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Zinzendorf, Nicolaus Ludwig von: Teutscher Gedichte Erster Theil. Herrnhuth, 1735.

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1729.

Jhr hoher Stand ist Geist von Geist,
Kein Fleischlicher weiß, was das heist.

Der aber über alle thronet,
Und in den stillen Seelen wohnet,
Der weiß um die Gelegenheit,
Und kennet sie von Ewigkeit.
Er selber hatte sie gezogen,
Da sie die Welt noch überwogen,,
Als seine Kraft, die unsichtbar
Den Seelen noch zuwider war.
Doch hatte seine Helden-Stärcke,
(Der Handgrif aller seiner Wercke,)

Jhn nach durchbrochner Sünden-Nacht,
Zum Meister über sie gemacht.
Er hatte sie auf seinem Throne
Dem biß zum Tod getreuen Sohne,
Den aller Seelen Elend kränckt,
Zu einem Eigenthum geschenckt.
Der Sohn, der vor Erbarmen brennek,
Und hellig (*) nach den Seelen rennet,
(Unangesehen ihres Falls,)

Fiel den Verlohrnen um den Hals.
Er sprach: Jch sitz ans Reiches Ruder,
Doch bin ich Joseph, euer Bruder,
Zu eurem Nutz ans Creutz verkauft,
Für euch mit GOttes Zorn getauft.
Jch habe euch bey GOtt vertreten,
Und von dem Teufel loß gebeten.
Die Schuld ist dißmal gut gemacht,
Und eure Freyheit wiederbracht.
Des Starcken Wohnung ist zerbrochen,
Sein Anspruch ist ihm abgesprochen,
Er zeucht dahin; ich klopfe nun,
Seyd ihr bereit, mir aufzuthun!
Der
(*) Jst so viel als eifrig, und eine biblische Redens-Art.

1729.

Jhr hoher Stand iſt Geiſt von Geiſt,
Kein Fleiſchlicher weiß, was das heiſt.

Der aber uͤber alle thronet,
Und in den ſtillen Seelen wohnet,
Der weiß um die Gelegenheit,
Und kennet ſie von Ewigkeit.
Er ſelber hatte ſie gezogen,
Da ſie die Welt noch uͤberwogen,,
Als ſeine Kraft, die unſichtbar
Den Seelen noch zuwider war.
Doch hatte ſeine Helden-Staͤrcke,
(Der Handgrif aller ſeiner Wercke,)

Jhn nach durchbrochner Suͤnden-Nacht,
Zum Meiſter uͤber ſie gemacht.
Er hatte ſie auf ſeinem Throne
Dem biß zum Tod getreuen Sohne,
Den aller Seelen Elend kraͤnckt,
Zu einem Eigenthum geſchenckt.
Der Sohn, der vor Erbarmen brennek,
Und hellig (*) nach den Seelen rennet,
(Unangeſehen ihres Falls,)

Fiel den Verlohrnen um den Hals.
Er ſprach: Jch ſitz ans Reiches Ruder,
Doch bin ich Joſeph, euer Bruder,
Zu eurem Nutz ans Creutz verkauft,
Fuͤr euch mit GOttes Zorn getauft.
Jch habe euch bey GOtt vertreten,
Und von dem Teufel loß gebeten.
Die Schuld iſt dißmal gut gemacht,
Und eure Freyheit wiederbracht.
Des Starcken Wohnung iſt zerbrochen,
Sein Anſpruch iſt ihm abgeſprochen,
Er zeucht dahin; ich klopfe nun,
Seyd ihr bereit, mir aufzuthun!
Der
(*) Jſt ſo viel als eifrig, und eine bibliſche Redens-Art.
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[180/0190] 1729. Jhr hoher Stand iſt Geiſt von Geiſt, Kein Fleiſchlicher weiß, was das heiſt. Der aber uͤber alle thronet, Und in den ſtillen Seelen wohnet, Der weiß um die Gelegenheit, Und kennet ſie von Ewigkeit. Er ſelber hatte ſie gezogen, Da ſie die Welt noch uͤberwogen,, Als ſeine Kraft, die unſichtbar Den Seelen noch zuwider war. Doch hatte ſeine Helden-Staͤrcke, (Der Handgrif aller ſeiner Wercke,) Jhn nach durchbrochner Suͤnden-Nacht, Zum Meiſter uͤber ſie gemacht. Er hatte ſie auf ſeinem Throne Dem biß zum Tod getreuen Sohne, Den aller Seelen Elend kraͤnckt, Zu einem Eigenthum geſchenckt. Der Sohn, der vor Erbarmen brennek, Und hellig (*) nach den Seelen rennet, (Unangeſehen ihres Falls,) Fiel den Verlohrnen um den Hals. Er ſprach: Jch ſitz ans Reiches Ruder, Doch bin ich Joſeph, euer Bruder, Zu eurem Nutz ans Creutz verkauft, Fuͤr euch mit GOttes Zorn getauft. Jch habe euch bey GOtt vertreten, Und von dem Teufel loß gebeten. Die Schuld iſt dißmal gut gemacht, Und eure Freyheit wiederbracht. Des Starcken Wohnung iſt zerbrochen, Sein Anſpruch iſt ihm abgeſprochen, Er zeucht dahin; ich klopfe nun, Seyd ihr bereit, mir aufzuthun! Der (*) Jſt ſo viel als eifrig, und eine bibliſche Redens-Art.

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Zitationshilfe: Zinzendorf, Nicolaus Ludwig von: Teutscher Gedichte Erster Theil. Herrnhuth, 1735, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zinzendorf_gedichte_1735/190>, abgerufen am 27.11.2024.