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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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IV. Die Opposition des modernen Naturalismus.
die glücklichste und größte Begebenheit in der Menschengeschichte;
von diesem Augenblicke her schreibt sich seine Freiheit, hier wurde
zu seiner Moralität der erste entfernte Grundstein gelegt." Mag
der Volkslehrer recht haben, die Begebenheit als einen Fall des
ersten Menschen zu behandeln: der Philosoph hat ebenso recht, sie
einen Riesenschritt der Menschheit zu nennen. "Denn der Mensch
wurde dadurch aus einem Sklaven des Naturtriebs ein frei han-
delndes Geschöpf, aus einem Automat ein sittliches Wesen, und mit
diesem Schritte trat er zuerst auf die Leiter, die ihn nach Verlauf
von vielen Jahrtausenden zur Selbstherrschaft führen wird." Schon
bald begann dem in den harten Kampf ums Dasein Eingetretenen
"die Natur an Freuden des Geistes zu ersetzen, was sie ihm an
Pflanzengenüssen genommen hatte .... Der Schlaf beschlich ihn
nach der ermüdenden Arbeit und unter selbstgebautem Dache süßer,
als in der trägen Ruhe seines Paradieses." Ja, er war jetzt "für
das Paradies schon zu edel, und er kannte sich selbst nicht, wenn
er im Drange der Noth und unter der Last der Sorgen sich in
dasselbe zurückwünschte". 1) -- Ein gewisser Versuch, den Kern der
biblischen Urstandslehre speculativ zu erfassen und zu begründen,
erscheint hier wirklich gemacht, aber ein sehr einseitiger. Bei Aus-
malung sowohl des ursprünglichen Jnstinct-Zeitalters als der darauf
folgenden harten Arbeitszeit spielt die Phantasie eine große Rolle;
und der gewaltige Ernst des sündig Bösen wird, ähnlich wie dieß
von Rousseau geschieht, wenn auch mit theilweise andersartiger Wen-
dung und Wirkung, von ihm verkannt.

Man sieht: theils eine gewisse Anhänglichkeit an die Tradi-
tionen der h. Schrift, theils eine selbstständige philosophisch-kritische
Haltung läßt das "Volk der Denker" vorläufig, soweit seine Geistes-
entwicklung bis um den Anfang des 19. Jahrhunderts in Betracht
kommt, die von Frankreich herüber gedrungenen naturalistischen Jdeen

1) Etwas über die erste Menschengesellschaft nach dem Leitfaden der mosai-
schen Urkunde (1790).

IV. Die Oppoſition des modernen Naturalismus.
die glücklichſte und größte Begebenheit in der Menſchengeſchichte;
von dieſem Augenblicke her ſchreibt ſich ſeine Freiheit, hier wurde
zu ſeiner Moralität der erſte entfernte Grundſtein gelegt.‟ Mag
der Volkslehrer recht haben, die Begebenheit als einen Fall des
erſten Menſchen zu behandeln: der Philoſoph hat ebenſo recht, ſie
einen Rieſenſchritt der Menſchheit zu nennen. „Denn der Menſch
wurde dadurch aus einem Sklaven des Naturtriebs ein frei han-
delndes Geſchöpf, aus einem Automat ein ſittliches Weſen, und mit
dieſem Schritte trat er zuerſt auf die Leiter, die ihn nach Verlauf
von vielen Jahrtauſenden zur Selbſtherrſchaft führen wird.‟ Schon
bald begann dem in den harten Kampf ums Daſein Eingetretenen
„die Natur an Freuden des Geiſtes zu erſetzen, was ſie ihm an
Pflanzengenüſſen genommen hatte .... Der Schlaf beſchlich ihn
nach der ermüdenden Arbeit und unter ſelbſtgebautem Dache ſüßer,
als in der trägen Ruhe ſeines Paradieſes.‟ Ja, er war jetzt „für
das Paradies ſchon zu edel, und er kannte ſich ſelbſt nicht, wenn
er im Drange der Noth und unter der Laſt der Sorgen ſich in
daſſelbe zurückwünſchte‟. 1) — Ein gewiſſer Verſuch, den Kern der
bibliſchen Urſtandslehre ſpeculativ zu erfaſſen und zu begründen,
erſcheint hier wirklich gemacht, aber ein ſehr einſeitiger. Bei Aus-
malung ſowohl des urſprünglichen Jnſtinct-Zeitalters als der darauf
folgenden harten Arbeitszeit ſpielt die Phantaſie eine große Rolle;
und der gewaltige Ernſt des ſündig Böſen wird, ähnlich wie dieß
von Rouſſeau geſchieht, wenn auch mit theilweiſe andersartiger Wen-
dung und Wirkung, von ihm verkannt.

Man ſieht: theils eine gewiſſe Anhänglichkeit an die Tradi-
tionen der h. Schrift, theils eine ſelbſtſtändige philoſophiſch-kritiſche
Haltung läßt das „Volk der Denker‟ vorläufig, ſoweit ſeine Geiſtes-
entwicklung bis um den Anfang des 19. Jahrhunderts in Betracht
kommt, die von Frankreich herüber gedrungenen naturaliſtiſchen Jdeen

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ſchen Urkunde (1790).
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[121/0131] IV. Die Oppoſition des modernen Naturalismus. die glücklichſte und größte Begebenheit in der Menſchengeſchichte; von dieſem Augenblicke her ſchreibt ſich ſeine Freiheit, hier wurde zu ſeiner Moralität der erſte entfernte Grundſtein gelegt.‟ Mag der Volkslehrer recht haben, die Begebenheit als einen Fall des erſten Menſchen zu behandeln: der Philoſoph hat ebenſo recht, ſie einen Rieſenſchritt der Menſchheit zu nennen. „Denn der Menſch wurde dadurch aus einem Sklaven des Naturtriebs ein frei han- delndes Geſchöpf, aus einem Automat ein ſittliches Weſen, und mit dieſem Schritte trat er zuerſt auf die Leiter, die ihn nach Verlauf von vielen Jahrtauſenden zur Selbſtherrſchaft führen wird.‟ Schon bald begann dem in den harten Kampf ums Daſein Eingetretenen „die Natur an Freuden des Geiſtes zu erſetzen, was ſie ihm an Pflanzengenüſſen genommen hatte .... Der Schlaf beſchlich ihn nach der ermüdenden Arbeit und unter ſelbſtgebautem Dache ſüßer, als in der trägen Ruhe ſeines Paradieſes.‟ Ja, er war jetzt „für das Paradies ſchon zu edel, und er kannte ſich ſelbſt nicht, wenn er im Drange der Noth und unter der Laſt der Sorgen ſich in daſſelbe zurückwünſchte‟. 1) — Ein gewiſſer Verſuch, den Kern der bibliſchen Urſtandslehre ſpeculativ zu erfaſſen und zu begründen, erſcheint hier wirklich gemacht, aber ein ſehr einſeitiger. Bei Aus- malung ſowohl des urſprünglichen Jnſtinct-Zeitalters als der darauf folgenden harten Arbeitszeit ſpielt die Phantaſie eine große Rolle; und der gewaltige Ernſt des ſündig Böſen wird, ähnlich wie dieß von Rouſſeau geſchieht, wenn auch mit theilweiſe andersartiger Wen- dung und Wirkung, von ihm verkannt. Man ſieht: theils eine gewiſſe Anhänglichkeit an die Tradi- tionen der h. Schrift, theils eine ſelbſtſtändige philoſophiſch-kritiſche Haltung läßt das „Volk der Denker‟ vorläufig, ſoweit ſeine Geiſtes- entwicklung bis um den Anfang des 19. Jahrhunderts in Betracht kommt, die von Frankreich herüber gedrungenen naturaliſtiſchen Jdeen 1) Etwas über die erſte Menſchengeſellſchaft nach dem Leitfaden der moſai- ſchen Urkunde (1790).

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/131>, abgerufen am 22.11.2024.