rohesten Stämmen, die er besuchte; was v. Martius an Spuren
eines annähernden Atheismus bei einigen dieser Eingeborenen Bra-
siliens wahrnahm, war jedenfalls von der Art, daß es ihn in seiner
Annahme einer stattgehabten Degradation derselben bestärkte, nicht
etwa die entgegenstehende Ansicht ihm nahelegte. Ein Donner- oder
Regengott, sowie gewisse Spuren von Unsterblichkeitshoffnung, sind
bis jetzt noch bei jedem amerikanischen Jndianerstamme entdeckt
worden.

So steht es um das empirische Material, womit vielfach zu
Gunsten der These von einem Ur-Atheismus der Menschheit operirt
worden ist. Aber gesetzt auch, es würden wirklich etwelche absolut
religionslose Stämme in der Gegenwart mit Sicherheit nachgewiesen:
welches Recht hätte man zu einem Rückschlusse von da aus auf den

Zöckler, Urstand 13

VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen.
Ueberlieferung, insbeſondere jede eigentliche Gottesidee abgeſprochen;
ihre ſpäteren Nachfolger jedoch, darunter Livingſtone, Merensky und
andre Berliner Miſſionare ſowie neueſtens beſonders Dr. Callaway
in ſeinem auf die Religion der Zulu bezüglichen Werke „Ukulunkulu‟,
lehrten auf Grund tieferen Eindringens das Gegentheil als wahr
kennen. Mehrere centralafrikaniſche Negervölker der oberen Nilregion,
wie die Dinkas, Schilluks, Nuehrs ꝛc. wurden von Sir Samuel
Baker als ſchlechthinige Atheiſten geſchildert; daß ſeine Beobachtungen
in ihrem Betreff oberflächlicher Art geweſen waren, wurde durch
ſpätere Reiſeforſcher wie G. Schweinfurth, Ernſt Marno, u. AA.
dargethan; insbeſondere bezüglich der Nuehrs zeigte Marno, daß ſie
nicht bloß einen böſen Geiſt Nyeledit verehren, ſondern auch Regen-
macherei, Zauberei ꝛc. ganz wie viele andre Negervölker treiben.
Die früher von Don Felix de Azara den Payagua’s, ſpäter durch
Burmeiſter, Bates, Wallace, Moriz Wagner verſchiednen anderen
ſüdamerikaniſchen Stämmen, beſonders des Amazonas-Gebietes nach-
geſagte völlige Religionsloſigkeit hat ſich in jedem einzelnen Falle
als auf einſeitiger und nicht hinreichend gründlicher Beobachtung
beruhend erwieſen. Einen gewiſſen Glauben an überſinnliche Mächte
fand der Braſilien-Reiſende Prinz Max von Wied auch bei den
roheſten Stämmen, die er beſuchte; was v. Martius an Spuren
eines annähernden Atheismus bei einigen dieſer Eingeborenen Bra-
ſiliens wahrnahm, war jedenfalls von der Art, daß es ihn in ſeiner
Annahme einer ſtattgehabten Degradation derſelben beſtärkte, nicht
etwa die entgegenſtehende Anſicht ihm nahelegte. Ein Donner- oder
Regengott, ſowie gewiſſe Spuren von Unſterblichkeitshoffnung, ſind
bis jetzt noch bei jedem amerikaniſchen Jndianerſtamme entdeckt
worden.

So ſteht es um das empiriſche Material, womit vielfach zu
Gunſten der Theſe von einem Ur-Atheismus der Menſchheit operirt
worden iſt. Aber geſetzt auch, es würden wirklich etwelche abſolut
religionsloſe Stämme in der Gegenwart mit Sicherheit nachgewieſen:
welches Recht hätte man zu einem Rückſchluſſe von da aus auf den

Zöckler, Urſtand 13
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[193/0203] VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen. Ueberlieferung, insbeſondere jede eigentliche Gottesidee abgeſprochen; ihre ſpäteren Nachfolger jedoch, darunter Livingſtone, Merensky und andre Berliner Miſſionare ſowie neueſtens beſonders Dr. Callaway in ſeinem auf die Religion der Zulu bezüglichen Werke „Ukulunkulu‟, lehrten auf Grund tieferen Eindringens das Gegentheil als wahr kennen. Mehrere centralafrikaniſche Negervölker der oberen Nilregion, wie die Dinkas, Schilluks, Nuehrs ꝛc. wurden von Sir Samuel Baker als ſchlechthinige Atheiſten geſchildert; daß ſeine Beobachtungen in ihrem Betreff oberflächlicher Art geweſen waren, wurde durch ſpätere Reiſeforſcher wie G. Schweinfurth, Ernſt Marno, u. AA. dargethan; insbeſondere bezüglich der Nuehrs zeigte Marno, daß ſie nicht bloß einen böſen Geiſt Nyeledit verehren, ſondern auch Regen- macherei, Zauberei ꝛc. ganz wie viele andre Negervölker treiben. Die früher von Don Felix de Azara den Payagua’s, ſpäter durch Burmeiſter, Bates, Wallace, Moriz Wagner verſchiednen anderen ſüdamerikaniſchen Stämmen, beſonders des Amazonas-Gebietes nach- geſagte völlige Religionsloſigkeit hat ſich in jedem einzelnen Falle als auf einſeitiger und nicht hinreichend gründlicher Beobachtung beruhend erwieſen. Einen gewiſſen Glauben an überſinnliche Mächte fand der Braſilien-Reiſende Prinz Max von Wied auch bei den roheſten Stämmen, die er beſuchte; was v. Martius an Spuren eines annähernden Atheismus bei einigen dieſer Eingeborenen Bra- ſiliens wahrnahm, war jedenfalls von der Art, daß es ihn in ſeiner Annahme einer ſtattgehabten Degradation derſelben beſtärkte, nicht etwa die entgegenſtehende Anſicht ihm nahelegte. Ein Donner- oder Regengott, ſowie gewiſſe Spuren von Unſterblichkeitshoffnung, ſind bis jetzt noch bei jedem amerikaniſchen Jndianerſtamme entdeckt worden. So ſteht es um das empiriſche Material, womit vielfach zu Gunſten der Theſe von einem Ur-Atheismus der Menſchheit operirt worden iſt. Aber geſetzt auch, es würden wirklich etwelche abſolut religionsloſe Stämme in der Gegenwart mit Sicherheit nachgewieſen: welches Recht hätte man zu einem Rückſchluſſe von da aus auf den Zöckler, Urſtand 13

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/203>, abgerufen am 22.11.2024.