Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zinzendorf, Nicolaus Ludwig von: Teutscher Gedichte Erster Theil. Herrnhuth, 1735.

Bild:
<< vorherige Seite

1733.

Drum, Seel'ger-Aelt'sten-Geist! fall vor den Fürsten hin,
Und danck dem Lamm und ihm in dein und unserm Sinn.

Wir habens wohl erkannt und merckens immer besser,
Daß nichts so selig ist, als unterm Creutze stehn,
Das Creutz-Reich werde uns bey Schmach und Ehre grösser!
O Mit-Knecht wolltest du uns diese Gnad erflehn!
Doch, Heyland! bete du. Drum Creutz-Reich gutes Muths,
Wir glaubens, Linner siehts. Der Vater Christi thuts.
CXIV. Bey des M. Bardili Be-
gräbniß.
Die Gnade ist gewiß noch allzu unbekannt,
Die Gnade, eine Krafft, von Millionen Zungen
Bald mit Beweglichkeit, bald nur mit Unverstand,
Daheim und offentlich, bezeuget und besungen.
Was wird noch aus der Welt? Wie groß ist ihre Noth!
Wie ist das Leben selbst den Todten noch so todt!
Kan der vom Gnaden-Stuhl zurück geschreckte Geist,
Kan er den Sinn des HErrn nicht gäntzlich vorenthalten;
So, daß ein Mensch erfährt, was Gnade GOttes heist:
So bildet er das Wort in seltsame Gestalten;
Bald gehts dem Glauben ab, bald eignen Wercken zu,
Bald macht er, daß man glaubt, damit man wenig thu.
Was ist doch eigentlich am Mißverstande schuld?
Und ists kein Mißverstand, wer härtet das Beginnen
(Das wie ein Wezstein ist der Göttlichen Gedult,)

Des Volcks von frecher Stirn, von Diamantnen Sinnen,
Von unbeschnittnem Ohr und halb-verweßten Geist,
Und dessen Sprichwort doch auch: Unser Vater heißt?
(Jer. 3, 3. 4.
Nicht GOtt! Dann welcher Mensch ihn dieser Sache zeyht,
Der macht den Schöpffer selbst sehr deutlich zum Betrüger,
Und damit wird zugleich das Hauß der Menschlichkeit
(Dann das Gesetz ist aus) ein Sammel-Platz der Tyger.

Wer anders, als ein Geist der Lügen, hats erdacht,
Daß GOtt uns anders lehrt, und gleichwohl anders macht?
Wie

1733.

Drum, Seel’ger-Aelt’ſten-Geiſt! fall vor den Fuͤrſten hin,
Und danck dem Lamm und ihm in dein und unſerm Sinn.

Wir habens wohl erkannt und merckens immer beſſer,
Daß nichts ſo ſelig iſt, als unterm Creutze ſtehn,
Das Creutz-Reich werde uns bey Schmach und Ehre groͤſſer!
O Mit-Knecht wollteſt du uns dieſe Gnad erflehn!
Doch, Heyland! bete du. Drum Creutz-Reich gutes Muths,
Wir glaubens, Linner ſiehts. Der Vater Chriſti thuts.
CXIV. Bey des M. Bardili Be-
graͤbniß.
Die Gnade iſt gewiß noch allzu unbekannt,
Die Gnade, eine Krafft, von Millionen Zungen
Bald mit Beweglichkeit, bald nur mit Unverſtand,
Daheim und offentlich, bezeuget und beſungen.
Was wird noch aus der Welt? Wie groß iſt ihre Noth!
Wie iſt das Leben ſelbſt den Todten noch ſo todt!
Kan der vom Gnaden-Stuhl zuruͤck geſchreckte Geiſt,
Kan er den Sinn des HErrn nicht gaͤntzlich vorenthalten;
So, daß ein Menſch erfaͤhrt, was Gnade GOttes heiſt:
So bildet er das Wort in ſeltſame Geſtalten;
Bald gehts dem Glauben ab, bald eignen Wercken zu,
Bald macht er, daß man glaubt, damit man wenig thu.
Was iſt doch eigentlich am Mißverſtande ſchuld?
Und iſts kein Mißverſtand, wer haͤrtet das Beginnen
(Das wie ein Wezſtein iſt der Goͤttlichen Gedult,)

Des Volcks von frecher Stirn, von Diamantnen Sinnen,
Von unbeſchnittnem Ohr und halb-verweßten Geiſt,
Und deſſen Sprichwort doch auch: Unſer Vater heißt?
(Jer. 3, 3. 4.
Nicht GOtt! Dann welcher Menſch ihn dieſer Sache zeyht,
Der macht den Schoͤpffer ſelbſt ſehr deutlich zum Betruͤger,
Und damit wird zugleich das Hauß der Menſchlichkeit
(Dann das Geſetz iſt aus) ein Sammel-Platz der Tyger.

Wer anders, als ein Geiſt der Luͤgen, hats erdacht,
Daß GOtt uns anders lehrt, und gleichwohl anders macht?
Wie
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <lg type="poem">
          <lg n="154">
            <l>
              <pb facs="#f0284" n="274"/>
              <fw place="top" type="header">1733.</fw>
            </l><lb/>
            <l>Drum, Seel&#x2019;ger-Aelt&#x2019;&#x017F;ten-Gei&#x017F;t! fall vor den Fu&#x0364;r&#x017F;ten hin,</l><lb/>
            <l>Und danck dem Lamm und ihm in dein und un&#x017F;erm Sinn.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="155">
            <l>Wir habens wohl erkannt und merckens immer be&#x017F;&#x017F;er,</l><lb/>
            <l>Daß nichts &#x017F;o &#x017F;elig i&#x017F;t, als unterm Creutze &#x017F;tehn,</l><lb/>
            <l>Das Creutz-Reich werde uns bey Schmach und Ehre gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;er!</l><lb/>
            <l>O Mit-Knecht wollte&#x017F;t du uns die&#x017F;e Gnad erflehn!</l><lb/>
            <l>Doch, Heyland! bete du. Drum Creutz-Reich gutes Muths,</l><lb/>
            <l>Wir <hi rendition="#fr">glaubens,</hi> Linner <hi rendition="#fr">&#x017F;iehts.</hi> Der Vater Chri&#x017F;ti <hi rendition="#fr">thuts.</hi></l>
          </lg>
        </lg><lb/>
        <lg type="poem">
          <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">CXIV.</hi> Bey des M. Bardili Be-<lb/>
gra&#x0364;bniß.</hi> </head><lb/>
          <lg n="156">
            <l><hi rendition="#in">D</hi>ie Gnade i&#x017F;t gewiß noch allzu unbekannt,</l><lb/>
            <l>Die Gnade, eine Krafft, von Millionen Zungen</l><lb/>
            <l>Bald mit Beweglichkeit, bald nur mit Unver&#x017F;tand,</l><lb/>
            <l>Daheim und offentlich, bezeuget und be&#x017F;ungen.</l><lb/>
            <l>Was wird noch aus der Welt? Wie groß i&#x017F;t ihre Noth!</l><lb/>
            <l>Wie i&#x017F;t das Leben &#x017F;elb&#x017F;t den Todten noch &#x017F;o todt!</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="157">
            <l>Kan der vom Gnaden-Stuhl zuru&#x0364;ck ge&#x017F;chreckte Gei&#x017F;t,</l><lb/>
            <l>Kan er den Sinn des HErrn nicht ga&#x0364;ntzlich vorenthalten;</l><lb/>
            <l>So, daß ein Men&#x017F;ch erfa&#x0364;hrt, was Gnade GOttes hei&#x017F;t:</l><lb/>
            <l>So bildet er das Wort in &#x017F;elt&#x017F;ame Ge&#x017F;talten;</l><lb/>
            <l>Bald gehts dem Glauben <hi rendition="#fr">ab,</hi> bald eignen Wercken <hi rendition="#fr">zu,</hi></l><lb/>
            <l>Bald macht er, daß man <hi rendition="#fr">glaubt,</hi> damit man <hi rendition="#fr">wenig thu.</hi></l>
          </lg><lb/>
          <lg n="158">
            <l>Was i&#x017F;t doch eigentlich am Mißver&#x017F;tande &#x017F;chuld?</l><lb/>
            <l>Und i&#x017F;ts kein Mißver&#x017F;tand, wer ha&#x0364;rtet das Beginnen<lb/>
(Das wie ein Wez&#x017F;tein i&#x017F;t der Go&#x0364;ttlichen Gedult,)</l><lb/>
            <l>Des Volcks von frecher Stirn, von Diamantnen Sinnen,</l><lb/>
            <l>Von unbe&#x017F;chnittnem Ohr und halb-verweßten Gei&#x017F;t,</l><lb/>
            <l>Und de&#x017F;&#x017F;en Sprichwort doch auch: <hi rendition="#fr">Un&#x017F;er Vater</hi> heißt?</l>
          </lg><lb/>
          <note place="right">(Jer. 3, 3. 4.</note><lb/>
          <lg n="159">
            <l><hi rendition="#fr">Nicht GOtt!</hi> Dann welcher Men&#x017F;ch ihn die&#x017F;er Sache zeyht,</l><lb/>
            <l>Der macht den Scho&#x0364;pffer &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ehr deutlich zum Betru&#x0364;ger,</l><lb/>
            <l>Und damit wird zugleich das Hauß der Men&#x017F;chlichkeit<lb/>
(Dann das Ge&#x017F;etz i&#x017F;t aus) ein Sammel-Platz der Tyger.</l><lb/>
            <l>Wer anders, als ein Gei&#x017F;t der Lu&#x0364;gen, hats erdacht,</l><lb/>
            <l>Daß GOtt uns anders <hi rendition="#fr">lehrt,</hi> und gleichwohl anders macht?</l>
          </lg><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Wie</fw><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[274/0284] 1733. Drum, Seel’ger-Aelt’ſten-Geiſt! fall vor den Fuͤrſten hin, Und danck dem Lamm und ihm in dein und unſerm Sinn. Wir habens wohl erkannt und merckens immer beſſer, Daß nichts ſo ſelig iſt, als unterm Creutze ſtehn, Das Creutz-Reich werde uns bey Schmach und Ehre groͤſſer! O Mit-Knecht wollteſt du uns dieſe Gnad erflehn! Doch, Heyland! bete du. Drum Creutz-Reich gutes Muths, Wir glaubens, Linner ſiehts. Der Vater Chriſti thuts. CXIV. Bey des M. Bardili Be- graͤbniß. Die Gnade iſt gewiß noch allzu unbekannt, Die Gnade, eine Krafft, von Millionen Zungen Bald mit Beweglichkeit, bald nur mit Unverſtand, Daheim und offentlich, bezeuget und beſungen. Was wird noch aus der Welt? Wie groß iſt ihre Noth! Wie iſt das Leben ſelbſt den Todten noch ſo todt! Kan der vom Gnaden-Stuhl zuruͤck geſchreckte Geiſt, Kan er den Sinn des HErrn nicht gaͤntzlich vorenthalten; So, daß ein Menſch erfaͤhrt, was Gnade GOttes heiſt: So bildet er das Wort in ſeltſame Geſtalten; Bald gehts dem Glauben ab, bald eignen Wercken zu, Bald macht er, daß man glaubt, damit man wenig thu. Was iſt doch eigentlich am Mißverſtande ſchuld? Und iſts kein Mißverſtand, wer haͤrtet das Beginnen (Das wie ein Wezſtein iſt der Goͤttlichen Gedult,) Des Volcks von frecher Stirn, von Diamantnen Sinnen, Von unbeſchnittnem Ohr und halb-verweßten Geiſt, Und deſſen Sprichwort doch auch: Unſer Vater heißt? Nicht GOtt! Dann welcher Menſch ihn dieſer Sache zeyht, Der macht den Schoͤpffer ſelbſt ſehr deutlich zum Betruͤger, Und damit wird zugleich das Hauß der Menſchlichkeit (Dann das Geſetz iſt aus) ein Sammel-Platz der Tyger. Wer anders, als ein Geiſt der Luͤgen, hats erdacht, Daß GOtt uns anders lehrt, und gleichwohl anders macht? Wie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zinzendorf_gedichte_1735
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zinzendorf_gedichte_1735/284
Zitationshilfe: Zinzendorf, Nicolaus Ludwig von: Teutscher Gedichte Erster Theil. Herrnhuth, 1735, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zinzendorf_gedichte_1735/284>, abgerufen am 22.11.2024.