Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite
I.
Der Arstand nach kirchlicher Aeberlieferung.

Versteht man die Kirchenlehre in jenem weiteren Sinne, wonach
außer dem Kern symbolisch fixirter Hauptlehrsätze auch das bunte
Allerlei von Lehrmeinungen angesehenerer und geringerer theologischer
Schriftsteller darunter begriffen wird, so kann der Vorwurf unbib-
lischer Uebertreibungen und willkürlicher Speculationen auf dem
Gebiete des Urstandsdogma's schwerlich von ihr fern gehalten
werden. Allerdings sind gewisse plumpe wildphantastische Sagen
des Gnosticismus und des talmudischen Judenthums, betreffend die
riesige Leibesgröße und die halb göttliche Würde Adams stets inner-
halb der Kirche zurückgewiesen worden. Die gnostisch-manichäische
Steigerung der Person des ersten Menschen zu einer göttlichen
Hypostase konnte so wenig Eingang finden, als die Koran-Legende
(Sur. II, 28; III, 10), welche Adam, den Stellvertreter Allahs,
durch die Engel angebetet werden läßt, oder als solche symboli-
sirende Fabeln der Rabbinen, wie die, daß Gott Adams Leib von
Babylonien, dem Lande der Fruchtfülle, den Kopf von Palästina,
dem Lande der Erkenntniß, die Gliedmaaßen aber von den übrigen
Ländern geschaffen hätte, oder wie jene andre von einer bis
zum Himmel reichenden Höhe des neugeschaffenen Menschheitsstamm-
vaters (wofür man sich auf die mißverstandne Stelle Jos. 14, 15
stützte, oder gar -- so R. Elieser -- auf 5 Mose 4, 32 berief:
"Gott schuf den Menschen auf Erden, von einem Ende zum

I.
Der Arſtand nach kirchlicher Aeberlieferung.

Verſteht man die Kirchenlehre in jenem weiteren Sinne, wonach
außer dem Kern ſymboliſch fixirter Hauptlehrſätze auch das bunte
Allerlei von Lehrmeinungen angeſehenerer und geringerer theologiſcher
Schriftſteller darunter begriffen wird, ſo kann der Vorwurf unbib-
liſcher Uebertreibungen und willkürlicher Speculationen auf dem
Gebiete des Urſtandsdogma’s ſchwerlich von ihr fern gehalten
werden. Allerdings ſind gewiſſe plumpe wildphantaſtiſche Sagen
des Gnoſticismus und des talmudiſchen Judenthums, betreffend die
rieſige Leibesgröße und die halb göttliche Würde Adams ſtets inner-
halb der Kirche zurückgewieſen worden. Die gnoſtiſch-manichäiſche
Steigerung der Perſon des erſten Menſchen zu einer göttlichen
Hypoſtaſe konnte ſo wenig Eingang finden, als die Koran-Legende
(Sur. II, 28; III, 10), welche Adam, den Stellvertreter Allahs,
durch die Engel angebetet werden läßt, oder als ſolche ſymboli-
ſirende Fabeln der Rabbinen, wie die, daß Gott Adams Leib von
Babylonien, dem Lande der Fruchtfülle, den Kopf von Paläſtina,
dem Lande der Erkenntniß, die Gliedmaaßen aber von den übrigen
Ländern geſchaffen hätte, oder wie jene andre von einer bis
zum Himmel reichenden Höhe des neugeſchaffenen Menſchheitsſtamm-
vaters (wofür man ſich auf die mißverſtandne Stelle Joſ. 14, 15
ſtützte, oder gar — ſo R. Elieſer — auf 5 Moſe 4, 32 berief:
„Gott ſchuf den Menſchen auf Erden, von einem Ende zum

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0020" n="[10]"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I.</hi><lb/>
Der Ar&#x017F;tand nach kirchlicher Aeberlieferung.</hi> </head><lb/>
        <p>Ver&#x017F;teht man die Kirchenlehre in jenem weiteren Sinne, wonach<lb/>
außer dem Kern &#x017F;ymboli&#x017F;ch fixirter Hauptlehr&#x017F;ätze auch das bunte<lb/>
Allerlei von Lehrmeinungen ange&#x017F;ehenerer und geringerer theologi&#x017F;cher<lb/>
Schrift&#x017F;teller darunter begriffen wird, &#x017F;o kann der Vorwurf unbib-<lb/>
li&#x017F;cher Uebertreibungen und willkürlicher Speculationen auf dem<lb/>
Gebiete des Ur&#x017F;tandsdogma&#x2019;s &#x017F;chwerlich von ihr fern gehalten<lb/>
werden. Allerdings &#x017F;ind gewi&#x017F;&#x017F;e plumpe wildphanta&#x017F;ti&#x017F;che Sagen<lb/>
des Gno&#x017F;ticismus und des talmudi&#x017F;chen Judenthums, betreffend die<lb/>
rie&#x017F;ige Leibesgröße und die halb göttliche Würde Adams &#x017F;tets inner-<lb/>
halb der Kirche zurückgewie&#x017F;en worden. Die gno&#x017F;ti&#x017F;ch-manichäi&#x017F;che<lb/>
Steigerung der Per&#x017F;on des er&#x017F;ten Men&#x017F;chen zu einer göttlichen<lb/>
Hypo&#x017F;ta&#x017F;e konnte &#x017F;o wenig Eingang finden, als die Koran-Legende<lb/>
(Sur. <hi rendition="#aq">II,</hi> 28; <hi rendition="#aq">III,</hi> 10), welche Adam, den Stellvertreter Allahs,<lb/>
durch die Engel angebetet werden läßt, oder als &#x017F;olche &#x017F;ymboli-<lb/>
&#x017F;irende Fabeln der Rabbinen, wie die, daß Gott Adams Leib von<lb/>
Babylonien, dem Lande der Fruchtfülle, den Kopf von Palä&#x017F;tina,<lb/>
dem Lande der Erkenntniß, die Gliedmaaßen aber von den übrigen<lb/>
Ländern ge&#x017F;chaffen hätte, oder wie jene andre von einer bis<lb/>
zum Himmel reichenden Höhe des neuge&#x017F;chaffenen Men&#x017F;chheits&#x017F;tamm-<lb/>
vaters (wofür man &#x017F;ich auf die mißver&#x017F;tandne Stelle Jo&#x017F;. 14, 15<lb/>
&#x017F;tützte, oder gar &#x2014; &#x017F;o R. Elie&#x017F;er &#x2014; auf 5 Mo&#x017F;e 4, 32 berief:<lb/>
&#x201E;Gott &#x017F;chuf den Men&#x017F;chen auf Erden, von einem Ende zum<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[10]/0020] I. Der Arſtand nach kirchlicher Aeberlieferung. Verſteht man die Kirchenlehre in jenem weiteren Sinne, wonach außer dem Kern ſymboliſch fixirter Hauptlehrſätze auch das bunte Allerlei von Lehrmeinungen angeſehenerer und geringerer theologiſcher Schriftſteller darunter begriffen wird, ſo kann der Vorwurf unbib- liſcher Uebertreibungen und willkürlicher Speculationen auf dem Gebiete des Urſtandsdogma’s ſchwerlich von ihr fern gehalten werden. Allerdings ſind gewiſſe plumpe wildphantaſtiſche Sagen des Gnoſticismus und des talmudiſchen Judenthums, betreffend die rieſige Leibesgröße und die halb göttliche Würde Adams ſtets inner- halb der Kirche zurückgewieſen worden. Die gnoſtiſch-manichäiſche Steigerung der Perſon des erſten Menſchen zu einer göttlichen Hypoſtaſe konnte ſo wenig Eingang finden, als die Koran-Legende (Sur. II, 28; III, 10), welche Adam, den Stellvertreter Allahs, durch die Engel angebetet werden läßt, oder als ſolche ſymboli- ſirende Fabeln der Rabbinen, wie die, daß Gott Adams Leib von Babylonien, dem Lande der Fruchtfülle, den Kopf von Paläſtina, dem Lande der Erkenntniß, die Gliedmaaßen aber von den übrigen Ländern geſchaffen hätte, oder wie jene andre von einer bis zum Himmel reichenden Höhe des neugeſchaffenen Menſchheitsſtamm- vaters (wofür man ſich auf die mißverſtandne Stelle Joſ. 14, 15 ſtützte, oder gar — ſo R. Elieſer — auf 5 Moſe 4, 32 berief: „Gott ſchuf den Menſchen auf Erden, von einem Ende zum

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/20
Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. [10]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/20>, abgerufen am 21.11.2024.