VI. Sprach-, religions- und culturgeschichtliche Jnstanzen.
Kanon gilt zwar betreffs mancher Einzelheiten seiner Ausführung den Mitforschern nicht durchweg als normgebend: im Großen und Ganzen jedoch halten sie alle, soweit sie überhaupt ähnlichen natu- ralistischen Grundanschauungen huldigen, an ihm fest.
Offenbar sind alle diese Annahmen nichts als nothwendige Consequenzen aus dem Dogma vom Thier-Ursprunge des Menschen- geschlechts. Es fragt sich aber eben darum, ob sie einer ins Ein- zelne eingehenden Widerlegung werth sind. Vieles in diesem Rä- sonnement ist doch gar zu seicht und oberflächlich, zu sehr aller, auch der ersten Elemente religiösen Verständnisses und religiöser Erfahrung baar. Und in welches Nest von Widersprüchen müssen sie sich nicht hineinwühlen, die Vertheidiger solcher Anschauungen! Spuren reli- giöser Empfindung soll schon die Thierwelt verschiedner Stufen und Classen in Verbindung mit ihren socialen Jnstincten kundgeben, -- und doch soll eine Nacht des schwärzesten Atheismus, der absolutesten Sittenlosigkeit allüberall den Ausgangspunkt religiös-sittlicher Ent- wicklung der Menschheit gebildet haben! Vom Affen sollen wir die Körperform, Schädelbildung, auch wohl einiges Psychische, wie den Nachahmungstrieb etc. überkommen haben -- aber um die Vorläufer unsrer religiösen Regungen nachzuweisen, muß bis zum Hunde, wo nicht gar bis zu den Ameisen zurückgegangen werden! Betreffs der Art, wie die einzelnen Stufen der Religiosität und Sittlichkeit sich auseinander und aus dem gemeinsamen Urgrunde absolutester Rohheit entwickelt haben sollen, herrscht die allergrößte Meinungsverschiedenheit. Die Geschlechtsverhältnisse der frühesten Urzeit denkt fast Jeder sich anders als der Andre; namenlich besteht zwischen M'Lennan als Vertheidiger der Annahme einer ursprünglichen Polyandrie und zwischen Lubbock, Giraud-Teulon, v. Hellwald und Andren als Vertretern der Hypothese eines ursprünglichen Weibercommunismus oder schrankenlosen Hetärismus ein unversöhnlicher Gegensatz. Der Ansicht, daß solchen scheußlichen Geschlechtssitten der Urzeit auch die
riage in its lowest phases is by no means a matter of affection and companionship", etc.
VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen.
Kanon gilt zwar betreffs mancher Einzelheiten ſeiner Ausführung den Mitforſchern nicht durchweg als normgebend: im Großen und Ganzen jedoch halten ſie alle, ſoweit ſie überhaupt ähnlichen natu- raliſtiſchen Grundanſchauungen huldigen, an ihm feſt.
Offenbar ſind alle dieſe Annahmen nichts als nothwendige Conſequenzen aus dem Dogma vom Thier-Urſprunge des Menſchen- geſchlechts. Es fragt ſich aber eben darum, ob ſie einer ins Ein- zelne eingehenden Widerlegung werth ſind. Vieles in dieſem Rä- ſonnement iſt doch gar zu ſeicht und oberflächlich, zu ſehr aller, auch der erſten Elemente religiöſen Verſtändniſſes und religiöſer Erfahrung baar. Und in welches Neſt von Widerſprüchen müſſen ſie ſich nicht hineinwühlen, die Vertheidiger ſolcher Anſchauungen! Spuren reli- giöſer Empfindung ſoll ſchon die Thierwelt verſchiedner Stufen und Claſſen in Verbindung mit ihren ſocialen Jnſtincten kundgeben, — und doch ſoll eine Nacht des ſchwärzeſten Atheismus, der abſoluteſten Sittenloſigkeit allüberall den Ausgangspunkt religiös-ſittlicher Ent- wicklung der Menſchheit gebildet haben! Vom Affen ſollen wir die Körperform, Schädelbildung, auch wohl einiges Pſychiſche, wie den Nachahmungstrieb ꝛc. überkommen haben — aber um die Vorläufer unſrer religiöſen Regungen nachzuweiſen, muß bis zum Hunde, wo nicht gar bis zu den Ameiſen zurückgegangen werden! Betreffs der Art, wie die einzelnen Stufen der Religioſität und Sittlichkeit ſich auseinander und aus dem gemeinſamen Urgrunde abſoluteſter Rohheit entwickelt haben ſollen, herrſcht die allergrößte Meinungsverſchiedenheit. Die Geſchlechtsverhältniſſe der früheſten Urzeit denkt faſt Jeder ſich anders als der Andre; namenlich beſteht zwiſchen M’Lennan als Vertheidiger der Annahme einer urſprünglichen Polyandrie und zwiſchen Lubbock, Giraud-Teulon, v. Hellwald und Andren als Vertretern der Hypotheſe eines urſprünglichen Weibercommunismus oder ſchrankenloſen Hetärismus ein unverſöhnlicher Gegenſatz. Der Anſicht, daß ſolchen ſcheußlichen Geſchlechtsſitten der Urzeit auch die
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VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen.
Kanon gilt zwar betreffs mancher Einzelheiten ſeiner Ausführung
den Mitforſchern nicht durchweg als normgebend: im Großen und
Ganzen jedoch halten ſie alle, ſoweit ſie überhaupt ähnlichen natu-
raliſtiſchen Grundanſchauungen huldigen, an ihm feſt.
Offenbar ſind alle dieſe Annahmen nichts als nothwendige
Conſequenzen aus dem Dogma vom Thier-Urſprunge des Menſchen-
geſchlechts. Es fragt ſich aber eben darum, ob ſie einer ins Ein-
zelne eingehenden Widerlegung werth ſind. Vieles in dieſem Rä-
ſonnement iſt doch gar zu ſeicht und oberflächlich, zu ſehr aller, auch
der erſten Elemente religiöſen Verſtändniſſes und religiöſer Erfahrung
baar. Und in welches Neſt von Widerſprüchen müſſen ſie ſich nicht
hineinwühlen, die Vertheidiger ſolcher Anſchauungen! Spuren reli-
giöſer Empfindung ſoll ſchon die Thierwelt verſchiedner Stufen und
Claſſen in Verbindung mit ihren ſocialen Jnſtincten kundgeben, —
und doch ſoll eine Nacht des ſchwärzeſten Atheismus, der abſoluteſten
Sittenloſigkeit allüberall den Ausgangspunkt religiös-ſittlicher Ent-
wicklung der Menſchheit gebildet haben! Vom Affen ſollen wir die
Körperform, Schädelbildung, auch wohl einiges Pſychiſche, wie den
Nachahmungstrieb ꝛc. überkommen haben — aber um die Vorläufer
unſrer religiöſen Regungen nachzuweiſen, muß bis zum Hunde, wo
nicht gar bis zu den Ameiſen zurückgegangen werden! Betreffs der
Art, wie die einzelnen Stufen der Religioſität und Sittlichkeit ſich
auseinander und aus dem gemeinſamen Urgrunde abſoluteſter Rohheit
entwickelt haben ſollen, herrſcht die allergrößte Meinungsverſchiedenheit.
Die Geſchlechtsverhältniſſe der früheſten Urzeit denkt faſt Jeder ſich
anders als der Andre; namenlich beſteht zwiſchen M’Lennan als
Vertheidiger der Annahme einer urſprünglichen Polyandrie und
zwiſchen Lubbock, Giraud-Teulon, v. Hellwald und Andren als
Vertretern der Hypotheſe eines urſprünglichen Weibercommunismus
oder ſchrankenloſen Hetärismus ein unverſöhnlicher Gegenſatz. Der
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1) riage in its lowest phases is by no means a matter of affection and
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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/200>, abgerufen am 27.07.2024.
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