V. Prüfung der vorgeschichtlich-anthropologischen Gegeninstanzen.
ächte historische Beleg nothwendig mangelt und immer mangeln wird, die Kluft zwischen Theorie und thatsächlichem Befund zu überbrücken gesucht.1)
Es verhält sich mit dem ganzen hier betrachteten Gebiete nicht anders: die Theorie muß vorhalten, da wo die ausreichenden That- sachenbelege mangeln! Die einzigen einigermaaßen directen Jndicien für eine einstige größere Affenähnlichkeit unsres Geschlechts als die dermalige, also für einen möglichen genealogischen Urzusammenhang zwischen Mensch und Affe, sind ein paar dürftige, annähernd thier- ähnlich gestaltete Schädelbruchstücke aus wahrscheinlich ungestörten Quaternärschichten, denen eine überwältigende Mehrheit von Schädeln oder Schädelbruchstücken von normaler, nichts Affenähnliches ver- rathender Bildung aus eben solchen Schichten gegenübersteht! Wie es um die Beweiskraft jener vereinzelten approximativ-thierähnlichen Schädel für die These des Darwinismus steht, darüber wollen wir hier noch einen Anthropologen ersten Ranges sich äußern lassen. A. de Quatrefages in seinem neusten Hauptwerke2) erklärt den öfters gezognen Schluß: mit der thierisch-artigen Form eines solchen Schädels, wie der Neanderthaler, "müsse nothwendigerweise eine geringe intellectuelle und moralische Ausbildung gepaart sein", für einen durchaus irrigen und voreiligen. Er erinnert zum Beweise dafür an einige Fälle von merkwürdigem Contrast zwischen thierisch- ähnlicher Schädelbildung und hohem Jntelligenzgrade bei lebenden oder der Geschichte angehörigen Personen. "Auf dem anthropolog. Congresse in Paris gedachte K. Vogt eines Freundes, dessen Kopf durchaus an den Neanderthal-Schädel erinnert, der aber gleichwohl ein tüchtiger Psychiater ist. Jm Kopenhagener Museum fiel mir ein Schädel auf, der mich ganz an den Neanderthal-Schädel er- innerte; er gehörte dem dänischen Edelmanne Kay Lykke an, der
1) Vgl. überhaupt meine Geschichte der Beziehungen etc. II, 675 ff. 739 ff., nebst zugehörigen Noten, woselbst die Belege für das Obige zu finden sind.
2) Das Menschengeschlecht, II, 38.
Zöckler, Urstand. 12
V. Prüfung der vorgeſchichtlich-anthropologiſchen Gegeninſtanzen.
ächte hiſtoriſche Beleg nothwendig mangelt und immer mangeln wird, die Kluft zwiſchen Theorie und thatſächlichem Befund zu überbrücken geſucht.1)
Es verhält ſich mit dem ganzen hier betrachteten Gebiete nicht anders: die Theorie muß vorhalten, da wo die ausreichenden That- ſachenbelege mangeln! Die einzigen einigermaaßen directen Jndicien für eine einſtige größere Affenähnlichkeit unſres Geſchlechts als die dermalige, alſo für einen möglichen genealogiſchen Urzuſammenhang zwiſchen Menſch und Affe, ſind ein paar dürftige, annähernd thier- ähnlich geſtaltete Schädelbruchſtücke aus wahrſcheinlich ungeſtörten Quaternärſchichten, denen eine überwältigende Mehrheit von Schädeln oder Schädelbruchſtücken von normaler, nichts Affenähnliches ver- rathender Bildung aus eben ſolchen Schichten gegenüberſteht! Wie es um die Beweiskraft jener vereinzelten approximativ-thierähnlichen Schädel für die Theſe des Darwinismus ſteht, darüber wollen wir hier noch einen Anthropologen erſten Ranges ſich äußern laſſen. A. de Quatrefages in ſeinem neuſten Hauptwerke2) erklärt den öfters gezognen Schluß: mit der thieriſch-artigen Form eines ſolchen Schädels, wie der Neanderthaler, „müſſe nothwendigerweiſe eine geringe intellectuelle und moraliſche Ausbildung gepaart ſein‟, für einen durchaus irrigen und voreiligen. Er erinnert zum Beweiſe dafür an einige Fälle von merkwürdigem Contraſt zwiſchen thieriſch- ähnlicher Schädelbildung und hohem Jntelligenzgrade bei lebenden oder der Geſchichte angehörigen Perſonen. „Auf dem anthropolog. Congreſſe in Paris gedachte K. Vogt eines Freundes, deſſen Kopf durchaus an den Neanderthal-Schädel erinnert, der aber gleichwohl ein tüchtiger Pſychiater iſt. Jm Kopenhagener Muſeum fiel mir ein Schädel auf, der mich ganz an den Neanderthal-Schädel er- innerte; er gehörte dem däniſchen Edelmanne Kay Lykke an, der
1) Vgl. überhaupt meine Geſchichte der Beziehungen ꝛc. II, 675 ff. 739 ff., nebſt zugehörigen Noten, woſelbſt die Belege für das Obige zu finden ſind.
2) Das Menſchengeſchlecht, II, 38.
Zöckler, Urſtand. 12
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V. Prüfung der vorgeſchichtlich-anthropologiſchen Gegeninſtanzen.
ächte hiſtoriſche Beleg nothwendig mangelt und immer mangeln
wird, die Kluft zwiſchen Theorie und thatſächlichem Befund zu
überbrücken geſucht. 1)
Es verhält ſich mit dem ganzen hier betrachteten Gebiete nicht
anders: die Theorie muß vorhalten, da wo die ausreichenden That-
ſachenbelege mangeln! Die einzigen einigermaaßen directen Jndicien
für eine einſtige größere Affenähnlichkeit unſres Geſchlechts als die
dermalige, alſo für einen möglichen genealogiſchen Urzuſammenhang
zwiſchen Menſch und Affe, ſind ein paar dürftige, annähernd thier-
ähnlich geſtaltete Schädelbruchſtücke aus wahrſcheinlich ungeſtörten
Quaternärſchichten, denen eine überwältigende Mehrheit von Schädeln
oder Schädelbruchſtücken von normaler, nichts Affenähnliches ver-
rathender Bildung aus eben ſolchen Schichten gegenüberſteht! Wie
es um die Beweiskraft jener vereinzelten approximativ-thierähnlichen
Schädel für die Theſe des Darwinismus ſteht, darüber wollen wir
hier noch einen Anthropologen erſten Ranges ſich äußern laſſen.
A. de Quatrefages in ſeinem neuſten Hauptwerke 2) erklärt den
öfters gezognen Schluß: mit der thieriſch-artigen Form eines ſolchen
Schädels, wie der Neanderthaler, „müſſe nothwendigerweiſe eine
geringe intellectuelle und moraliſche Ausbildung gepaart ſein‟, für
einen durchaus irrigen und voreiligen. Er erinnert zum Beweiſe
dafür an einige Fälle von merkwürdigem Contraſt zwiſchen thieriſch-
ähnlicher Schädelbildung und hohem Jntelligenzgrade bei lebenden
oder der Geſchichte angehörigen Perſonen. „Auf dem anthropolog.
Congreſſe in Paris gedachte K. Vogt eines Freundes, deſſen Kopf
durchaus an den Neanderthal-Schädel erinnert, der aber gleichwohl
ein tüchtiger Pſychiater iſt. Jm Kopenhagener Muſeum fiel mir
ein Schädel auf, der mich ganz an den Neanderthal-Schädel er-
innerte; er gehörte dem däniſchen Edelmanne Kay Lykke an, der
1) Vgl. überhaupt meine Geſchichte der Beziehungen ꝛc. II, 675 ff. 739 ff.,
nebſt zugehörigen Noten, woſelbſt die Belege für das Obige zu finden ſind.
2) Das Menſchengeſchlecht, II, 38.
Zöckler, Urſtand. 12
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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/187>, abgerufen am 16.02.2025.
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