Zinzendorf, Nicolaus Ludwig von: Teutscher Gedichte Erster Theil. Herrnhuth, 1735.Vorrede. lich wäre, daß Liebhaber des Ausonii, des la Fonta- ine, des Günthers und ihres gleichen, hierinnen blättern möchten, so müste ich sie bitten, daß sie vor- her den Athenagoras lesen, oder mir allenfalls auf mein Wort glauben wolten, daß Bayle und Boileau und S. Evremond mit ihren chimerischen Be- schreibungen einer guten Ehe die wahrhaftige Glückseligkeit der Unsrigen bey weiten noch nicht getroffen, daß das, was der letztere vor Kenn-Zei- chen der wahren Verliebtheit geben, mit unserer Anhänglichkeit an den Heyland genau zusam- men trifft. Daß endlich keine vollkommnere Schönheit ist, als eine gemeine Dirne von mäßiger Gestalt, die nicht glaubt noch weiß, daß was grosses, was glückliches oder liebenswürdiges ist, als der Freund, den man nicht siehet. Wenn die Ro- mans in ihrer Art keine schlechtere Arbeit mach- ten, als die Helden-Geschichte von JEsu von Nazareth in der ihrigen, so wären sie etwas mehr werth. Wer in einer Gemeine wohnt, der glaubt leicht, daß die alten Wunder-Geschichte wahr sind, weil sie noch immer geschehen; daß Heilige gewesen sind, weil ihrer noch sind; daß Leute den Heyland zärtlich geliebet haben, weil es noch welche gibt, die es thun. Wer es nicht glau- ben will, der kans sehen. Gnug davon, ich wünsche meinem Leser, daß ihn
Vorrede. lich waͤre, daß Liebhaber des Auſonii, des la Fonta- ine, des Guͤnthers und ihres gleichen, hierinnen blaͤttern moͤchten, ſo muͤſte ich ſie bitten, daß ſie vor- her den Athenagoras leſen, oder mir allenfalls auf mein Wort glauben wolten, daß Bayle und Boileau und S. Evremond mit ihren chimeriſchen Be- ſchreibungen einer guten Ehe die wahrhaftige Gluͤckſeligkeit der Unſrigen bey weiten noch nicht getroffen, daß das, was der letztere vor Kenn-Zei- chen der wahren Verliebtheit geben, mit unſerer Anhaͤnglichkeit an den Heyland genau zuſam- men trifft. Daß endlich keine vollkommnere Schoͤnheit iſt, als eine gemeine Dirne von maͤßiger Geſtalt, die nicht glaubt noch weiß, daß was groſſes, was gluͤckliches oder liebenswuͤrdiges iſt, als der Freund, den man nicht ſiehet. Wenn die Ro- mans in ihrer Art keine ſchlechtere Arbeit mach- ten, als die Helden-Geſchichte von JEſu von Nazareth in der ihrigen, ſo waͤren ſie etwas mehr werth. Wer in einer Gemeine wohnt, der glaubt leicht, daß die alten Wunder-Geſchichte wahr ſind, weil ſie noch immer geſchehen; daß Heilige geweſen ſind, weil ihrer noch ſind; daß Leute den Heyland zaͤrtlich geliebet haben, weil es noch welche gibt, die es thun. Wer es nicht glau- ben will, der kans ſehen. Gnug davon, ich wuͤnſche meinem Leſer, daß ihn
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Vorrede.
lich waͤre, daß Liebhaber des Auſonii, des la Fonta-
ine, des Guͤnthers und ihres gleichen, hierinnen
blaͤttern moͤchten, ſo muͤſte ich ſie bitten, daß ſie vor-
her den Athenagoras leſen, oder mir allenfalls auf
mein Wort glauben wolten, daß Bayle und Boileau
und S. Evremond mit ihren chimeriſchen Be-
ſchreibungen einer guten Ehe die wahrhaftige
Gluͤckſeligkeit der Unſrigen bey weiten noch nicht
getroffen, daß das, was der letztere vor Kenn-Zei-
chen der wahren Verliebtheit geben, mit unſerer
Anhaͤnglichkeit an den Heyland genau zuſam-
men trifft. Daß endlich keine vollkommnere
Schoͤnheit iſt, als eine gemeine Dirne von maͤßiger
Geſtalt, die nicht glaubt noch weiß, daß was groſſes,
was gluͤckliches oder liebenswuͤrdiges iſt, als der
Freund, den man nicht ſiehet. Wenn die Ro-
mans in ihrer Art keine ſchlechtere Arbeit mach-
ten, als die Helden-Geſchichte von JEſu von
Nazareth in der ihrigen, ſo waͤren ſie etwas mehr
werth. Wer in einer Gemeine wohnt, der
glaubt leicht, daß die alten Wunder-Geſchichte
wahr ſind, weil ſie noch immer geſchehen; daß
Heilige geweſen ſind, weil ihrer noch ſind; daß
Leute den Heyland zaͤrtlich geliebet haben, weil es
noch welche gibt, die es thun. Wer es nicht glau-
ben will, der kans ſehen.
Gnug davon, ich wuͤnſche meinem Leſer, daß
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