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Zinzendorf, Nicolaus Ludwig von: Teutscher Gedichte Erster Theil. Herrnhuth, 1735.

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1726.
XLV. Uber das Grab der Groß-Frau
Mutter.
*
SOlls seyn, Hochwürdigs Häupt! so neig' auf JEsus
Wincken

Jhm deine von der Last erdrückte Scheitel zu:
Entweiche müder Geist zur stoltzen Seelen-Ruh,
Und laß den Cörper auch in seine Ruhe sincken!
Zwar trinckt den neuen Wein ins Vaters Reiche nicht,
Wer nicht den bittern Kelch vorher noch angesetzet:
Doch, wenn der Myrrhen-Tranck dir kaum die Lippen netzet,
So sieht ein jeder leicht, warum das dir geschicht.
Es hatte dir die Welt zum öftern Tranck und Speise
Mit Staub der Kümmerniß, und Thränen-Saltz vermischt;
Die Arbeit ließ nicht nach, wenn man dir aufgetischt,
Und deine Ruhe-Zeit vergieng auf gleiche Weise.
So wuste denn dein Freund, als itzt die Stunde kam,
Mit aufgebotner Macht die Crone zu erkämpfen,
So wohl der Feinde Wuth, als deinen Streit zu dämpfen,
Jndem er aus den Sturm dich bald bey Seite nahm.


Sonst macht ein kühner Held bey vortheilhafter Lage
Den Zugeordneten die gröste Sorgen-Noth:
Denn sie vermuthen schon, daß er, Trotz Blut und Tod,
Den eingedrungnen Feind zurück zu treiben wage.
Ein Bau, den Sturm und Schlag noch eins so starck gemacht,
So, daß er nun davon nicht leicht zu zittern pfleget,
Jn welchem sich der Geist noch immer lebhaft reget,
Will recht getroffen seyn, eh seine Feste kracht.
Drum höret man das Blut in allen Adern kochen,
Weil Tod und Leben noch aus allen Kräften ringt,
Biß der gefangne Geist sich aus den Banden schwingt,
Nachdem er durch das Hertz, und Marck und Bein gebrochen.
Und da der Seelen-Feind den Erden-Creiß durchreißt,
Um schon in dieser Zeit die Seelen zu verschlingen;
Vermeynt
* Jm Mertz.
1726.
XLV. Uber das Grab der Groß-Frau
Mutter.
*
SOlls ſeyn, Hochwuͤrdigs Haͤupt! ſo neig’ auf JEſus
Wincken

Jhm deine von der Laſt erdruͤckte Scheitel zu:
Entweiche muͤder Geiſt zur ſtoltzen Seelen-Ruh,
Und laß den Coͤrper auch in ſeine Ruhe ſincken!
Zwar trinckt den neuen Wein ins Vaters Reiche nicht,
Wer nicht den bittern Kelch vorher noch angeſetzet:
Doch, wenn der Myrrhen-Tranck dir kaum die Lippen netzet,
So ſieht ein jeder leicht, warum das dir geſchicht.
Es hatte dir die Welt zum oͤftern Tranck und Speiſe
Mit Staub der Kuͤmmerniß, und Thraͤnen-Saltz vermiſcht;
Die Arbeit ließ nicht nach, wenn man dir aufgetiſcht,
Und deine Ruhe-Zeit vergieng auf gleiche Weiſe.
So wuſte denn dein Freund, als itzt die Stunde kam,
Mit aufgebotner Macht die Crone zu erkaͤmpfen,
So wohl der Feinde Wuth, als deinen Streit zu daͤmpfen,
Jndem er aus den Sturm dich bald bey Seite nahm.


Sonſt macht ein kuͤhner Held bey vortheilhafter Lage
Den Zugeordneten die groͤſte Sorgen-Noth:
Denn ſie vermuthen ſchon, daß er, Trotz Blut und Tod,
Den eingedrungnen Feind zuruͤck zu treiben wage.
Ein Bau, den Sturm und Schlag noch eins ſo ſtarck gemacht,
So, daß er nun davon nicht leicht zu zittern pfleget,
Jn welchem ſich der Geiſt noch immer lebhaft reget,
Will recht getroffen ſeyn, eh ſeine Feſte kracht.
Drum hoͤret man das Blut in allen Adern kochen,
Weil Tod und Leben noch aus allen Kraͤften ringt,
Biß der gefangne Geiſt ſich aus den Banden ſchwingt,
Nachdem er durch das Hertz, und Marck und Bein gebrochen.
Und da der Seelen-Feind den Erden-Creiß durchreißt,
Um ſchon in dieſer Zeit die Seelen zu verſchlingen;
Vermeynt
* Jm Mertz.
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[110/0120] 1726. XLV. Uber das Grab der Groß-Frau Mutter. * SOlls ſeyn, Hochwuͤrdigs Haͤupt! ſo neig’ auf JEſus Wincken Jhm deine von der Laſt erdruͤckte Scheitel zu: Entweiche muͤder Geiſt zur ſtoltzen Seelen-Ruh, Und laß den Coͤrper auch in ſeine Ruhe ſincken! Zwar trinckt den neuen Wein ins Vaters Reiche nicht, Wer nicht den bittern Kelch vorher noch angeſetzet: Doch, wenn der Myrrhen-Tranck dir kaum die Lippen netzet, So ſieht ein jeder leicht, warum das dir geſchicht. Es hatte dir die Welt zum oͤftern Tranck und Speiſe Mit Staub der Kuͤmmerniß, und Thraͤnen-Saltz vermiſcht; Die Arbeit ließ nicht nach, wenn man dir aufgetiſcht, Und deine Ruhe-Zeit vergieng auf gleiche Weiſe. So wuſte denn dein Freund, als itzt die Stunde kam, Mit aufgebotner Macht die Crone zu erkaͤmpfen, So wohl der Feinde Wuth, als deinen Streit zu daͤmpfen, Jndem er aus den Sturm dich bald bey Seite nahm. Sonſt macht ein kuͤhner Held bey vortheilhafter Lage Den Zugeordneten die groͤſte Sorgen-Noth: Denn ſie vermuthen ſchon, daß er, Trotz Blut und Tod, Den eingedrungnen Feind zuruͤck zu treiben wage. Ein Bau, den Sturm und Schlag noch eins ſo ſtarck gemacht, So, daß er nun davon nicht leicht zu zittern pfleget, Jn welchem ſich der Geiſt noch immer lebhaft reget, Will recht getroffen ſeyn, eh ſeine Feſte kracht. Drum hoͤret man das Blut in allen Adern kochen, Weil Tod und Leben noch aus allen Kraͤften ringt, Biß der gefangne Geiſt ſich aus den Banden ſchwingt, Nachdem er durch das Hertz, und Marck und Bein gebrochen. Und da der Seelen-Feind den Erden-Creiß durchreißt, Um ſchon in dieſer Zeit die Seelen zu verſchlingen; Vermeynt * Jm Mertz.

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Zitationshilfe: Zinzendorf, Nicolaus Ludwig von: Teutscher Gedichte Erster Theil. Herrnhuth, 1735, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zinzendorf_gedichte_1735/120>, abgerufen am 24.11.2024.