Lassen wir sie sich austoben, die Wogen eines kritischen Ueber- muths, der dem frischen Brunnquell göttlicher Wahrheit und Lebens- kraft selber doch nichts anhaben kann! Eins vermag keiner der im Bisherigen betrachteten Versuche zur Entwerthung der biblischen Ur- geschichte und zur Erschütterung ihrer Glaubwürdigkeit: die Parallelen der heidnischen religiösen Tradition von ihr loszureißen, sie ihres hohen Zeugenwerthes zu berauben und als lediglich zufällige oder scheinbare Anklänge an das biblisch Ueberlieferte darzuthun. Was das Alte Testament vom Urstande unsres Geschlechts und seinem allmähligen Verlorengehen bei gleichzeitigem Aufkeimen der Anfänge einer vorwärtsstrebenden Culturentwicklung überliefert und was die Sagen sämmtlicher Haupt-Culturvölker in wesentlichen Einklange damit berichten, das gehört unabtrennbar zusammen und bleibt als Ein Ganzes, Ein Grundstock urzeitlicher Reminiscenzen der Völker- welt, fest miteinander verbunden, wie immer man im Einzelnen das Verhältniß beider Theile zu einander sich denken möge. Um die biblische Urgeschichte als den Kern der Festung gruppiren sich die an Alter mit der muthmaaßlichen Entstehungszeit der biblischen Ur- kunden großentheils wetteifernden altheidnischen Traditionen ähnlichen Jnhalts als eine Reihe verstärkender Bollwerke herum. Beide stehen und fallen miteinander. Man kann nicht die Außenwerke preisgeben, ohne den Kern mit zu überliefern; unmöglicher noch ist's, unter Verlassung des Kernes sich in diesen oder jenen Theil der Außen- werke flüchten und nur ihn als fest und angeblich uneinnehmbar behaupten zu wollen. Mit einer solchen halben Uebergabe wie die hier angedeutete gibt der moderne Unglaube sich auch keineswegs zufrieden. Er will das Ganze niederwerfen; mit Stumpf und Stiel soll hinweggemäht werden, was nur von Glauben an eine einstige rei- nere und glücklichere Urbeschaffenheit unsres Geschlechts aus alter Zeit her überliefert ist. -- Vergegenwärtigen wir uns zunächst, vor näherem Eingehen auf die Gründe dieser Gegner, das allmählige Zustandekom- men ihrer radikalen Opposition, mittelst übersichtlicher Betrachtung des betr. Entwicklungsganges seit dem Reformationsjahrhundert.
III. Die Traditionen des Heidenthums.
Laſſen wir ſie ſich austoben, die Wogen eines kritiſchen Ueber- muths, der dem friſchen Brunnquell göttlicher Wahrheit und Lebens- kraft ſelber doch nichts anhaben kann! Eins vermag keiner der im Bisherigen betrachteten Verſuche zur Entwerthung der bibliſchen Ur- geſchichte und zur Erſchütterung ihrer Glaubwürdigkeit: die Parallelen der heidniſchen religiöſen Tradition von ihr loszureißen, ſie ihres hohen Zeugenwerthes zu berauben und als lediglich zufällige oder ſcheinbare Anklänge an das bibliſch Ueberlieferte darzuthun. Was das Alte Teſtament vom Urſtande unſres Geſchlechts und ſeinem allmähligen Verlorengehen bei gleichzeitigem Aufkeimen der Anfänge einer vorwärtsſtrebenden Culturentwicklung überliefert und was die Sagen ſämmtlicher Haupt-Culturvölker in weſentlichen Einklange damit berichten, das gehört unabtrennbar zuſammen und bleibt als Ein Ganzes, Ein Grundſtock urzeitlicher Reminiſcenzen der Völker- welt, feſt miteinander verbunden, wie immer man im Einzelnen das Verhältniß beider Theile zu einander ſich denken möge. Um die bibliſche Urgeſchichte als den Kern der Feſtung gruppiren ſich die an Alter mit der muthmaaßlichen Entſtehungszeit der bibliſchen Ur- kunden großentheils wetteifernden altheidniſchen Traditionen ähnlichen Jnhalts als eine Reihe verſtärkender Bollwerke herum. Beide ſtehen und fallen miteinander. Man kann nicht die Außenwerke preisgeben, ohne den Kern mit zu überliefern; unmöglicher noch iſt’s, unter Verlaſſung des Kernes ſich in dieſen oder jenen Theil der Außen- werke flüchten und nur ihn als feſt und angeblich uneinnehmbar behaupten zu wollen. Mit einer ſolchen halben Uebergabe wie die hier angedeutete gibt der moderne Unglaube ſich auch keineswegs zufrieden. Er will das Ganze niederwerfen; mit Stumpf und Stiel ſoll hinweggemäht werden, was nur von Glauben an eine einſtige rei- nere und glücklichere Urbeſchaffenheit unſres Geſchlechts aus alter Zeit her überliefert iſt. — Vergegenwärtigen wir uns zunächſt, vor näherem Eingehen auf die Gründe dieſer Gegner, das allmählige Zuſtandekom- men ihrer radikalen Oppoſition, mittelſt überſichtlicher Betrachtung des betr. Entwicklungsganges ſeit dem Reformationsjahrhundert.
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III. Die Traditionen des Heidenthums.
Laſſen wir ſie ſich austoben, die Wogen eines kritiſchen Ueber-
muths, der dem friſchen Brunnquell göttlicher Wahrheit und Lebens-
kraft ſelber doch nichts anhaben kann! Eins vermag keiner der im
Bisherigen betrachteten Verſuche zur Entwerthung der bibliſchen Ur-
geſchichte und zur Erſchütterung ihrer Glaubwürdigkeit: die Parallelen
der heidniſchen religiöſen Tradition von ihr loszureißen, ſie ihres
hohen Zeugenwerthes zu berauben und als lediglich zufällige oder
ſcheinbare Anklänge an das bibliſch Ueberlieferte darzuthun. Was
das Alte Teſtament vom Urſtande unſres Geſchlechts und ſeinem
allmähligen Verlorengehen bei gleichzeitigem Aufkeimen der Anfänge
einer vorwärtsſtrebenden Culturentwicklung überliefert und was die
Sagen ſämmtlicher Haupt-Culturvölker in weſentlichen Einklange
damit berichten, das gehört unabtrennbar zuſammen und bleibt als
Ein Ganzes, Ein Grundſtock urzeitlicher Reminiſcenzen der Völker-
welt, feſt miteinander verbunden, wie immer man im Einzelnen das
Verhältniß beider Theile zu einander ſich denken möge. Um die
bibliſche Urgeſchichte als den Kern der Feſtung gruppiren ſich die
an Alter mit der muthmaaßlichen Entſtehungszeit der bibliſchen Ur-
kunden großentheils wetteifernden altheidniſchen Traditionen ähnlichen
Jnhalts als eine Reihe verſtärkender Bollwerke herum. Beide ſtehen
und fallen miteinander. Man kann nicht die Außenwerke preisgeben,
ohne den Kern mit zu überliefern; unmöglicher noch iſt’s, unter
Verlaſſung des Kernes ſich in dieſen oder jenen Theil der Außen-
werke flüchten und nur ihn als feſt und angeblich uneinnehmbar
behaupten zu wollen. Mit einer ſolchen halben Uebergabe wie die
hier angedeutete gibt der moderne Unglaube ſich auch keineswegs
zufrieden. Er will das Ganze niederwerfen; mit Stumpf und Stiel
ſoll hinweggemäht werden, was nur von Glauben an eine einſtige rei-
nere und glücklichere Urbeſchaffenheit unſres Geſchlechts aus alter Zeit
her überliefert iſt. — Vergegenwärtigen wir uns zunächſt, vor näherem
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men ihrer radikalen Oppoſition, mittelſt überſichtlicher Betrachtung
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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/122>, abgerufen am 22.11.2024.
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